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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

dumme Wirt, der angstgequälte Vater, die niedliche aber unordentliche Wirtin,
das brüllende Zweimonatsbaby, die zahlreichen, wechselweis auftauchenden und
verschwindenden Freunde -- Goldoni, Moliere und Shakespeare hätten ihre
helle Freude gehabt, hätten sie dieses köstliche Zusammenspiel gesehen.

Am nächsten Morgen gab es ein hübsches Fest, zu dem zahlreiche Land-
leute in den alten bunten Trachten auf Eseln nach der 424 Meter über dem
Meere auf einer Bergkuppe liegenden Stadt heraufgeritten kamen. Dabei stellte
es sich -- echt italienisch! -- heraus, daß sich der armselige kleine Ort eine
eigne uniformierte Musikkapelle hielt, die auf Straßen und Plätzen ihre
Weisen erschallen ließ, und auch im übrigen legt das Städtlein augenscheinlich
Wert darauf, als ein kulturförderndcs, auf der Höhe der Zeit stehendes Zentrum
zu gelten, indem es seit kurzem Acetylengas als öffentliche Beleuchtung ein¬
geführt hat! Kunstgeschichtlich ist der Dom recht beachtenswert, sowohl als
Gebäude (in den antiken Tempelunterbauten eine mittelalterliche ausgemalte
Krypta), wie auch wegen der Wandgemälde im Chor aus der Mitte des
fünfzehnten Jahrhunderts. Das beste an der Stadt aber ist die Aussicht auf
das Meer und den Gran Sasso, die wirklich wundervoll ist.

Auf der ganzen bisher beschriebnen Strecke ist auch die Benutzung der
Haupteisenbahnlinie, von der nach der Mehrzahl der oben genannten Städte
Zweigbahnen abgehen, sehr angenehm. Die Schienen führen fast immer dicht
am Meere entlang, sodaß man nach Osten die große Wasserfläche der Adria
vor sich hat, die erfrischende Meeresluft genießen und sich an den altertümlichen,
buntfarbigen Fischerbooten erfreuen kann, während sich auf der andern Seite
Blicke auf die paradiesisch schönen Bergabhänge und Thäler, ans Städte und
Burgen und ab und zu auf die gewaltigen Felsriesen der Apenninen eröffnen.

Auf der zweiten Strecke, vou Castellammare bis Chieuti, rückt das Hoch¬
gebirge weiter von der Adria ab und entsendet nicht mehr Querriegel bis zu
ihr hin, die Meeresküste wird vielmehr in geringer Entfernung von einem
niedrigen (etwa 200 Meter), ziemlich schroff abfallenden Höhenzuge begleitet, der
leise in Kurven geschwungen ist und hier und da in das Meer vorspringt. Wasser
und Land zeigen also eine unbedeutende Entwicklung, und es ist beachtenswert
genug, daß auch die geschichtliche Vergangenheit dieser Landschaft unbedeutend
ist, und die wenigen hier gelegnen Städte (ich nenne Ortona, Vasto d'Aimone,
Termoli) verhältnismäßig nur klein sind. Immerhin ist selbst hier die Gegend
keineswegs reizlos. Ich vermag nur auf Grund meiner Eisenbahnreise zu
urteilen, aber da die Züge nicht allzu schnell fahren und auf den Haltestellen
recht lange zu verweilen pflegen, so gewinnt man, besonders wenn man, wie ich,
die Strecke bald hintereinander zweimal befährt, einen gewissen Eindruck von
der Gegend, und der geht dahin, daß sie sich durch eine ungewöhnliche Armut
auszeichnet. Darüber giebt es eine vor kurzem erschienene klassische, fein em-
pfundne Schilderung von Gabriele d'Annunzio, wohl dem größten gegenwärtigen


Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

dumme Wirt, der angstgequälte Vater, die niedliche aber unordentliche Wirtin,
das brüllende Zweimonatsbaby, die zahlreichen, wechselweis auftauchenden und
verschwindenden Freunde — Goldoni, Moliere und Shakespeare hätten ihre
helle Freude gehabt, hätten sie dieses köstliche Zusammenspiel gesehen.

Am nächsten Morgen gab es ein hübsches Fest, zu dem zahlreiche Land-
leute in den alten bunten Trachten auf Eseln nach der 424 Meter über dem
Meere auf einer Bergkuppe liegenden Stadt heraufgeritten kamen. Dabei stellte
es sich — echt italienisch! — heraus, daß sich der armselige kleine Ort eine
eigne uniformierte Musikkapelle hielt, die auf Straßen und Plätzen ihre
Weisen erschallen ließ, und auch im übrigen legt das Städtlein augenscheinlich
Wert darauf, als ein kulturförderndcs, auf der Höhe der Zeit stehendes Zentrum
zu gelten, indem es seit kurzem Acetylengas als öffentliche Beleuchtung ein¬
geführt hat! Kunstgeschichtlich ist der Dom recht beachtenswert, sowohl als
Gebäude (in den antiken Tempelunterbauten eine mittelalterliche ausgemalte
Krypta), wie auch wegen der Wandgemälde im Chor aus der Mitte des
fünfzehnten Jahrhunderts. Das beste an der Stadt aber ist die Aussicht auf
das Meer und den Gran Sasso, die wirklich wundervoll ist.

Auf der ganzen bisher beschriebnen Strecke ist auch die Benutzung der
Haupteisenbahnlinie, von der nach der Mehrzahl der oben genannten Städte
Zweigbahnen abgehen, sehr angenehm. Die Schienen führen fast immer dicht
am Meere entlang, sodaß man nach Osten die große Wasserfläche der Adria
vor sich hat, die erfrischende Meeresluft genießen und sich an den altertümlichen,
buntfarbigen Fischerbooten erfreuen kann, während sich auf der andern Seite
Blicke auf die paradiesisch schönen Bergabhänge und Thäler, ans Städte und
Burgen und ab und zu auf die gewaltigen Felsriesen der Apenninen eröffnen.

Auf der zweiten Strecke, vou Castellammare bis Chieuti, rückt das Hoch¬
gebirge weiter von der Adria ab und entsendet nicht mehr Querriegel bis zu
ihr hin, die Meeresküste wird vielmehr in geringer Entfernung von einem
niedrigen (etwa 200 Meter), ziemlich schroff abfallenden Höhenzuge begleitet, der
leise in Kurven geschwungen ist und hier und da in das Meer vorspringt. Wasser
und Land zeigen also eine unbedeutende Entwicklung, und es ist beachtenswert
genug, daß auch die geschichtliche Vergangenheit dieser Landschaft unbedeutend
ist, und die wenigen hier gelegnen Städte (ich nenne Ortona, Vasto d'Aimone,
Termoli) verhältnismäßig nur klein sind. Immerhin ist selbst hier die Gegend
keineswegs reizlos. Ich vermag nur auf Grund meiner Eisenbahnreise zu
urteilen, aber da die Züge nicht allzu schnell fahren und auf den Haltestellen
recht lange zu verweilen pflegen, so gewinnt man, besonders wenn man, wie ich,
die Strecke bald hintereinander zweimal befährt, einen gewissen Eindruck von
der Gegend, und der geht dahin, daß sie sich durch eine ungewöhnliche Armut
auszeichnet. Darüber giebt es eine vor kurzem erschienene klassische, fein em-
pfundne Schilderung von Gabriele d'Annunzio, wohl dem größten gegenwärtigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/90>, abgerufen am 15.01.2025.