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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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sie herrscht, fast das ganze Volk zur Gemeinde hat. Sie versteht es mit tausend
Mitteln, jeden einzelnen von Kindheit an an die Kirche zu fesseln und zu ihrem
Dienst heranzuziehn, in der Messe, im Hochamt, bei jeder Gelegenheit. Die fromme
Pracht ihrer Gotteshäuser spricht eine große Sprache zu den Herzen und ist ein
Besitz, an dein auch der Ärmste Anteil hat, und auf den er stolz ist. Vergleichen
Sie uur deu Anteil, den unsre Gemeinde an der Handlung des Gottesdiensts hat,
mit dem der römischen. Unser Gemeindcgcsang, der in ewigem Konflikt mit der
Orgel ist, das ist alles -- die dürftige Liturgie, die man neuerdings wieder ein-"
gerichtet hat, macht es nicht schöner. Und dem gegenüber das Hochamt mit seinen
wundervollen Messen, die von den größten Meistern geschrieben sind, und die von
dem geschulten Chor der Gemeinde gesungen und bis in das kleinste Dorf von einem
Orchester begleitet weiden, zu dem das Dorf und die Einzelhöfe die Musikanten
stellen, ebenso wie die Chorsänger und Solisten. Freilich, in den kleinsten Dörfern
kaun die Musik manchmal fragwürdig genug sein, aber die Leute sind doch ganz
bei der Sache und erhebe" sich an der Musik; wie strahlt uus der dirigierende
Schulmeister an, wenn seine Solisten um die Reihe kommen! Und die Hauptsache
dabei ist, wie fein die Kirche die Gemeinde durch diese Musikveraustaltnugeu und
die Cäeilieuvereiue am Bärbel hat; sie weiß die Macht der Töne zu schätzen!

Bei alledem ist doch viel Äußerliches, erlaubte ich mir einzuwerfen, und Hand¬
werksmäßiges ist doch wohl in der römischen Kirche gerade genug.

Äußerlich oder innerlich -- das kommt Wohl auf das einzelne Gemüt an.
Es giebt natürlich fromme Seelen im katholischen Volk, wie anderswo. Ich habe
nur davon gesprochen, welche Mittel die katholische Kirche hat, um auf das Volk
zu wirken, und wie sie es thut, und habe uur sagen wollen, daß die Künste, die
unsre Kirche hat verkümmern lassen, eines ihrer stärksten Mittel sind. Ich habe das
Künstlerische in der römischen Kirche neben das nüchterne Handwerksmäßige unsrer
Kirche gestellt und hierin einen der Gründe der Gleichgiltigkeit der protestantischen
Welt gegen das Kirchenleben gesucht. Bei uus ist die Predigt -- die natürlich
die katholische Kirche ebenso gut hat -- fast das einzige Mittel, womit unsre Kirche
ans die Menschen zu wirken vermag. Wo man bedeutende Kanzelredner hat,
pflegen ja auch die Kirchen voll zu sein. Aber wie vielen Menschen ist denn die
Gabe begeisternder Beredsamkeit verliehen? Dazu gehört ein Dichtergeist, den nicht
jeder hat. Auch da, wo wirklich das Seelsorgernmt mit dem Herzen ausgeübt
wird, wird oft das Predigen zu einer mühsamen Amtshandlung, doppelt mühsam
bei deu starken Anforderungen, die an die Mehrzahl der Geistlichen gestellt werden.
Wo aber vollends nicht einmal wirklicher innerer Beruf und begeisterter Drang
zu dem geistlichen Amt geführt hat, sondern nur äußere Gründe dazu entschieden
haben, hier eine Existenz zu suchen, wie soll da der Quell lebendig fließen, ans
dem Erbauung und Überzeugung geschöpft werden können! Gegen Gemachtes
sträubt sich das gesunde Gefühl des Volks, und dagegen hilft dann auch eilte
Betriebsamkeit nichts, weder die geschäftige Erbauungslitteratur noch das Vereins¬
wesen noch das Einpauker von Lernstoff in den Schulen. Der Religionsunterricht
an den Schulen ist überhaupt ein böser Punkt! Welchen Händen ist er oft über¬
lassen! Einem großen Teil der Jugend wird von vornherein der Geschmack an
religiösen Dingen verdorben. So sicher das Kinderherz wahrer Frömmigkeit zu¬
gänglich ist und in ihr aufblühn wird, so sicher verdorrt es bei handwerksmäßigen
Betrieb des Lehramts, vollends wo dieses als eine Last empfunden und ohne eigne
Überzeugung ausgeübt wird. Wo es so mit Pfarr- und Lehramt bestellt ist -- und
ist das nicht nur zu häufig der Fall? --, da kann auch unsre juristisch-büreau-
kratische Kirchenleitung, die den Geistlichen und Seelsorger zum Staatsbeamten,
den Pfarrer und vollends deu Superintendenten zum Aktenschreiber macht, keine
Funken herausschlagen. Sie truü kaum mehr thun als das äußere Gefüge der


sie herrscht, fast das ganze Volk zur Gemeinde hat. Sie versteht es mit tausend
Mitteln, jeden einzelnen von Kindheit an an die Kirche zu fesseln und zu ihrem
Dienst heranzuziehn, in der Messe, im Hochamt, bei jeder Gelegenheit. Die fromme
Pracht ihrer Gotteshäuser spricht eine große Sprache zu den Herzen und ist ein
Besitz, an dein auch der Ärmste Anteil hat, und auf den er stolz ist. Vergleichen
Sie uur deu Anteil, den unsre Gemeinde an der Handlung des Gottesdiensts hat,
mit dem der römischen. Unser Gemeindcgcsang, der in ewigem Konflikt mit der
Orgel ist, das ist alles — die dürftige Liturgie, die man neuerdings wieder ein-"
gerichtet hat, macht es nicht schöner. Und dem gegenüber das Hochamt mit seinen
wundervollen Messen, die von den größten Meistern geschrieben sind, und die von
dem geschulten Chor der Gemeinde gesungen und bis in das kleinste Dorf von einem
Orchester begleitet weiden, zu dem das Dorf und die Einzelhöfe die Musikanten
stellen, ebenso wie die Chorsänger und Solisten. Freilich, in den kleinsten Dörfern
kaun die Musik manchmal fragwürdig genug sein, aber die Leute sind doch ganz
bei der Sache und erhebe» sich an der Musik; wie strahlt uus der dirigierende
Schulmeister an, wenn seine Solisten um die Reihe kommen! Und die Hauptsache
dabei ist, wie fein die Kirche die Gemeinde durch diese Musikveraustaltnugeu und
die Cäeilieuvereiue am Bärbel hat; sie weiß die Macht der Töne zu schätzen!

Bei alledem ist doch viel Äußerliches, erlaubte ich mir einzuwerfen, und Hand¬
werksmäßiges ist doch wohl in der römischen Kirche gerade genug.

Äußerlich oder innerlich — das kommt Wohl auf das einzelne Gemüt an.
Es giebt natürlich fromme Seelen im katholischen Volk, wie anderswo. Ich habe
nur davon gesprochen, welche Mittel die katholische Kirche hat, um auf das Volk
zu wirken, und wie sie es thut, und habe uur sagen wollen, daß die Künste, die
unsre Kirche hat verkümmern lassen, eines ihrer stärksten Mittel sind. Ich habe das
Künstlerische in der römischen Kirche neben das nüchterne Handwerksmäßige unsrer
Kirche gestellt und hierin einen der Gründe der Gleichgiltigkeit der protestantischen
Welt gegen das Kirchenleben gesucht. Bei uus ist die Predigt — die natürlich
die katholische Kirche ebenso gut hat — fast das einzige Mittel, womit unsre Kirche
ans die Menschen zu wirken vermag. Wo man bedeutende Kanzelredner hat,
pflegen ja auch die Kirchen voll zu sein. Aber wie vielen Menschen ist denn die
Gabe begeisternder Beredsamkeit verliehen? Dazu gehört ein Dichtergeist, den nicht
jeder hat. Auch da, wo wirklich das Seelsorgernmt mit dem Herzen ausgeübt
wird, wird oft das Predigen zu einer mühsamen Amtshandlung, doppelt mühsam
bei deu starken Anforderungen, die an die Mehrzahl der Geistlichen gestellt werden.
Wo aber vollends nicht einmal wirklicher innerer Beruf und begeisterter Drang
zu dem geistlichen Amt geführt hat, sondern nur äußere Gründe dazu entschieden
haben, hier eine Existenz zu suchen, wie soll da der Quell lebendig fließen, ans
dem Erbauung und Überzeugung geschöpft werden können! Gegen Gemachtes
sträubt sich das gesunde Gefühl des Volks, und dagegen hilft dann auch eilte
Betriebsamkeit nichts, weder die geschäftige Erbauungslitteratur noch das Vereins¬
wesen noch das Einpauker von Lernstoff in den Schulen. Der Religionsunterricht
an den Schulen ist überhaupt ein böser Punkt! Welchen Händen ist er oft über¬
lassen! Einem großen Teil der Jugend wird von vornherein der Geschmack an
religiösen Dingen verdorben. So sicher das Kinderherz wahrer Frömmigkeit zu¬
gänglich ist und in ihr aufblühn wird, so sicher verdorrt es bei handwerksmäßigen
Betrieb des Lehramts, vollends wo dieses als eine Last empfunden und ohne eigne
Überzeugung ausgeübt wird. Wo es so mit Pfarr- und Lehramt bestellt ist — und
ist das nicht nur zu häufig der Fall? —, da kann auch unsre juristisch-büreau-
kratische Kirchenleitung, die den Geistlichen und Seelsorger zum Staatsbeamten,
den Pfarrer und vollends deu Superintendenten zum Aktenschreiber macht, keine
Funken herausschlagen. Sie truü kaum mehr thun als das äußere Gefüge der


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[0264] sie herrscht, fast das ganze Volk zur Gemeinde hat. Sie versteht es mit tausend Mitteln, jeden einzelnen von Kindheit an an die Kirche zu fesseln und zu ihrem Dienst heranzuziehn, in der Messe, im Hochamt, bei jeder Gelegenheit. Die fromme Pracht ihrer Gotteshäuser spricht eine große Sprache zu den Herzen und ist ein Besitz, an dein auch der Ärmste Anteil hat, und auf den er stolz ist. Vergleichen Sie uur deu Anteil, den unsre Gemeinde an der Handlung des Gottesdiensts hat, mit dem der römischen. Unser Gemeindcgcsang, der in ewigem Konflikt mit der Orgel ist, das ist alles — die dürftige Liturgie, die man neuerdings wieder ein-" gerichtet hat, macht es nicht schöner. Und dem gegenüber das Hochamt mit seinen wundervollen Messen, die von den größten Meistern geschrieben sind, und die von dem geschulten Chor der Gemeinde gesungen und bis in das kleinste Dorf von einem Orchester begleitet weiden, zu dem das Dorf und die Einzelhöfe die Musikanten stellen, ebenso wie die Chorsänger und Solisten. Freilich, in den kleinsten Dörfern kaun die Musik manchmal fragwürdig genug sein, aber die Leute sind doch ganz bei der Sache und erhebe» sich an der Musik; wie strahlt uus der dirigierende Schulmeister an, wenn seine Solisten um die Reihe kommen! Und die Hauptsache dabei ist, wie fein die Kirche die Gemeinde durch diese Musikveraustaltnugeu und die Cäeilieuvereiue am Bärbel hat; sie weiß die Macht der Töne zu schätzen! Bei alledem ist doch viel Äußerliches, erlaubte ich mir einzuwerfen, und Hand¬ werksmäßiges ist doch wohl in der römischen Kirche gerade genug. Äußerlich oder innerlich — das kommt Wohl auf das einzelne Gemüt an. Es giebt natürlich fromme Seelen im katholischen Volk, wie anderswo. Ich habe nur davon gesprochen, welche Mittel die katholische Kirche hat, um auf das Volk zu wirken, und wie sie es thut, und habe uur sagen wollen, daß die Künste, die unsre Kirche hat verkümmern lassen, eines ihrer stärksten Mittel sind. Ich habe das Künstlerische in der römischen Kirche neben das nüchterne Handwerksmäßige unsrer Kirche gestellt und hierin einen der Gründe der Gleichgiltigkeit der protestantischen Welt gegen das Kirchenleben gesucht. Bei uus ist die Predigt — die natürlich die katholische Kirche ebenso gut hat — fast das einzige Mittel, womit unsre Kirche ans die Menschen zu wirken vermag. Wo man bedeutende Kanzelredner hat, pflegen ja auch die Kirchen voll zu sein. Aber wie vielen Menschen ist denn die Gabe begeisternder Beredsamkeit verliehen? Dazu gehört ein Dichtergeist, den nicht jeder hat. Auch da, wo wirklich das Seelsorgernmt mit dem Herzen ausgeübt wird, wird oft das Predigen zu einer mühsamen Amtshandlung, doppelt mühsam bei deu starken Anforderungen, die an die Mehrzahl der Geistlichen gestellt werden. Wo aber vollends nicht einmal wirklicher innerer Beruf und begeisterter Drang zu dem geistlichen Amt geführt hat, sondern nur äußere Gründe dazu entschieden haben, hier eine Existenz zu suchen, wie soll da der Quell lebendig fließen, ans dem Erbauung und Überzeugung geschöpft werden können! Gegen Gemachtes sträubt sich das gesunde Gefühl des Volks, und dagegen hilft dann auch eilte Betriebsamkeit nichts, weder die geschäftige Erbauungslitteratur noch das Vereins¬ wesen noch das Einpauker von Lernstoff in den Schulen. Der Religionsunterricht an den Schulen ist überhaupt ein böser Punkt! Welchen Händen ist er oft über¬ lassen! Einem großen Teil der Jugend wird von vornherein der Geschmack an religiösen Dingen verdorben. So sicher das Kinderherz wahrer Frömmigkeit zu¬ gänglich ist und in ihr aufblühn wird, so sicher verdorrt es bei handwerksmäßigen Betrieb des Lehramts, vollends wo dieses als eine Last empfunden und ohne eigne Überzeugung ausgeübt wird. Wo es so mit Pfarr- und Lehramt bestellt ist — und ist das nicht nur zu häufig der Fall? —, da kann auch unsre juristisch-büreau- kratische Kirchenleitung, die den Geistlichen und Seelsorger zum Staatsbeamten, den Pfarrer und vollends deu Superintendenten zum Aktenschreiber macht, keine Funken herausschlagen. Sie truü kaum mehr thun als das äußere Gefüge der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/264>, abgerufen am 04.07.2024.