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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Aus Dichtung und Wahrheit über Shakespeares
Leben
Arnold Schröer vonin
(Schluß)

le Bedeutung dieser Widmung sucht Lee nun mit all seiner be¬
neidenswerten Kenntnis der damaligen Litteratur- und Drucker¬
verhältnisse hinwegzudenten; es ist aus der Entfernung schwer,
ja unmöglich, wenn man nicht einen Einblick in die zeit¬
genössischen Originaldrucke hat, Lee überall zu kontrollieren,
insbesondre deshalb nicht, weil er aus ihnen nur mitteilt, was er als
Stütze für seine Hypothese brauchen kann. Er meint nun, der fragliche
Mr. W. H. sei niemand anders als ein untergeordneter Buchhändler Namens
William Hall gewesen, mit dem der Verleger T. Thorpe (möglicherweise) be¬
freundet gewesen sei, dem er (möglicherweise) Dank schuldig war, sowie Thorpe
im Jahre 1600 eine Ausgabe von Marlows I^uomr seinem Freunde und
Helfer und Kollegen Edward Blount gewidmet hatte. Was uns Lee aus
dieser Widmung mitteilt, unterscheidet sich im Tone doch ganz wesentlich von
der Widmung der Sonette, und solange Lee nicht zwingend beweisen kann, daß
der Wortlaut der Widmung der Sonette ganz etwas andres bedeute, als was
er klar besagt, müssen wir uns doch zunächst an diesen Wortlaut halten. Wie
schon gesagt worden ist, heißt dsggttsr nie und nimmer der Verschaffer von
etwas schon Vorhandnen. Es ist absolut unzulässig, zur Stütze einer Hypothese
den entscheidenden Wörtern Bedeutungen unterzulegen, die sie sonst niemals
gehabt haben; und deshalb ist es unmöglich, in dem Mr. W. H. einen unter¬
geordneten Buchhändler, der das Manuskript dem Drucker verschafft hätte,
zu sehen.*) Allein diese Willkür im Zurechtlegen des klaren Wortlauts zeigt
sich auch in Lech Deutung der weitern Worte der Widmung.



") Es ist doch wohl anzunehmen, daß ein so verdienter Schriftsteller wie Mr. Sidncu
Lee gut englisch versteht und daher wissen wird, daß seine Deutung kUvttvr --- provm-or heute
unzulässig wäre. Doch auch dein elisabethmüschen Sprachgebrauchs widerspricht sie. Er führt
S. 4VS zur Unterstützung seiner Ansicht eine Stelle aus Hamlet und eine aus Deklers Latim-
N-lÄix an, die beide nicht passen; in beiden Fällen handelt es sich nicht um das Herbeischaffen
von Aorhandnein, sondern um das Erzeugen, Zustandebringen. Mr, Lee sehe doch sämtliche


Aus Dichtung und Wahrheit über Shakespeares
Leben
Arnold Schröer vonin
(Schluß)

le Bedeutung dieser Widmung sucht Lee nun mit all seiner be¬
neidenswerten Kenntnis der damaligen Litteratur- und Drucker¬
verhältnisse hinwegzudenten; es ist aus der Entfernung schwer,
ja unmöglich, wenn man nicht einen Einblick in die zeit¬
genössischen Originaldrucke hat, Lee überall zu kontrollieren,
insbesondre deshalb nicht, weil er aus ihnen nur mitteilt, was er als
Stütze für seine Hypothese brauchen kann. Er meint nun, der fragliche
Mr. W. H. sei niemand anders als ein untergeordneter Buchhändler Namens
William Hall gewesen, mit dem der Verleger T. Thorpe (möglicherweise) be¬
freundet gewesen sei, dem er (möglicherweise) Dank schuldig war, sowie Thorpe
im Jahre 1600 eine Ausgabe von Marlows I^uomr seinem Freunde und
Helfer und Kollegen Edward Blount gewidmet hatte. Was uns Lee aus
dieser Widmung mitteilt, unterscheidet sich im Tone doch ganz wesentlich von
der Widmung der Sonette, und solange Lee nicht zwingend beweisen kann, daß
der Wortlaut der Widmung der Sonette ganz etwas andres bedeute, als was
er klar besagt, müssen wir uns doch zunächst an diesen Wortlaut halten. Wie
schon gesagt worden ist, heißt dsggttsr nie und nimmer der Verschaffer von
etwas schon Vorhandnen. Es ist absolut unzulässig, zur Stütze einer Hypothese
den entscheidenden Wörtern Bedeutungen unterzulegen, die sie sonst niemals
gehabt haben; und deshalb ist es unmöglich, in dem Mr. W. H. einen unter¬
geordneten Buchhändler, der das Manuskript dem Drucker verschafft hätte,
zu sehen.*) Allein diese Willkür im Zurechtlegen des klaren Wortlauts zeigt
sich auch in Lech Deutung der weitern Worte der Widmung.



") Es ist doch wohl anzunehmen, daß ein so verdienter Schriftsteller wie Mr. Sidncu
Lee gut englisch versteht und daher wissen wird, daß seine Deutung kUvttvr --- provm-or heute
unzulässig wäre. Doch auch dein elisabethmüschen Sprachgebrauchs widerspricht sie. Er führt
S. 4VS zur Unterstützung seiner Ansicht eine Stelle aus Hamlet und eine aus Deklers Latim-
N-lÄix an, die beide nicht passen; in beiden Fällen handelt es sich nicht um das Herbeischaffen
von Aorhandnein, sondern um das Erzeugen, Zustandebringen. Mr, Lee sehe doch sämtliche
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/80>, abgerufen am 15.01.2025.