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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage

der verbündeten Regierungen. Ich bitte also, wenn weiterhin im Hause, oder
wenn draußen im Lande gegen diesen Paragraphen Einspruch erhoben wird,
diejenige Auslegung zu Grunde zu legen, von der ich Ihnen hier im Namen
der Regierung Kenntnis gegeben habe.' -- Ja, meine Herren, wenn Sie das
anders als die Vorlage ausdrücken wollen, und ich gebe zu, daß Sie viel¬
leicht glücklicher in der Fassung sein werden als wir, wir werden uns jeder
Fassung, die nach dieser Richtung den Gedanken des Entwurfs klar ausspricht,
gern fügen."

Man darf wohl hoffen, daß die Grenzbotenleser Villigkeitsgefühl genug
haben, daß sie, zumal wenn sie erwägen, welche Bedeutung eine solche Er¬
klärung der Regierung für die Gerichtspraxis hat, dem Verlangen des Staats¬
sekretärs des Neichsjustizamts volle Berechtigung zusprechen und einer irrigen
AM-g, xopularis gegenüber offen aussprechen werden: Auch der Z 4 der Vor¬
lage enthält nichts, was den Treibereien der Opposition gegen den Kaiser im
Ernst einen Anhalt böte.

Die Bestimmung des § 5, wonach aus Anlaß der Nichtbeteiligung an
einem Arbeiterausstand oder einer Arbeiteraussperrung bcgaugne thätliche Be¬
leidigungen, vorsätzliche Körperverletzungen oder vorsätzliche Sachbeschädigungen
auch "ohne Antrag" verfolgt werden können, ist von geringer Bedeutung und
von der Opposition in der Hauptsache mit der Behauptung bekämpft worden,
daß, wer sich fürchtet, einen Strafantrag zu stellen, sich auch fürchten werde,
Anzeige zu machen. Der Z 6 will hauptsächlich nachträglich aus Rache für
die Nichtbeteiligung an einer Arbeitseinstellung oder Arbeiteraussperrung be¬
gangne Bedrohungen und Verrufserklürungen unter Strafe stellen. Er ist
gleichfalls für die hier behandelte Frage ganz ohne Bedeutung. Dasselbe gilt
für § 7, der öffentliche Zusammenrottungen, bei denen die in s 1 bis 6 be¬
zeichneten Handlungen "mit vereinten Kräften" mit Gefängnis -- also nicht
mit Geldstrafe -- geahndet wissen will, und zwar an den Rädelsführern mit
Gefängnis nicht unter drei Monaten. Erst recht aber gilt es für die Be¬
stimmungen der Z§ 9 bis 11, die mehr formeller Natur sind.

Dagegen ist § 8 der eigentliche Zuchthausparagraph. Er lautet:

Soll in den Füllen der Z§ 1. 2, 4 ein Arbeiterausstand oder eine Arbeiter¬
aussperrung herbeigeführt oder gefördert werden, und ist der Aufstand oder die
Aussperrung mit Rücksicht auf die Natur oder Bestimmung des Betriebs geeignet,
die Sicherheit des Reichs oder eines Bundesstaats zu gefährden oder eine gemeine
Gefahr für Menschenleben oder für das Eigentum herbeizuführen, so tritt Gefängnis¬
strafe nicht unter einem Monat, gegen die Rädelsführer Gefängnisstrafe nicht unter
sechs Monaten ein.

Ist infolge des Arbeiterausstandes oder der Arbeiteraussperrung eine Ge¬
fährdung der Sicherheit des Reichs oder eines Bundesstaats eingetreten oder eine
gemeine Gefahr für Menschenleben oder das Eigentum herbeigeführt worden, so ist
auf Zuchthaus bis zu drei Jahren, gegen die Rädelsführer auf Zuchthaus bis zu
fünf Jahren zu erkennen.


Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage

der verbündeten Regierungen. Ich bitte also, wenn weiterhin im Hause, oder
wenn draußen im Lande gegen diesen Paragraphen Einspruch erhoben wird,
diejenige Auslegung zu Grunde zu legen, von der ich Ihnen hier im Namen
der Regierung Kenntnis gegeben habe.' — Ja, meine Herren, wenn Sie das
anders als die Vorlage ausdrücken wollen, und ich gebe zu, daß Sie viel¬
leicht glücklicher in der Fassung sein werden als wir, wir werden uns jeder
Fassung, die nach dieser Richtung den Gedanken des Entwurfs klar ausspricht,
gern fügen."

Man darf wohl hoffen, daß die Grenzbotenleser Villigkeitsgefühl genug
haben, daß sie, zumal wenn sie erwägen, welche Bedeutung eine solche Er¬
klärung der Regierung für die Gerichtspraxis hat, dem Verlangen des Staats¬
sekretärs des Neichsjustizamts volle Berechtigung zusprechen und einer irrigen
AM-g, xopularis gegenüber offen aussprechen werden: Auch der Z 4 der Vor¬
lage enthält nichts, was den Treibereien der Opposition gegen den Kaiser im
Ernst einen Anhalt böte.

Die Bestimmung des § 5, wonach aus Anlaß der Nichtbeteiligung an
einem Arbeiterausstand oder einer Arbeiteraussperrung bcgaugne thätliche Be¬
leidigungen, vorsätzliche Körperverletzungen oder vorsätzliche Sachbeschädigungen
auch „ohne Antrag" verfolgt werden können, ist von geringer Bedeutung und
von der Opposition in der Hauptsache mit der Behauptung bekämpft worden,
daß, wer sich fürchtet, einen Strafantrag zu stellen, sich auch fürchten werde,
Anzeige zu machen. Der Z 6 will hauptsächlich nachträglich aus Rache für
die Nichtbeteiligung an einer Arbeitseinstellung oder Arbeiteraussperrung be¬
gangne Bedrohungen und Verrufserklürungen unter Strafe stellen. Er ist
gleichfalls für die hier behandelte Frage ganz ohne Bedeutung. Dasselbe gilt
für § 7, der öffentliche Zusammenrottungen, bei denen die in s 1 bis 6 be¬
zeichneten Handlungen „mit vereinten Kräften" mit Gefängnis — also nicht
mit Geldstrafe — geahndet wissen will, und zwar an den Rädelsführern mit
Gefängnis nicht unter drei Monaten. Erst recht aber gilt es für die Be¬
stimmungen der Z§ 9 bis 11, die mehr formeller Natur sind.

Dagegen ist § 8 der eigentliche Zuchthausparagraph. Er lautet:

Soll in den Füllen der Z§ 1. 2, 4 ein Arbeiterausstand oder eine Arbeiter¬
aussperrung herbeigeführt oder gefördert werden, und ist der Aufstand oder die
Aussperrung mit Rücksicht auf die Natur oder Bestimmung des Betriebs geeignet,
die Sicherheit des Reichs oder eines Bundesstaats zu gefährden oder eine gemeine
Gefahr für Menschenleben oder für das Eigentum herbeizuführen, so tritt Gefängnis¬
strafe nicht unter einem Monat, gegen die Rädelsführer Gefängnisstrafe nicht unter
sechs Monaten ein.

Ist infolge des Arbeiterausstandes oder der Arbeiteraussperrung eine Ge¬
fährdung der Sicherheit des Reichs oder eines Bundesstaats eingetreten oder eine
gemeine Gefahr für Menschenleben oder das Eigentum herbeigeführt worden, so ist
auf Zuchthaus bis zu drei Jahren, gegen die Rädelsführer auf Zuchthaus bis zu
fünf Jahren zu erkennen.


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[0063] Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage der verbündeten Regierungen. Ich bitte also, wenn weiterhin im Hause, oder wenn draußen im Lande gegen diesen Paragraphen Einspruch erhoben wird, diejenige Auslegung zu Grunde zu legen, von der ich Ihnen hier im Namen der Regierung Kenntnis gegeben habe.' — Ja, meine Herren, wenn Sie das anders als die Vorlage ausdrücken wollen, und ich gebe zu, daß Sie viel¬ leicht glücklicher in der Fassung sein werden als wir, wir werden uns jeder Fassung, die nach dieser Richtung den Gedanken des Entwurfs klar ausspricht, gern fügen." Man darf wohl hoffen, daß die Grenzbotenleser Villigkeitsgefühl genug haben, daß sie, zumal wenn sie erwägen, welche Bedeutung eine solche Er¬ klärung der Regierung für die Gerichtspraxis hat, dem Verlangen des Staats¬ sekretärs des Neichsjustizamts volle Berechtigung zusprechen und einer irrigen AM-g, xopularis gegenüber offen aussprechen werden: Auch der Z 4 der Vor¬ lage enthält nichts, was den Treibereien der Opposition gegen den Kaiser im Ernst einen Anhalt böte. Die Bestimmung des § 5, wonach aus Anlaß der Nichtbeteiligung an einem Arbeiterausstand oder einer Arbeiteraussperrung bcgaugne thätliche Be¬ leidigungen, vorsätzliche Körperverletzungen oder vorsätzliche Sachbeschädigungen auch „ohne Antrag" verfolgt werden können, ist von geringer Bedeutung und von der Opposition in der Hauptsache mit der Behauptung bekämpft worden, daß, wer sich fürchtet, einen Strafantrag zu stellen, sich auch fürchten werde, Anzeige zu machen. Der Z 6 will hauptsächlich nachträglich aus Rache für die Nichtbeteiligung an einer Arbeitseinstellung oder Arbeiteraussperrung be¬ gangne Bedrohungen und Verrufserklürungen unter Strafe stellen. Er ist gleichfalls für die hier behandelte Frage ganz ohne Bedeutung. Dasselbe gilt für § 7, der öffentliche Zusammenrottungen, bei denen die in s 1 bis 6 be¬ zeichneten Handlungen „mit vereinten Kräften" mit Gefängnis — also nicht mit Geldstrafe — geahndet wissen will, und zwar an den Rädelsführern mit Gefängnis nicht unter drei Monaten. Erst recht aber gilt es für die Be¬ stimmungen der Z§ 9 bis 11, die mehr formeller Natur sind. Dagegen ist § 8 der eigentliche Zuchthausparagraph. Er lautet: Soll in den Füllen der Z§ 1. 2, 4 ein Arbeiterausstand oder eine Arbeiter¬ aussperrung herbeigeführt oder gefördert werden, und ist der Aufstand oder die Aussperrung mit Rücksicht auf die Natur oder Bestimmung des Betriebs geeignet, die Sicherheit des Reichs oder eines Bundesstaats zu gefährden oder eine gemeine Gefahr für Menschenleben oder für das Eigentum herbeizuführen, so tritt Gefängnis¬ strafe nicht unter einem Monat, gegen die Rädelsführer Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Ist infolge des Arbeiterausstandes oder der Arbeiteraussperrung eine Ge¬ fährdung der Sicherheit des Reichs oder eines Bundesstaats eingetreten oder eine gemeine Gefahr für Menschenleben oder das Eigentum herbeigeführt worden, so ist auf Zuchthaus bis zu drei Jahren, gegen die Rädelsführer auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu erkennen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/63>, abgerufen am 15.01.2025.