Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.liebe, niemand zu leide" ersetzte. Dieser "Politik des ehrlichen Makkers" gab Vierzehn Jahre lang hat Bismarck darum seine "Politik des ehrlichen liebe, niemand zu leide" ersetzte. Dieser „Politik des ehrlichen Makkers" gab Vierzehn Jahre lang hat Bismarck darum seine „Politik des ehrlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0170" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232722"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_497" prev="#ID_496"> liebe, niemand zu leide" ersetzte. Dieser „Politik des ehrlichen Makkers" gab<lb/> Bismarck den kräftigen Rückhalt durch ein starkes Landheer und durch die Ver¬<lb/> bindung mit Österreich und Italien. Diese Politik war einfach und durch¬<lb/> sichtig, sie blieb so lange auch verhältnismäßig leicht durchzuführen, als sich<lb/> Deutschland zu den „saturierten" Staaten und als bloße Kontinentalmacht<lb/> bekannte. Es konnte mich niemals mit andern Staaten in bedrohlichen Wider¬<lb/> streit geraten, weil es seine Grenzpfähle nicht mit seinen Wünschen überschritt.<lb/> Ihm fiel ganz von selbst die Rolle des Züngleins an der Wage zu, weil<lb/> niemand an der Ehrlichkeit des uninteressierten Makkers zweifeln dürfte. Diese<lb/> Rolle mußte aber aufhören, sobald der Makler eigne Interessen auf den Markt<lb/> brachte, die mit denen seiner Klienten im Widerspruch waren. Bismarcks Politik<lb/> unbedingter Neutralität war solange durchführbar, als Deutschland keine Sonder¬<lb/> interessen in der Welt suchte, als es nicht außerhalb Europas mit Okkupations¬<lb/> gelüsten hervortrat und darum auch zu den nachbarlichen Pflichten und Rück¬<lb/> sichten, die der Kontinent gebot, nicht noch solche gegen die Seemächte fügte.<lb/> Diese Politik wurde schwierig, sobald Deutschland von der Erhaltung und<lb/> Kräftigung seines kontinentalen Besitzes zu der Mehrung an überseeischen Besitz<lb/> überging. Mit der Selbstsucht im Herzen ließ sich die Miene uninteressierter<lb/> Harmlosigkeit nicht mehr halten, niemand hätte ihr mehr geglaubt.</p><lb/> <p xml:id="ID_498" next="#ID_499"> Vierzehn Jahre lang hat Bismarck darum seine „Politik des ehrlichen<lb/> Makkers" konsequent durchgeführt, er hat sie nicht durch die Erwerbung über¬<lb/> seeischer Interessen beschwert und erschwert. Alles, was an kolonialpolitischen<lb/> Wünschen bis zum Jahre 1884 an ihn herantrat, hat er zurückgewiesen. Schon<lb/> bei deu Friedensverhandlungen mit Frankreich dachte man daran, französische<lb/> Kolonien an Zahlnngsstatt zu nehmen; aber der Gedanke wurde aufgegeben.<lb/> Anstatt eine deutsche Koloninlpolitik auf Kosten Frankreichs einzuleiten, suchte<lb/> Bismarck vielmehr Frankreichs Minister zu einer foreiertcn Kolonialpolitik zu<lb/> bewegen, um so die französische Unruhe von Deutschland abzulenken. Im Jahre<lb/> 1874 suchte der Sultan von Sansibar die deutsche Schutzherrschaft nach, wurde<lb/> aber vou Bismarck abgewiesen. Die Bitte E. von Webers, die Dclagoabai<lb/> von Portugal anzukaufen, lehnte er ebenso ub, wie den Wunsch des bekannten<lb/> Kaufmanns Lüderitz, in der Se. Lueiabai die deutsche Flagge zu bisher. Als<lb/> im Jahre vorher (1875) der Präsident Burgers von Transvaal den Anschluß<lb/> an Deutschland erstrebt hatte, war er abgewiesen worden. Damals hatte Eng¬<lb/> land noch wenig Interesse ein Afrika, es wäre ein deutsches Südafrika mit<lb/> leichter Mühe zu schaffen gewesen. Nun ist die Versäumnis auch bei der<lb/> größten Staatskunst kaum wieder gut zu machen, die Stellung Deutschlands<lb/> in Südafrika kann unwiederbringlich verloren sein. Im Jahre 1874 nahm<lb/> England die Fidschiinseln in Beschlag und erklärte die wohlverbriesten Rechte<lb/> deutscher Kaufleute dort einfach für ungiltig. Bismarck hat zehn Jahre ge¬<lb/> braucht, um die Erledigung dieser Angelegenheit durchzusetzen — ein Gegen¬<lb/> stück zur Angelegenheit der Gebrüder Dehnhardt in Wien.' Man sieht, daß<lb/> auch Bismarck nicht mit dem Kopf durch die Wand konnte, wie es unsre</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0170]
liebe, niemand zu leide" ersetzte. Dieser „Politik des ehrlichen Makkers" gab
Bismarck den kräftigen Rückhalt durch ein starkes Landheer und durch die Ver¬
bindung mit Österreich und Italien. Diese Politik war einfach und durch¬
sichtig, sie blieb so lange auch verhältnismäßig leicht durchzuführen, als sich
Deutschland zu den „saturierten" Staaten und als bloße Kontinentalmacht
bekannte. Es konnte mich niemals mit andern Staaten in bedrohlichen Wider¬
streit geraten, weil es seine Grenzpfähle nicht mit seinen Wünschen überschritt.
Ihm fiel ganz von selbst die Rolle des Züngleins an der Wage zu, weil
niemand an der Ehrlichkeit des uninteressierten Makkers zweifeln dürfte. Diese
Rolle mußte aber aufhören, sobald der Makler eigne Interessen auf den Markt
brachte, die mit denen seiner Klienten im Widerspruch waren. Bismarcks Politik
unbedingter Neutralität war solange durchführbar, als Deutschland keine Sonder¬
interessen in der Welt suchte, als es nicht außerhalb Europas mit Okkupations¬
gelüsten hervortrat und darum auch zu den nachbarlichen Pflichten und Rück¬
sichten, die der Kontinent gebot, nicht noch solche gegen die Seemächte fügte.
Diese Politik wurde schwierig, sobald Deutschland von der Erhaltung und
Kräftigung seines kontinentalen Besitzes zu der Mehrung an überseeischen Besitz
überging. Mit der Selbstsucht im Herzen ließ sich die Miene uninteressierter
Harmlosigkeit nicht mehr halten, niemand hätte ihr mehr geglaubt.
Vierzehn Jahre lang hat Bismarck darum seine „Politik des ehrlichen
Makkers" konsequent durchgeführt, er hat sie nicht durch die Erwerbung über¬
seeischer Interessen beschwert und erschwert. Alles, was an kolonialpolitischen
Wünschen bis zum Jahre 1884 an ihn herantrat, hat er zurückgewiesen. Schon
bei deu Friedensverhandlungen mit Frankreich dachte man daran, französische
Kolonien an Zahlnngsstatt zu nehmen; aber der Gedanke wurde aufgegeben.
Anstatt eine deutsche Koloninlpolitik auf Kosten Frankreichs einzuleiten, suchte
Bismarck vielmehr Frankreichs Minister zu einer foreiertcn Kolonialpolitik zu
bewegen, um so die französische Unruhe von Deutschland abzulenken. Im Jahre
1874 suchte der Sultan von Sansibar die deutsche Schutzherrschaft nach, wurde
aber vou Bismarck abgewiesen. Die Bitte E. von Webers, die Dclagoabai
von Portugal anzukaufen, lehnte er ebenso ub, wie den Wunsch des bekannten
Kaufmanns Lüderitz, in der Se. Lueiabai die deutsche Flagge zu bisher. Als
im Jahre vorher (1875) der Präsident Burgers von Transvaal den Anschluß
an Deutschland erstrebt hatte, war er abgewiesen worden. Damals hatte Eng¬
land noch wenig Interesse ein Afrika, es wäre ein deutsches Südafrika mit
leichter Mühe zu schaffen gewesen. Nun ist die Versäumnis auch bei der
größten Staatskunst kaum wieder gut zu machen, die Stellung Deutschlands
in Südafrika kann unwiederbringlich verloren sein. Im Jahre 1874 nahm
England die Fidschiinseln in Beschlag und erklärte die wohlverbriesten Rechte
deutscher Kaufleute dort einfach für ungiltig. Bismarck hat zehn Jahre ge¬
braucht, um die Erledigung dieser Angelegenheit durchzusetzen — ein Gegen¬
stück zur Angelegenheit der Gebrüder Dehnhardt in Wien.' Man sieht, daß
auch Bismarck nicht mit dem Kopf durch die Wand konnte, wie es unsre
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