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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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baren unterschieden ^thatsächlich, um das gleich hier zu bemerken, ist es die
Rasse, nicht die Religion, was den Unterschied nusmnchtj, und der christliche
Glaube ist zu einem speziellen Bekenntnis innerhalb des Christentums geworden,
dem ganz andre Überzeugungen oder Weltanschauungen auch in einem "christ
liehen" Staate gleichberechtigt gegenüberstehn dürfe". Wir können es unent¬
schieden lassen, ob dies ein Schicksal sei, das jeder Religion bevorstehe, die
zu einer Weltreligion ausreift,*) dennoch aber bezweifeln, ob überhaupt eine
solche Weltreligion mittels starker Verdünnung aller religiösen Forderungen
zu schaffen in der ursprünglichen Meinung und Aufgabe des Christentums
gelegen habe" (II, 215--216), "Es giebt viele Worte der Bibel ^namentlich
die gegen den Mammonismus gerichteten siud gemeint^, die dnrch eine Art
von entgegengesetztem Gewohnheitsrecht ihrer Geltung fast entkleidet sind, oder
von denen man wenigstens in allen frommen Kränzchen lieber schweigt, weil
sie für viele der Anwesenden wenig "Erbauliches" an sich haben" (II, 229).
"Es ist sehr sonderbar, daß eine Sache, die fast seit zweitausend Jahren besteht,
die die Geister von Millionen von Lehrern und Schriftstellern bereits beschäftigt
hat, und die noch immer mit großen Mitteln und Anstrengungen über Meer
getragen und den mit ihr unbekannten Völkern gepredigt wird, in ihrem eignen
Herrschaftsgebiete und unter den gebildetsten Völkern der Erde unbekannt ge¬
worden ist. Oder können und wollen wir behaupten, daß der Geist oder sagen
wir lieber noch der Sinn des Christentums in unsern europäischen Staaten
allgemein bekannt und anerkannt sei?" (II, 274). Die Kultushandlungen "sind
Erleichterungen zur Erhebung der oft unter ihren Erdcnlasten allzusehr ge¬
beugten Seele, die sich nicht immer ohne solche Stützen aufzurichten vermag,
und Symbole für an sich Unaussprechbares; Gott selbst verlangt für sich nichts
als volles Vertrauen und Liebe, alles andre giebt er; die Menschen aber
wollen ihm statt dessen immer etwas andres anbieten. Das ist der Inhalt
der Kirchengeschichte" (HI, 27--28). Von der Wahrheit des Christentums
kann man nur durch den Versuch der Ausübung überzeugt werden; einen, der
es damit nicht versuchen will, durch Beweise und Disputationen bekehren
wollen, wäre vergebliche Mühe. "Das Priestertum ist ohnehin schon längst
viel zu sehr eine bloße Lehre geworden, von der Tausende deshalb nichts mehr
hören wollen, weil sie es nicht in seiner Wirkung sehen; denn die Menschen
glauben dem Sehen mehr als dem Hören" (III, 44). Fügen wir noch bei,
daß er öfter äußert, es sei merkwürdig, wie wenig sich die frommen Gläubigen
im Handeln und Benehmen von den Ungläubigen unterscheiden; man finde
bei diesen ebensoviel Rechtschaffenheit und Menschenfreundlichkeit; ja die
Frommen seien oft unausstehlich, und unter denen, die es auf Heiligkeit ab¬
gesehen hätten, finde man einerseits mürrische, zornige und hochmütige, ander¬
s L. eits süßliche und kindische.





*) Ich würde lieber sagen: deren Bekennerschaft zu einer Weltkirche anschwillt.

baren unterschieden ^thatsächlich, um das gleich hier zu bemerken, ist es die
Rasse, nicht die Religion, was den Unterschied nusmnchtj, und der christliche
Glaube ist zu einem speziellen Bekenntnis innerhalb des Christentums geworden,
dem ganz andre Überzeugungen oder Weltanschauungen auch in einem »christ
liehen« Staate gleichberechtigt gegenüberstehn dürfe». Wir können es unent¬
schieden lassen, ob dies ein Schicksal sei, das jeder Religion bevorstehe, die
zu einer Weltreligion ausreift,*) dennoch aber bezweifeln, ob überhaupt eine
solche Weltreligion mittels starker Verdünnung aller religiösen Forderungen
zu schaffen in der ursprünglichen Meinung und Aufgabe des Christentums
gelegen habe" (II, 215—216), „Es giebt viele Worte der Bibel ^namentlich
die gegen den Mammonismus gerichteten siud gemeint^, die dnrch eine Art
von entgegengesetztem Gewohnheitsrecht ihrer Geltung fast entkleidet sind, oder
von denen man wenigstens in allen frommen Kränzchen lieber schweigt, weil
sie für viele der Anwesenden wenig »Erbauliches« an sich haben" (II, 229).
„Es ist sehr sonderbar, daß eine Sache, die fast seit zweitausend Jahren besteht,
die die Geister von Millionen von Lehrern und Schriftstellern bereits beschäftigt
hat, und die noch immer mit großen Mitteln und Anstrengungen über Meer
getragen und den mit ihr unbekannten Völkern gepredigt wird, in ihrem eignen
Herrschaftsgebiete und unter den gebildetsten Völkern der Erde unbekannt ge¬
worden ist. Oder können und wollen wir behaupten, daß der Geist oder sagen
wir lieber noch der Sinn des Christentums in unsern europäischen Staaten
allgemein bekannt und anerkannt sei?" (II, 274). Die Kultushandlungen „sind
Erleichterungen zur Erhebung der oft unter ihren Erdcnlasten allzusehr ge¬
beugten Seele, die sich nicht immer ohne solche Stützen aufzurichten vermag,
und Symbole für an sich Unaussprechbares; Gott selbst verlangt für sich nichts
als volles Vertrauen und Liebe, alles andre giebt er; die Menschen aber
wollen ihm statt dessen immer etwas andres anbieten. Das ist der Inhalt
der Kirchengeschichte" (HI, 27—28). Von der Wahrheit des Christentums
kann man nur durch den Versuch der Ausübung überzeugt werden; einen, der
es damit nicht versuchen will, durch Beweise und Disputationen bekehren
wollen, wäre vergebliche Mühe. „Das Priestertum ist ohnehin schon längst
viel zu sehr eine bloße Lehre geworden, von der Tausende deshalb nichts mehr
hören wollen, weil sie es nicht in seiner Wirkung sehen; denn die Menschen
glauben dem Sehen mehr als dem Hören" (III, 44). Fügen wir noch bei,
daß er öfter äußert, es sei merkwürdig, wie wenig sich die frommen Gläubigen
im Handeln und Benehmen von den Ungläubigen unterscheiden; man finde
bei diesen ebensoviel Rechtschaffenheit und Menschenfreundlichkeit; ja die
Frommen seien oft unausstehlich, und unter denen, die es auf Heiligkeit ab¬
gesehen hätten, finde man einerseits mürrische, zornige und hochmütige, ander¬
s L. eits süßliche und kindische.





*) Ich würde lieber sagen: deren Bekennerschaft zu einer Weltkirche anschwillt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/140>, abgerufen am 22.07.2024.