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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Herbstbilder aus Italien

Apennin zu fahren, bei Nacht in Genua oder Venedig, in Florenz oder Rom
anzukommen, zumal da die Schnellzuge auf manchen Strecken mit Vorliebe
während der Nacht lausen, "ut die Schiffe von Trieft und Venedig, von Neapel,
Palermo und Messina immer abends abgehn, sodaß der Genuß einer Seefahrt
auf wenig Morgenstunden beschränkt wird. Wenn es nämlich einer ist! Denn
Stürme sind im Herbste hänfiger als im Frühjahr, und sowohl die Adria wie
das Tyrrhenische Meer können dann recht unangenehm werden, namentlich wenn
eine scharfe Trcunontana von Nordosten her über die Berge weht. Dann wird
zuweilen sogar die Verbindung zwischen Neapel und Capri unterbrochen, eisig
bläst der Wind, er hüllt Land und Meer in Negenschleier und bedeckt die
Apenninen mit Schnee.

Und doch! Zunächst ein Vorzug bleibt dem italienischen Herbste: das
Wetter ist im ganzen viel beständiger als im Frühling. In diesem vielleicht
ungewöhnlich günstigen Herbste habe ich von Mitte Oktober bis Ende No¬
vember nur etwa drei bis vier kalte oder regnerische Tage gehabt, sonst nnr
gelegentlich einige trübe Stunden; im übrigen strahlte der Himmel vom
Morgen bis zum Abend in wolkenloser, tiefblauer Pracht, und die Sterne
funkelten in lichtem Glänze. Und diesen Tag erlebt man im Herbste wirklich
ganz, vom Sonnenaufgang bis zum Untergänge. In Orange, Purpur und
Blau steigt der feurige Sonnenball im Osten empor, sinkt er im Westen
hinunter. Wie wahr hat doch Guido Nein auf seinein. Gemälde Phöbus
und Aurora im Palazzo Rospigliosi zu Rom dieses wunderbare Farbenspiel
wiedergegeben! Unter dieser Sonne entfaltet das südliche Meer erst seine ganze
Schönheit: eine bald leise bewegte, bald in kurzen Wellen lebhaft wogende, mit
Schaumköpfen bedeckte Fläche, die sich bald lichtblau, bald stahlblau, bald tief¬
blau endlos ausdehnt, den flachen Strand mit einem hin- und herwogenden
Silberstreifen säumt, sich an den Felsen der Steilküsten in hochanfschießenden
weißen Spritzwellen tosend bricht. Das ist die "silberfüßige Thetis," die
"purpurne Salzflut" Homers. Uuter dieser Sonne treten alle Formen der
Landschaft, der Gebirge, der Inseln, der Küsten mit plastischer Klarheit und
in scharfer Abstufung von Schatten und Licht hervor; hier begreift sichs, warum
die Kunst, in der die Alten das Höchste geleistet haben, nicht die Malerei gewesen
ist, sondern die Plastik. Dazu ist die Temperatur durchschnittlich sehr angenehm,
im Schatten kühl, in der Sonne warm, nur auf Sizilien um die Mittagszeit
noch im November geradezu heiß. Der Pflanzenwuchs aber ist im allgemeinen
keineswegs so vertrocknet, wie man sich ihn wohl vorstellt. Zunächst zählt die
italienische Flora viele immergrüne Hölzer, die den Charakter der Landschaft,
namentlich auch der Gärten, bestimmen: Steineichen, Lorbeer, Myrten, Citronen-
und Orangenbäume. Auch die andern: Pappeln, Platanen, Maulbeerbäume,
Oliven, Feigen, Weinreben, Eukalypten (die ein fester Bestandteil der italie¬
nischen Flora geworden sind) behalten das Laub sehr lauge, bis tief in den
November hinein, wenn auch der bunte Herbstschmnck, der unsre Laubhölzer
auszeichnet, weniger entwickelt ist, weil diese Arten meist fehlen. Überall sprießt


Herbstbilder aus Italien

Apennin zu fahren, bei Nacht in Genua oder Venedig, in Florenz oder Rom
anzukommen, zumal da die Schnellzuge auf manchen Strecken mit Vorliebe
während der Nacht lausen, »ut die Schiffe von Trieft und Venedig, von Neapel,
Palermo und Messina immer abends abgehn, sodaß der Genuß einer Seefahrt
auf wenig Morgenstunden beschränkt wird. Wenn es nämlich einer ist! Denn
Stürme sind im Herbste hänfiger als im Frühjahr, und sowohl die Adria wie
das Tyrrhenische Meer können dann recht unangenehm werden, namentlich wenn
eine scharfe Trcunontana von Nordosten her über die Berge weht. Dann wird
zuweilen sogar die Verbindung zwischen Neapel und Capri unterbrochen, eisig
bläst der Wind, er hüllt Land und Meer in Negenschleier und bedeckt die
Apenninen mit Schnee.

Und doch! Zunächst ein Vorzug bleibt dem italienischen Herbste: das
Wetter ist im ganzen viel beständiger als im Frühling. In diesem vielleicht
ungewöhnlich günstigen Herbste habe ich von Mitte Oktober bis Ende No¬
vember nur etwa drei bis vier kalte oder regnerische Tage gehabt, sonst nnr
gelegentlich einige trübe Stunden; im übrigen strahlte der Himmel vom
Morgen bis zum Abend in wolkenloser, tiefblauer Pracht, und die Sterne
funkelten in lichtem Glänze. Und diesen Tag erlebt man im Herbste wirklich
ganz, vom Sonnenaufgang bis zum Untergänge. In Orange, Purpur und
Blau steigt der feurige Sonnenball im Osten empor, sinkt er im Westen
hinunter. Wie wahr hat doch Guido Nein auf seinein. Gemälde Phöbus
und Aurora im Palazzo Rospigliosi zu Rom dieses wunderbare Farbenspiel
wiedergegeben! Unter dieser Sonne entfaltet das südliche Meer erst seine ganze
Schönheit: eine bald leise bewegte, bald in kurzen Wellen lebhaft wogende, mit
Schaumköpfen bedeckte Fläche, die sich bald lichtblau, bald stahlblau, bald tief¬
blau endlos ausdehnt, den flachen Strand mit einem hin- und herwogenden
Silberstreifen säumt, sich an den Felsen der Steilküsten in hochanfschießenden
weißen Spritzwellen tosend bricht. Das ist die „silberfüßige Thetis," die
„purpurne Salzflut" Homers. Uuter dieser Sonne treten alle Formen der
Landschaft, der Gebirge, der Inseln, der Küsten mit plastischer Klarheit und
in scharfer Abstufung von Schatten und Licht hervor; hier begreift sichs, warum
die Kunst, in der die Alten das Höchste geleistet haben, nicht die Malerei gewesen
ist, sondern die Plastik. Dazu ist die Temperatur durchschnittlich sehr angenehm,
im Schatten kühl, in der Sonne warm, nur auf Sizilien um die Mittagszeit
noch im November geradezu heiß. Der Pflanzenwuchs aber ist im allgemeinen
keineswegs so vertrocknet, wie man sich ihn wohl vorstellt. Zunächst zählt die
italienische Flora viele immergrüne Hölzer, die den Charakter der Landschaft,
namentlich auch der Gärten, bestimmen: Steineichen, Lorbeer, Myrten, Citronen-
und Orangenbäume. Auch die andern: Pappeln, Platanen, Maulbeerbäume,
Oliven, Feigen, Weinreben, Eukalypten (die ein fester Bestandteil der italie¬
nischen Flora geworden sind) behalten das Laub sehr lauge, bis tief in den
November hinein, wenn auch der bunte Herbstschmnck, der unsre Laubhölzer
auszeichnet, weniger entwickelt ist, weil diese Arten meist fehlen. Überall sprießt


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[0252] Herbstbilder aus Italien Apennin zu fahren, bei Nacht in Genua oder Venedig, in Florenz oder Rom anzukommen, zumal da die Schnellzuge auf manchen Strecken mit Vorliebe während der Nacht lausen, »ut die Schiffe von Trieft und Venedig, von Neapel, Palermo und Messina immer abends abgehn, sodaß der Genuß einer Seefahrt auf wenig Morgenstunden beschränkt wird. Wenn es nämlich einer ist! Denn Stürme sind im Herbste hänfiger als im Frühjahr, und sowohl die Adria wie das Tyrrhenische Meer können dann recht unangenehm werden, namentlich wenn eine scharfe Trcunontana von Nordosten her über die Berge weht. Dann wird zuweilen sogar die Verbindung zwischen Neapel und Capri unterbrochen, eisig bläst der Wind, er hüllt Land und Meer in Negenschleier und bedeckt die Apenninen mit Schnee. Und doch! Zunächst ein Vorzug bleibt dem italienischen Herbste: das Wetter ist im ganzen viel beständiger als im Frühling. In diesem vielleicht ungewöhnlich günstigen Herbste habe ich von Mitte Oktober bis Ende No¬ vember nur etwa drei bis vier kalte oder regnerische Tage gehabt, sonst nnr gelegentlich einige trübe Stunden; im übrigen strahlte der Himmel vom Morgen bis zum Abend in wolkenloser, tiefblauer Pracht, und die Sterne funkelten in lichtem Glänze. Und diesen Tag erlebt man im Herbste wirklich ganz, vom Sonnenaufgang bis zum Untergänge. In Orange, Purpur und Blau steigt der feurige Sonnenball im Osten empor, sinkt er im Westen hinunter. Wie wahr hat doch Guido Nein auf seinein. Gemälde Phöbus und Aurora im Palazzo Rospigliosi zu Rom dieses wunderbare Farbenspiel wiedergegeben! Unter dieser Sonne entfaltet das südliche Meer erst seine ganze Schönheit: eine bald leise bewegte, bald in kurzen Wellen lebhaft wogende, mit Schaumköpfen bedeckte Fläche, die sich bald lichtblau, bald stahlblau, bald tief¬ blau endlos ausdehnt, den flachen Strand mit einem hin- und herwogenden Silberstreifen säumt, sich an den Felsen der Steilküsten in hochanfschießenden weißen Spritzwellen tosend bricht. Das ist die „silberfüßige Thetis," die „purpurne Salzflut" Homers. Uuter dieser Sonne treten alle Formen der Landschaft, der Gebirge, der Inseln, der Küsten mit plastischer Klarheit und in scharfer Abstufung von Schatten und Licht hervor; hier begreift sichs, warum die Kunst, in der die Alten das Höchste geleistet haben, nicht die Malerei gewesen ist, sondern die Plastik. Dazu ist die Temperatur durchschnittlich sehr angenehm, im Schatten kühl, in der Sonne warm, nur auf Sizilien um die Mittagszeit noch im November geradezu heiß. Der Pflanzenwuchs aber ist im allgemeinen keineswegs so vertrocknet, wie man sich ihn wohl vorstellt. Zunächst zählt die italienische Flora viele immergrüne Hölzer, die den Charakter der Landschaft, namentlich auch der Gärten, bestimmen: Steineichen, Lorbeer, Myrten, Citronen- und Orangenbäume. Auch die andern: Pappeln, Platanen, Maulbeerbäume, Oliven, Feigen, Weinreben, Eukalypten (die ein fester Bestandteil der italie¬ nischen Flora geworden sind) behalten das Laub sehr lauge, bis tief in den November hinein, wenn auch der bunte Herbstschmnck, der unsre Laubhölzer auszeichnet, weniger entwickelt ist, weil diese Arten meist fehlen. Überall sprießt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/252>, abgerufen am 03.07.2024.