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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Aus Dichtung und Wahrheit über Shakespeares Leben

zu einem ältern Hofbeamten, dem Comptroller of the Royal Household, Sir
William Knollys, von Wichtigkeit. Dieser ältliche Würdenträger -- er
war, als Mary 1595 an den Hof kam, schon ein guter Fünfziger -- war
ein alter Freund der Fitton-Familie und mit einer noch beträchtlich ältern
Dame vermählt, deren Tod er mit großer Ungeduld herbeisehnte. Dieser Sir
W. Knollys nun, dem Mary von ihrem Vater als Schützling an sein weites
Herz gelegt worden war, scheint sich nun gar bald in das geistvolle und unter¬
nehmende Hoffräulein verliebt und nur den Tod seiner alten Gattin abgewartet
zu haben, um Mary selbst zu heiraten. Die Briefe an die ältere Schwester
Anne klagen zwar recht häufig über Marys Sprödigkeit, jedoch scheint der
Plan einer ehelichen Verbindung mit Mary dennoch als ausgemachte Familien-
sache gegolten zu haben. Es ist daher, wie immer man über die Interpretation
der sogenannten ^Viti-Lonnets, d. h. der Sonette, in denen das Wortspiel
rin dem Eigennamen Will (-- William) und den verschiednen Bedeutungen
des Wortes ritt Mille, Wunsch, Geneigtheit und Liebesgeneigtheit u. tgi. in.)
eine Rolle spielt, denken mag, nicht ohne Bedeutung, daß nicht nur der Dichter
William Shakespeare, sowie William Herbert Carl of Pembroke, sondern
auch der bedingungsweise verlobte Sir William Knollys denselben Tauf-
namen trugen.*) Ferner gewinnen die bösen Worte des 152. sonettes:
Indem ich dich liebe, weißt du, daß ich meineidig bin (d. h. mein Ehegelübde
dadurch verletze, daß ich als Verheirateter dennoch einer andern meine Liebe
erkläre), doch du bist es doppelt, mir Liebe schwörend, die du dein Ehe¬
gelübde thätlich gebrochen -- **) eine merkwürdige Beleuchtung, wenn damit
etwa wirklich Marys proviforisches Ehegelübde mit Sir W. Knollys gemeint
sein sollte.

Soweit würde also durch die Mitteilungen der Lady Newdigatc-Newdegate
die Tylersche Hypothese nur Unterstützung finden.

Jedoch das lehrreiche Buch enthält auch drei Wiedergaben von Ölporträts
der beiden Schwestern in Photogravüre; das erste zeigt beide Schwestern zu¬
sammen, Anne achtzehnjährig, Mary fünfzehnjährig, aus dem Jahre 1592;
das zweite soll Mary als Hofdame darstellen, das dritte zeigt ihre ältere




Man beacht" z, B, die Verse im 13S, Sonett:
die sich u, a. auch etwa folgendermaßen übersetzen lassen: "Welche immer auch das hat, was
sie wünscht, du hast deinen Willi und dazu noch Willi und noch dazu Willi," wobei ja natürlich
dem dreimal sich wiederholenden Willi jedesmal eine andre oder mehrere der Bedeutungen des
Substantivs pill untergelegt werden können.
Aus Dichtung und Wahrheit über Shakespeares Leben

zu einem ältern Hofbeamten, dem Comptroller of the Royal Household, Sir
William Knollys, von Wichtigkeit. Dieser ältliche Würdenträger — er
war, als Mary 1595 an den Hof kam, schon ein guter Fünfziger — war
ein alter Freund der Fitton-Familie und mit einer noch beträchtlich ältern
Dame vermählt, deren Tod er mit großer Ungeduld herbeisehnte. Dieser Sir
W. Knollys nun, dem Mary von ihrem Vater als Schützling an sein weites
Herz gelegt worden war, scheint sich nun gar bald in das geistvolle und unter¬
nehmende Hoffräulein verliebt und nur den Tod seiner alten Gattin abgewartet
zu haben, um Mary selbst zu heiraten. Die Briefe an die ältere Schwester
Anne klagen zwar recht häufig über Marys Sprödigkeit, jedoch scheint der
Plan einer ehelichen Verbindung mit Mary dennoch als ausgemachte Familien-
sache gegolten zu haben. Es ist daher, wie immer man über die Interpretation
der sogenannten ^Viti-Lonnets, d. h. der Sonette, in denen das Wortspiel
rin dem Eigennamen Will (— William) und den verschiednen Bedeutungen
des Wortes ritt Mille, Wunsch, Geneigtheit und Liebesgeneigtheit u. tgi. in.)
eine Rolle spielt, denken mag, nicht ohne Bedeutung, daß nicht nur der Dichter
William Shakespeare, sowie William Herbert Carl of Pembroke, sondern
auch der bedingungsweise verlobte Sir William Knollys denselben Tauf-
namen trugen.*) Ferner gewinnen die bösen Worte des 152. sonettes:
Indem ich dich liebe, weißt du, daß ich meineidig bin (d. h. mein Ehegelübde
dadurch verletze, daß ich als Verheirateter dennoch einer andern meine Liebe
erkläre), doch du bist es doppelt, mir Liebe schwörend, die du dein Ehe¬
gelübde thätlich gebrochen — **) eine merkwürdige Beleuchtung, wenn damit
etwa wirklich Marys proviforisches Ehegelübde mit Sir W. Knollys gemeint
sein sollte.

Soweit würde also durch die Mitteilungen der Lady Newdigatc-Newdegate
die Tylersche Hypothese nur Unterstützung finden.

Jedoch das lehrreiche Buch enthält auch drei Wiedergaben von Ölporträts
der beiden Schwestern in Photogravüre; das erste zeigt beide Schwestern zu¬
sammen, Anne achtzehnjährig, Mary fünfzehnjährig, aus dem Jahre 1592;
das zweite soll Mary als Hofdame darstellen, das dritte zeigt ihre ältere




Man beacht» z, B, die Verse im 13S, Sonett:
die sich u, a. auch etwa folgendermaßen übersetzen lassen: „Welche immer auch das hat, was
sie wünscht, du hast deinen Willi und dazu noch Willi und noch dazu Willi," wobei ja natürlich
dem dreimal sich wiederholenden Willi jedesmal eine andre oder mehrere der Bedeutungen des
Substantivs pill untergelegt werden können.
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[0084] Aus Dichtung und Wahrheit über Shakespeares Leben zu einem ältern Hofbeamten, dem Comptroller of the Royal Household, Sir William Knollys, von Wichtigkeit. Dieser ältliche Würdenträger — er war, als Mary 1595 an den Hof kam, schon ein guter Fünfziger — war ein alter Freund der Fitton-Familie und mit einer noch beträchtlich ältern Dame vermählt, deren Tod er mit großer Ungeduld herbeisehnte. Dieser Sir W. Knollys nun, dem Mary von ihrem Vater als Schützling an sein weites Herz gelegt worden war, scheint sich nun gar bald in das geistvolle und unter¬ nehmende Hoffräulein verliebt und nur den Tod seiner alten Gattin abgewartet zu haben, um Mary selbst zu heiraten. Die Briefe an die ältere Schwester Anne klagen zwar recht häufig über Marys Sprödigkeit, jedoch scheint der Plan einer ehelichen Verbindung mit Mary dennoch als ausgemachte Familien- sache gegolten zu haben. Es ist daher, wie immer man über die Interpretation der sogenannten ^Viti-Lonnets, d. h. der Sonette, in denen das Wortspiel rin dem Eigennamen Will (— William) und den verschiednen Bedeutungen des Wortes ritt Mille, Wunsch, Geneigtheit und Liebesgeneigtheit u. tgi. in.) eine Rolle spielt, denken mag, nicht ohne Bedeutung, daß nicht nur der Dichter William Shakespeare, sowie William Herbert Carl of Pembroke, sondern auch der bedingungsweise verlobte Sir William Knollys denselben Tauf- namen trugen.*) Ferner gewinnen die bösen Worte des 152. sonettes: Indem ich dich liebe, weißt du, daß ich meineidig bin (d. h. mein Ehegelübde dadurch verletze, daß ich als Verheirateter dennoch einer andern meine Liebe erkläre), doch du bist es doppelt, mir Liebe schwörend, die du dein Ehe¬ gelübde thätlich gebrochen — **) eine merkwürdige Beleuchtung, wenn damit etwa wirklich Marys proviforisches Ehegelübde mit Sir W. Knollys gemeint sein sollte. Soweit würde also durch die Mitteilungen der Lady Newdigatc-Newdegate die Tylersche Hypothese nur Unterstützung finden. Jedoch das lehrreiche Buch enthält auch drei Wiedergaben von Ölporträts der beiden Schwestern in Photogravüre; das erste zeigt beide Schwestern zu¬ sammen, Anne achtzehnjährig, Mary fünfzehnjährig, aus dem Jahre 1592; das zweite soll Mary als Hofdame darstellen, das dritte zeigt ihre ältere Man beacht» z, B, die Verse im 13S, Sonett: die sich u, a. auch etwa folgendermaßen übersetzen lassen: „Welche immer auch das hat, was sie wünscht, du hast deinen Willi und dazu noch Willi und noch dazu Willi," wobei ja natürlich dem dreimal sich wiederholenden Willi jedesmal eine andre oder mehrere der Bedeutungen des Substantivs pill untergelegt werden können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/84>, abgerufen am 15.01.2025.