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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Thüringer Märchen

schon für ihn sorgen, Apropos! setzte er hinzu, wenn seine Verwandlung doppelt
ist, nicht bloß aus einem Hirsch in einen Menschen, sondern auch aus einem Erz¬
Halunken in einen braven Menschen. Und damit basta!

Der Vollmond war aufgegangen und lachte die beiden Männer an als ein
alter Schelm, gerade als hätte er sagen wollen: schmiedet nur Pläne! Wir kennen
das besser!

Noch nicht lange hatte der Förster Basta! gesagt; da stand der traurige
Mann auf, gähnte, als würde er recht schläfrig, lief schwankend etwa hundert
Schritte dahin und stürzte dann zusammen. Der alte Habersang schüttelte wie in
Gedanken versunken den Kopf, ungefähr, als wollte er gründlich über etwas nach¬
denken. Dann stand er ans, um nach dem Manne zu sehen. Aber schon auf
halbem Wege stand er still: wo der Mann gelegen hatte, stand der "Kapitalhirsch"
auf nud lief davon. Die anderthalb Stunden der zu frühen Verwandlung waren
schnell vergangen.

Der Herr Förster machte sich kopfschüttelnd auf den Heimweg und brummte:
Mögen sie nun sehen, wo sie Hirschhornsalat herkriegen!

Danach waren wieder fünf Jahre vergangen, und der alte Habersang wurde
in den Ruhestand versetzt, und sein Sohn wurde sein Amtsnachfolger und zog ins
Forsthaus ein und pflegte da auch seines Vaters. Die wohlbetagte Mutter hatte
das Zeitliche gesegnet. Eines schönen Abends saß der alte Habersang mit dem
jungen Förster, seinem Sohne, auf der grünen Lehnbank vor dem Forsthause, und
sie bliesen aus ihren langen Tabakpfeifen blane Wölkchen in die Luft und Süden
ihnen nach, wie sie zerrannen im Aufsteigen, und dachten dabei um das Leben des
Menschen, wie das auch zerrinne, als ob jedes Jahr ein blaues Wölkchen aus der
Tabakpfeife wäre. Ans einmal blies der Alte eine mächtige Wolke in die Luft
und sagte: Junge, Schafs eine Fron ins Hans! Die Dienstboten werden mir zu
fasrig und unnütz. Da wurde der Sohn ein wenig rot über dem Hemdkrngen
und blies eine noch größere Wolke in den Abend hinein; aber er sagte nichts.

Das Käthchen im Köhlerhaus war unterdessen zu einer schönen, züchtigen
Jungfrau herangewachsen. Und eines Tags führte sie der junge Förster in schmucker
Amtstracht, den Degen an der Seite, goldne Tressen am großen grünen Hut, in
die Kirche und ließ sich mit ihr trauen. Darüber hatte der alte Habersang eine
so große Freude, daß er auf der Hochzeit einen Reihen mit dem Kutscher tanzte
und dabei Vivat! rief.

Die Großmutter wurde vom Käthchen mit ins Forsthaus genommen samt ihren
Ziegen. So war es gekommen, daß das alte Köhlerhaus verlassen stand. Aber
der junge Habersang nannte es seine Waldwinne und kehrte zum Frühstücken oder
der Erinnerung wegen oft da ein und hat es gut im Stand erhalten bis auf den
heutigen Tag.

So oft der pensionierte Förster in kleiner, auserlesener Gesellschaft sein Aben¬
teuer mit dem "Kapitalhirsch" zum besten gab und dabei den Unglauben in den
Gesichtern in der Runde sah, fügte er immer sehr ernsthaft hinzu: Der alte Haber¬
sang hat nie gelogen!




Thüringer Märchen

schon für ihn sorgen, Apropos! setzte er hinzu, wenn seine Verwandlung doppelt
ist, nicht bloß aus einem Hirsch in einen Menschen, sondern auch aus einem Erz¬
Halunken in einen braven Menschen. Und damit basta!

Der Vollmond war aufgegangen und lachte die beiden Männer an als ein
alter Schelm, gerade als hätte er sagen wollen: schmiedet nur Pläne! Wir kennen
das besser!

Noch nicht lange hatte der Förster Basta! gesagt; da stand der traurige
Mann auf, gähnte, als würde er recht schläfrig, lief schwankend etwa hundert
Schritte dahin und stürzte dann zusammen. Der alte Habersang schüttelte wie in
Gedanken versunken den Kopf, ungefähr, als wollte er gründlich über etwas nach¬
denken. Dann stand er ans, um nach dem Manne zu sehen. Aber schon auf
halbem Wege stand er still: wo der Mann gelegen hatte, stand der „Kapitalhirsch"
auf nud lief davon. Die anderthalb Stunden der zu frühen Verwandlung waren
schnell vergangen.

Der Herr Förster machte sich kopfschüttelnd auf den Heimweg und brummte:
Mögen sie nun sehen, wo sie Hirschhornsalat herkriegen!

Danach waren wieder fünf Jahre vergangen, und der alte Habersang wurde
in den Ruhestand versetzt, und sein Sohn wurde sein Amtsnachfolger und zog ins
Forsthaus ein und pflegte da auch seines Vaters. Die wohlbetagte Mutter hatte
das Zeitliche gesegnet. Eines schönen Abends saß der alte Habersang mit dem
jungen Förster, seinem Sohne, auf der grünen Lehnbank vor dem Forsthause, und
sie bliesen aus ihren langen Tabakpfeifen blane Wölkchen in die Luft und Süden
ihnen nach, wie sie zerrannen im Aufsteigen, und dachten dabei um das Leben des
Menschen, wie das auch zerrinne, als ob jedes Jahr ein blaues Wölkchen aus der
Tabakpfeife wäre. Ans einmal blies der Alte eine mächtige Wolke in die Luft
und sagte: Junge, Schafs eine Fron ins Hans! Die Dienstboten werden mir zu
fasrig und unnütz. Da wurde der Sohn ein wenig rot über dem Hemdkrngen
und blies eine noch größere Wolke in den Abend hinein; aber er sagte nichts.

Das Käthchen im Köhlerhaus war unterdessen zu einer schönen, züchtigen
Jungfrau herangewachsen. Und eines Tags führte sie der junge Förster in schmucker
Amtstracht, den Degen an der Seite, goldne Tressen am großen grünen Hut, in
die Kirche und ließ sich mit ihr trauen. Darüber hatte der alte Habersang eine
so große Freude, daß er auf der Hochzeit einen Reihen mit dem Kutscher tanzte
und dabei Vivat! rief.

Die Großmutter wurde vom Käthchen mit ins Forsthaus genommen samt ihren
Ziegen. So war es gekommen, daß das alte Köhlerhaus verlassen stand. Aber
der junge Habersang nannte es seine Waldwinne und kehrte zum Frühstücken oder
der Erinnerung wegen oft da ein und hat es gut im Stand erhalten bis auf den
heutigen Tag.

So oft der pensionierte Förster in kleiner, auserlesener Gesellschaft sein Aben¬
teuer mit dem „Kapitalhirsch" zum besten gab und dabei den Unglauben in den
Gesichtern in der Runde sah, fügte er immer sehr ernsthaft hinzu: Der alte Haber¬
sang hat nie gelogen!




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[0627] Thüringer Märchen schon für ihn sorgen, Apropos! setzte er hinzu, wenn seine Verwandlung doppelt ist, nicht bloß aus einem Hirsch in einen Menschen, sondern auch aus einem Erz¬ Halunken in einen braven Menschen. Und damit basta! Der Vollmond war aufgegangen und lachte die beiden Männer an als ein alter Schelm, gerade als hätte er sagen wollen: schmiedet nur Pläne! Wir kennen das besser! Noch nicht lange hatte der Förster Basta! gesagt; da stand der traurige Mann auf, gähnte, als würde er recht schläfrig, lief schwankend etwa hundert Schritte dahin und stürzte dann zusammen. Der alte Habersang schüttelte wie in Gedanken versunken den Kopf, ungefähr, als wollte er gründlich über etwas nach¬ denken. Dann stand er ans, um nach dem Manne zu sehen. Aber schon auf halbem Wege stand er still: wo der Mann gelegen hatte, stand der „Kapitalhirsch" auf nud lief davon. Die anderthalb Stunden der zu frühen Verwandlung waren schnell vergangen. Der Herr Förster machte sich kopfschüttelnd auf den Heimweg und brummte: Mögen sie nun sehen, wo sie Hirschhornsalat herkriegen! Danach waren wieder fünf Jahre vergangen, und der alte Habersang wurde in den Ruhestand versetzt, und sein Sohn wurde sein Amtsnachfolger und zog ins Forsthaus ein und pflegte da auch seines Vaters. Die wohlbetagte Mutter hatte das Zeitliche gesegnet. Eines schönen Abends saß der alte Habersang mit dem jungen Förster, seinem Sohne, auf der grünen Lehnbank vor dem Forsthause, und sie bliesen aus ihren langen Tabakpfeifen blane Wölkchen in die Luft und Süden ihnen nach, wie sie zerrannen im Aufsteigen, und dachten dabei um das Leben des Menschen, wie das auch zerrinne, als ob jedes Jahr ein blaues Wölkchen aus der Tabakpfeife wäre. Ans einmal blies der Alte eine mächtige Wolke in die Luft und sagte: Junge, Schafs eine Fron ins Hans! Die Dienstboten werden mir zu fasrig und unnütz. Da wurde der Sohn ein wenig rot über dem Hemdkrngen und blies eine noch größere Wolke in den Abend hinein; aber er sagte nichts. Das Käthchen im Köhlerhaus war unterdessen zu einer schönen, züchtigen Jungfrau herangewachsen. Und eines Tags führte sie der junge Förster in schmucker Amtstracht, den Degen an der Seite, goldne Tressen am großen grünen Hut, in die Kirche und ließ sich mit ihr trauen. Darüber hatte der alte Habersang eine so große Freude, daß er auf der Hochzeit einen Reihen mit dem Kutscher tanzte und dabei Vivat! rief. Die Großmutter wurde vom Käthchen mit ins Forsthaus genommen samt ihren Ziegen. So war es gekommen, daß das alte Köhlerhaus verlassen stand. Aber der junge Habersang nannte es seine Waldwinne und kehrte zum Frühstücken oder der Erinnerung wegen oft da ein und hat es gut im Stand erhalten bis auf den heutigen Tag. So oft der pensionierte Förster in kleiner, auserlesener Gesellschaft sein Aben¬ teuer mit dem „Kapitalhirsch" zum besten gab und dabei den Unglauben in den Gesichtern in der Runde sah, fügte er immer sehr ernsthaft hinzu: Der alte Haber¬ sang hat nie gelogen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/627>, abgerufen am 15.01.2025.