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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Line Lriihlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

Stadt herzlich wenig; es ist unter den "Jtalienfahrern" als langweilig verrufen.
Und doch hat es eine Merkwürdigkeit, die gerade für uns Deutsche von der
größten Anziehungskraft ist. In einer kleinen Nebenstraße, der Via Peschcria,
sieht man inmitten einer unbedeutenden, armseligen Häuserreihe ein großes,
altertümliches, ganz in romanischem Stil gehaltnes Portal, dessen mittelalter¬
liche Inschriften uns verkünden, daß es einst der Eingang war zu dem Schlosse
eines der glänzendsten Herrscher der ganzen Weltgeschichte -- unsers Hohen-
staufenkaisers Friedrichs II., der ja bekannlich Deutschland sast ganz entfremdet
war und sich mit Vorliebe in Süditalien aufgehalten hat. Um seine Wohn¬
sitze oder deren Neste zu sehen, hatte ich vornehmlich den Abstecher nach
Apulien unternommen. Daß sich ein so feingebildeter, üppig lebender Fürst
hier besonders wohlgefühlt hat, darf als ein neuer Beleg gelten für die Aus¬
führungen des verstorbnen W. H. nicht in seinen "Kulturstudien aus drei
Jahrhunderten" über die erstaunlichen Schwankungen, die der landschaftliche
Geschmack im Laufe der Jahrhunderte erfahren hat; denn für unser heutiges
Auge bietet unter den italienischen Provinzen Apulien gerade die allergeringsten
Reize dar. Wollen wir einen so auffallenden Gegensatz richtig würdigen, so
dürfen wir nicht vergessen, daß bei uns im letzten Jahrzehnt das Verständnis
für die landschaftlichen Schönheiten der Ebene sehr zu steigen begonnen hat,
daß man sich heute an einfachen Wiesen in einem Grade künstlerisch zu er¬
freuen vermag, den man noch vor zwei oder drei Jahrzehnten auch nicht
entfernt zu ahnen imstande war, und daß die großen holländischen Maler
des siebzehnten Jahrhunderts, Rembrandt an der Spitze, in der Schilderung
des flachen Landes zum Teil ihre höchste Kraft bekunden. Es muß für
Friedrich einen besondern Genuß gewährt haben, von den Zinnen seiner
Schlösser die Blicke möglichst in die Ferne schweifen zu lassen; seiner hoch¬
begabten Herrennatur mag größte Weitrüumigkeit um meisten zugesagt haben.
Die Vorstellung hiervon wurde in mir besonders lebendig, als ich das am
schönsten erhaltne seiner Schlösser, das Castello del Monte, besuchte. Es liegt
etwa 80 Kilometer südlich von Foggici und schon mitten in dem vierten Ab¬
schnitte der südadriatischen Küste Italiens.

Hat man von Foggia aus das weltberühmte Schlachtfeld von Cannä und
die weniger berühmte, aber durch ihre Lose gleichfalls recht bekannt gewordne
Hafenstadt Varletta berührt, so gelangt man in ein Gebiet von wesentlich
andrer Art als der des Tavoliere. Hohe Berge fehlen auch hier, aber wir
haben kein flaches Tafelland mehr vor uns, sondern das Gelände steigt vom
Meere zu dem 680 Meter erreichenden Höhenzuge der Murgie sanft und all¬
mählich empor, und an der Stelle von unermeßlichen Weidetriften finden wir
unübersehbare, schier endlose Weingärten. Wer freilich bei ihrem Besuche den
poetischen Zauber erwarten sollte, der ihn in den Weinlauben Oberitaliens
oder in den rebengeschmückten Feldern Toskanas umwoben hat, der darf sich auf


Line Lriihlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

Stadt herzlich wenig; es ist unter den „Jtalienfahrern" als langweilig verrufen.
Und doch hat es eine Merkwürdigkeit, die gerade für uns Deutsche von der
größten Anziehungskraft ist. In einer kleinen Nebenstraße, der Via Peschcria,
sieht man inmitten einer unbedeutenden, armseligen Häuserreihe ein großes,
altertümliches, ganz in romanischem Stil gehaltnes Portal, dessen mittelalter¬
liche Inschriften uns verkünden, daß es einst der Eingang war zu dem Schlosse
eines der glänzendsten Herrscher der ganzen Weltgeschichte — unsers Hohen-
staufenkaisers Friedrichs II., der ja bekannlich Deutschland sast ganz entfremdet
war und sich mit Vorliebe in Süditalien aufgehalten hat. Um seine Wohn¬
sitze oder deren Neste zu sehen, hatte ich vornehmlich den Abstecher nach
Apulien unternommen. Daß sich ein so feingebildeter, üppig lebender Fürst
hier besonders wohlgefühlt hat, darf als ein neuer Beleg gelten für die Aus¬
führungen des verstorbnen W. H. nicht in seinen „Kulturstudien aus drei
Jahrhunderten" über die erstaunlichen Schwankungen, die der landschaftliche
Geschmack im Laufe der Jahrhunderte erfahren hat; denn für unser heutiges
Auge bietet unter den italienischen Provinzen Apulien gerade die allergeringsten
Reize dar. Wollen wir einen so auffallenden Gegensatz richtig würdigen, so
dürfen wir nicht vergessen, daß bei uns im letzten Jahrzehnt das Verständnis
für die landschaftlichen Schönheiten der Ebene sehr zu steigen begonnen hat,
daß man sich heute an einfachen Wiesen in einem Grade künstlerisch zu er¬
freuen vermag, den man noch vor zwei oder drei Jahrzehnten auch nicht
entfernt zu ahnen imstande war, und daß die großen holländischen Maler
des siebzehnten Jahrhunderts, Rembrandt an der Spitze, in der Schilderung
des flachen Landes zum Teil ihre höchste Kraft bekunden. Es muß für
Friedrich einen besondern Genuß gewährt haben, von den Zinnen seiner
Schlösser die Blicke möglichst in die Ferne schweifen zu lassen; seiner hoch¬
begabten Herrennatur mag größte Weitrüumigkeit um meisten zugesagt haben.
Die Vorstellung hiervon wurde in mir besonders lebendig, als ich das am
schönsten erhaltne seiner Schlösser, das Castello del Monte, besuchte. Es liegt
etwa 80 Kilometer südlich von Foggici und schon mitten in dem vierten Ab¬
schnitte der südadriatischen Küste Italiens.

Hat man von Foggia aus das weltberühmte Schlachtfeld von Cannä und
die weniger berühmte, aber durch ihre Lose gleichfalls recht bekannt gewordne
Hafenstadt Varletta berührt, so gelangt man in ein Gebiet von wesentlich
andrer Art als der des Tavoliere. Hohe Berge fehlen auch hier, aber wir
haben kein flaches Tafelland mehr vor uns, sondern das Gelände steigt vom
Meere zu dem 680 Meter erreichenden Höhenzuge der Murgie sanft und all¬
mählich empor, und an der Stelle von unermeßlichen Weidetriften finden wir
unübersehbare, schier endlose Weingärten. Wer freilich bei ihrem Besuche den
poetischen Zauber erwarten sollte, der ihn in den Weinlauben Oberitaliens
oder in den rebengeschmückten Feldern Toskanas umwoben hat, der darf sich auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/93>, abgerufen am 15.01.2025.