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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

Dieser Tcivoliere ist in der That, wie es der Name andeutet, ein Tafel¬
land, dessen Größe Gregorovius in seiner noch heute lesenswerten, wenngleich
selbstverständlich nicht durchweg einwandfreien Schilderung Apuliens (Wander-
jahre in Italien, Band V) mit 300000 Hektar angiebt. Das Gelände ist
fruchtbar und wohlgeeignet, eine Kornkammer Italiens zu werden, aber es
fehlt an Wasser, zu dessen Beschaffung eine künstliche, natürlich recht kostspielige
Berieselung durchgeführt werden müßte. Auch ist zu beachten, daß die gute
Bodenschicht nur eine Tiefe von 1 bis Meter hat und unter ihr sofort
ein hartes Kalklager beginnt; infolge dessen ist weithin kein Baum, ja kaum
ein Strauch zu sehen, und häusig bringt bloß die bescheidne und doch so ge¬
waltig aufstrebende Senfpflanze Abwechslung in das einförmige Bild der
Landschaft. Seit uralten Zeiten ist dieser Tavoliere Weideland; man berechnet
die Zahl der Schafe, die z. B. Ende des sechzehnten Jahrhunderts hier ge¬
weidet wurden, auf 4^ Millionen. Auch heute noch ist der Tierbestaud be¬
trächtlich, obgleich sich in den letzten drei Jahrzehnten (im Zusammenhange
mit dem Rückgang der Wollpreise und gefördert durch eine lebhafte theoretisch¬
litterarische Erörterung über die so wünschenswerte wirtschaftliche Hebung des
Tavoliere) der Weizeubcm mehr und mehr ausgedehnt hat. Wir kamen im
Mai, zur Zeit des Hauptjahrmarkts, der Fiera, hierher, die den wichtigsten
Einschnitt in dem Wirtschaftsjahre Apuliens bedeutet. Bei dieser Gelegenheit
wird alles verkäufliche Vieh nach Foggia, dem Mittelpunkte des Weidelands,
getrieben, und es eröffnen sich hierbei Bilder, die die Phantasie unmittelbar
nach Arabien geleiten. Wie die riesigen Tierherden, von lanzenbewehrten
Reitern geführt, in dichte Staubwolken gehüllt, auf den Landstraßen dahin¬
ziehen, und wie sie vor den Mauern der Stadt karawansereiartig lagern, das
ist nicht im mindesten mehr europäisch, sondern orientalisch.

Ganz besonders fesselten mich die tratwri (Äölls xsooro). Im Hochsommer
nämlich, wenn das Weidegras verdorrt, werden die Herden nördlich in das
Abruzzengebirge getrieben, wo sie bis Oktober verweilen. Um diesen gewaltigen
Heereskörpern nun die erforderliche Marschmöglichkeit zu gewähren, hat man
schon vor Jahrhunderten Treibwege von einer Breite ungefähr von 40 bis
120 Metern geschaffen, die lediglich durch niedrige Steinmauern auf den Längs¬
seiten kenntlich gemacht, im übrigen durchaus nicht etwa sahrstraßenmäßig be¬
arbeitet sind, sondern einfach Weideland darstellen; nicht einmal gelegentliche
Felsblöcke sind beseitigt, eine Fahrrinne ist zwar vorhanden, aber sie ist holprig
und schlecht. Von einem Kutschiervergnügen kaun hier also keine Rede sein;
umso tiefer ist der Eindruck, den diese Tratturi in geschichtlicher Hinsicht hervor¬
rufen. Wie altertümlich sind die Wirtschaftsformen, die derartige Treibpfade
zur Voraussetzung haben, wie lebendig wird hier der konservative Charakter
des italienischen Landmanns jedem vor Augen geführt!

Foggia, der schon erwähnte Hauptort dieses apulischen Landes, bietet als


Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

Dieser Tcivoliere ist in der That, wie es der Name andeutet, ein Tafel¬
land, dessen Größe Gregorovius in seiner noch heute lesenswerten, wenngleich
selbstverständlich nicht durchweg einwandfreien Schilderung Apuliens (Wander-
jahre in Italien, Band V) mit 300000 Hektar angiebt. Das Gelände ist
fruchtbar und wohlgeeignet, eine Kornkammer Italiens zu werden, aber es
fehlt an Wasser, zu dessen Beschaffung eine künstliche, natürlich recht kostspielige
Berieselung durchgeführt werden müßte. Auch ist zu beachten, daß die gute
Bodenschicht nur eine Tiefe von 1 bis Meter hat und unter ihr sofort
ein hartes Kalklager beginnt; infolge dessen ist weithin kein Baum, ja kaum
ein Strauch zu sehen, und häusig bringt bloß die bescheidne und doch so ge¬
waltig aufstrebende Senfpflanze Abwechslung in das einförmige Bild der
Landschaft. Seit uralten Zeiten ist dieser Tavoliere Weideland; man berechnet
die Zahl der Schafe, die z. B. Ende des sechzehnten Jahrhunderts hier ge¬
weidet wurden, auf 4^ Millionen. Auch heute noch ist der Tierbestaud be¬
trächtlich, obgleich sich in den letzten drei Jahrzehnten (im Zusammenhange
mit dem Rückgang der Wollpreise und gefördert durch eine lebhafte theoretisch¬
litterarische Erörterung über die so wünschenswerte wirtschaftliche Hebung des
Tavoliere) der Weizeubcm mehr und mehr ausgedehnt hat. Wir kamen im
Mai, zur Zeit des Hauptjahrmarkts, der Fiera, hierher, die den wichtigsten
Einschnitt in dem Wirtschaftsjahre Apuliens bedeutet. Bei dieser Gelegenheit
wird alles verkäufliche Vieh nach Foggia, dem Mittelpunkte des Weidelands,
getrieben, und es eröffnen sich hierbei Bilder, die die Phantasie unmittelbar
nach Arabien geleiten. Wie die riesigen Tierherden, von lanzenbewehrten
Reitern geführt, in dichte Staubwolken gehüllt, auf den Landstraßen dahin¬
ziehen, und wie sie vor den Mauern der Stadt karawansereiartig lagern, das
ist nicht im mindesten mehr europäisch, sondern orientalisch.

Ganz besonders fesselten mich die tratwri (Äölls xsooro). Im Hochsommer
nämlich, wenn das Weidegras verdorrt, werden die Herden nördlich in das
Abruzzengebirge getrieben, wo sie bis Oktober verweilen. Um diesen gewaltigen
Heereskörpern nun die erforderliche Marschmöglichkeit zu gewähren, hat man
schon vor Jahrhunderten Treibwege von einer Breite ungefähr von 40 bis
120 Metern geschaffen, die lediglich durch niedrige Steinmauern auf den Längs¬
seiten kenntlich gemacht, im übrigen durchaus nicht etwa sahrstraßenmäßig be¬
arbeitet sind, sondern einfach Weideland darstellen; nicht einmal gelegentliche
Felsblöcke sind beseitigt, eine Fahrrinne ist zwar vorhanden, aber sie ist holprig
und schlecht. Von einem Kutschiervergnügen kaun hier also keine Rede sein;
umso tiefer ist der Eindruck, den diese Tratturi in geschichtlicher Hinsicht hervor¬
rufen. Wie altertümlich sind die Wirtschaftsformen, die derartige Treibpfade
zur Voraussetzung haben, wie lebendig wird hier der konservative Charakter
des italienischen Landmanns jedem vor Augen geführt!

Foggia, der schon erwähnte Hauptort dieses apulischen Landes, bietet als


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[0092] Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien Dieser Tcivoliere ist in der That, wie es der Name andeutet, ein Tafel¬ land, dessen Größe Gregorovius in seiner noch heute lesenswerten, wenngleich selbstverständlich nicht durchweg einwandfreien Schilderung Apuliens (Wander- jahre in Italien, Band V) mit 300000 Hektar angiebt. Das Gelände ist fruchtbar und wohlgeeignet, eine Kornkammer Italiens zu werden, aber es fehlt an Wasser, zu dessen Beschaffung eine künstliche, natürlich recht kostspielige Berieselung durchgeführt werden müßte. Auch ist zu beachten, daß die gute Bodenschicht nur eine Tiefe von 1 bis Meter hat und unter ihr sofort ein hartes Kalklager beginnt; infolge dessen ist weithin kein Baum, ja kaum ein Strauch zu sehen, und häusig bringt bloß die bescheidne und doch so ge¬ waltig aufstrebende Senfpflanze Abwechslung in das einförmige Bild der Landschaft. Seit uralten Zeiten ist dieser Tavoliere Weideland; man berechnet die Zahl der Schafe, die z. B. Ende des sechzehnten Jahrhunderts hier ge¬ weidet wurden, auf 4^ Millionen. Auch heute noch ist der Tierbestaud be¬ trächtlich, obgleich sich in den letzten drei Jahrzehnten (im Zusammenhange mit dem Rückgang der Wollpreise und gefördert durch eine lebhafte theoretisch¬ litterarische Erörterung über die so wünschenswerte wirtschaftliche Hebung des Tavoliere) der Weizeubcm mehr und mehr ausgedehnt hat. Wir kamen im Mai, zur Zeit des Hauptjahrmarkts, der Fiera, hierher, die den wichtigsten Einschnitt in dem Wirtschaftsjahre Apuliens bedeutet. Bei dieser Gelegenheit wird alles verkäufliche Vieh nach Foggia, dem Mittelpunkte des Weidelands, getrieben, und es eröffnen sich hierbei Bilder, die die Phantasie unmittelbar nach Arabien geleiten. Wie die riesigen Tierherden, von lanzenbewehrten Reitern geführt, in dichte Staubwolken gehüllt, auf den Landstraßen dahin¬ ziehen, und wie sie vor den Mauern der Stadt karawansereiartig lagern, das ist nicht im mindesten mehr europäisch, sondern orientalisch. Ganz besonders fesselten mich die tratwri (Äölls xsooro). Im Hochsommer nämlich, wenn das Weidegras verdorrt, werden die Herden nördlich in das Abruzzengebirge getrieben, wo sie bis Oktober verweilen. Um diesen gewaltigen Heereskörpern nun die erforderliche Marschmöglichkeit zu gewähren, hat man schon vor Jahrhunderten Treibwege von einer Breite ungefähr von 40 bis 120 Metern geschaffen, die lediglich durch niedrige Steinmauern auf den Längs¬ seiten kenntlich gemacht, im übrigen durchaus nicht etwa sahrstraßenmäßig be¬ arbeitet sind, sondern einfach Weideland darstellen; nicht einmal gelegentliche Felsblöcke sind beseitigt, eine Fahrrinne ist zwar vorhanden, aber sie ist holprig und schlecht. Von einem Kutschiervergnügen kaun hier also keine Rede sein; umso tiefer ist der Eindruck, den diese Tratturi in geschichtlicher Hinsicht hervor¬ rufen. Wie altertümlich sind die Wirtschaftsformen, die derartige Treibpfade zur Voraussetzung haben, wie lebendig wird hier der konservative Charakter des italienischen Landmanns jedem vor Augen geführt! Foggia, der schon erwähnte Hauptort dieses apulischen Landes, bietet als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/92>, abgerufen am 15.01.2025.