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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Geheimmittel

oder die Mutter, die ihres Lieblings Krankheit, unterstützt von dem ihr von
der Natur angegebnen Instinkte, heilte; erinnern wir uns, daß sie später diese
Funktionen dem Arzte der Seele, dem Priester, dem ihr auch auf diesem
Felde überlegnen Manne übertrug, so kann es uns nicht wunder nehmen,
daß sich Frauen und Priester, als sich die verschiednen Stande weiter differen¬
zierten, Eingriffe in die Heilkunst erlaubten und noch erlauben. Ebenso ist es
völlig begreiflich, daß bei der Ausübung der Heilkunst durch diese Afterärzte
Eigenschaften bei ihnen zu Tage traten, die sie in der frühern Zeit des Ver¬
trauens als Arzt unwürdig machten, und die dazu führten, daß ihnen die ärztliche
Thätigkeit entzogen wurde. Wohl sind Namen von Ärztinnen und Priester¬
ärzten überliefert worden, die sich eines gewissen wissenschaftlichen Ansehens
erfreuen, es überwiegen aber doch Thatsachen, die bei beiden einen Mißbrauch
ihres Amtes zeigen.

Schon vor der meines Wissens ersten Medizinalordnung des Königs Roger
von Sizilien, die auch Veranlassung nehmen muß, sich energisch gegen das
Pfuscher der Mönche zu wenden, verbietet Papst Innocenz auf dem Konzil
in Clermont im Jahre 1130, später in Reims, den Geistlichen die Ausübung
der Arzneikunst; mittelalterliche Verordnungen sprechen sich den Frauen gegen¬
über ähnlich aus, und in einer "curieusen Hausapotheke" (Frankfurt, 1700)
findet sich ein Spruch, der mit kleinen Änderungen aus dem RsZiniön Laler-
tmarmro. aus dem Anfang des zwölften Jahrhunderts übernommen ist:


?inZunt 8S woäiüos owuss -- läiotvs, LaosrÄos
^lldavus, NonsoKus, lüstrio, Rasor, L.vus,
Nilo", Nereatoi-, Lsi'alö, ^sutrix, Or^or.

Auch die jüngste Zeit bietet Belege für die geschilderten Zustände. In
Salzburg haben die weltlichen Behörden den barmherzigen Schwestern das An¬
fertigen von Arzneimitteln verboten; vor wenig Monaten noch rief ein päpst¬
liches Dekret den Geistlichen die oben erwähnten Verbote ins Gedächtnis; und
das im Jahre 1869 von Rom aus wiederholt erlassene Dekret, das den Ärzten
den Doktortitel versagt, wenn sie sich nicht eidlich verpflichten, den Kranken
binnen drei Tagen zum Beichten zu veranlassen, zeugt eindringlich von dem
Wert, den die Kirche auf eine innige Verquickung mit der Medizin legt. Es
dürfte auch noch in aller Gedächtnis fein, daß eine hohe Dame durch die
Tagesblätter um ein paar in der Neujahrsnacht geschossene Krähen bat, die zu
einem Epilepsiemittel verwandt werden sollten; und allgemeine physiologische
oder psychologische Erwägungen machen es erklärlich und entschuldbar, daß die
schwache, einer Menge eingebildeter Krankheiten unterworfne Frauenwelt ein
eingehenderes Interesse für die Heilkunde hat als der vom Kampf mit dem
Dasein unendlich mehr in Anspruch genommne Mann.

Die Zeiten ändern sich, mit ihnen die Menschen, die sich in Bezug auf


Geheimmittel

oder die Mutter, die ihres Lieblings Krankheit, unterstützt von dem ihr von
der Natur angegebnen Instinkte, heilte; erinnern wir uns, daß sie später diese
Funktionen dem Arzte der Seele, dem Priester, dem ihr auch auf diesem
Felde überlegnen Manne übertrug, so kann es uns nicht wunder nehmen,
daß sich Frauen und Priester, als sich die verschiednen Stande weiter differen¬
zierten, Eingriffe in die Heilkunst erlaubten und noch erlauben. Ebenso ist es
völlig begreiflich, daß bei der Ausübung der Heilkunst durch diese Afterärzte
Eigenschaften bei ihnen zu Tage traten, die sie in der frühern Zeit des Ver¬
trauens als Arzt unwürdig machten, und die dazu führten, daß ihnen die ärztliche
Thätigkeit entzogen wurde. Wohl sind Namen von Ärztinnen und Priester¬
ärzten überliefert worden, die sich eines gewissen wissenschaftlichen Ansehens
erfreuen, es überwiegen aber doch Thatsachen, die bei beiden einen Mißbrauch
ihres Amtes zeigen.

Schon vor der meines Wissens ersten Medizinalordnung des Königs Roger
von Sizilien, die auch Veranlassung nehmen muß, sich energisch gegen das
Pfuscher der Mönche zu wenden, verbietet Papst Innocenz auf dem Konzil
in Clermont im Jahre 1130, später in Reims, den Geistlichen die Ausübung
der Arzneikunst; mittelalterliche Verordnungen sprechen sich den Frauen gegen¬
über ähnlich aus, und in einer „curieusen Hausapotheke" (Frankfurt, 1700)
findet sich ein Spruch, der mit kleinen Änderungen aus dem RsZiniön Laler-
tmarmro. aus dem Anfang des zwölften Jahrhunderts übernommen ist:


?inZunt 8S woäiüos owuss — läiotvs, LaosrÄos
^lldavus, NonsoKus, lüstrio, Rasor, L.vus,
Nilo«, Nereatoi-, Lsi'alö, ^sutrix, Or^or.

Auch die jüngste Zeit bietet Belege für die geschilderten Zustände. In
Salzburg haben die weltlichen Behörden den barmherzigen Schwestern das An¬
fertigen von Arzneimitteln verboten; vor wenig Monaten noch rief ein päpst¬
liches Dekret den Geistlichen die oben erwähnten Verbote ins Gedächtnis; und
das im Jahre 1869 von Rom aus wiederholt erlassene Dekret, das den Ärzten
den Doktortitel versagt, wenn sie sich nicht eidlich verpflichten, den Kranken
binnen drei Tagen zum Beichten zu veranlassen, zeugt eindringlich von dem
Wert, den die Kirche auf eine innige Verquickung mit der Medizin legt. Es
dürfte auch noch in aller Gedächtnis fein, daß eine hohe Dame durch die
Tagesblätter um ein paar in der Neujahrsnacht geschossene Krähen bat, die zu
einem Epilepsiemittel verwandt werden sollten; und allgemeine physiologische
oder psychologische Erwägungen machen es erklärlich und entschuldbar, daß die
schwache, einer Menge eingebildeter Krankheiten unterworfne Frauenwelt ein
eingehenderes Interesse für die Heilkunde hat als der vom Kampf mit dem
Dasein unendlich mehr in Anspruch genommne Mann.

Die Zeiten ändern sich, mit ihnen die Menschen, die sich in Bezug auf


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[0615] Geheimmittel oder die Mutter, die ihres Lieblings Krankheit, unterstützt von dem ihr von der Natur angegebnen Instinkte, heilte; erinnern wir uns, daß sie später diese Funktionen dem Arzte der Seele, dem Priester, dem ihr auch auf diesem Felde überlegnen Manne übertrug, so kann es uns nicht wunder nehmen, daß sich Frauen und Priester, als sich die verschiednen Stande weiter differen¬ zierten, Eingriffe in die Heilkunst erlaubten und noch erlauben. Ebenso ist es völlig begreiflich, daß bei der Ausübung der Heilkunst durch diese Afterärzte Eigenschaften bei ihnen zu Tage traten, die sie in der frühern Zeit des Ver¬ trauens als Arzt unwürdig machten, und die dazu führten, daß ihnen die ärztliche Thätigkeit entzogen wurde. Wohl sind Namen von Ärztinnen und Priester¬ ärzten überliefert worden, die sich eines gewissen wissenschaftlichen Ansehens erfreuen, es überwiegen aber doch Thatsachen, die bei beiden einen Mißbrauch ihres Amtes zeigen. Schon vor der meines Wissens ersten Medizinalordnung des Königs Roger von Sizilien, die auch Veranlassung nehmen muß, sich energisch gegen das Pfuscher der Mönche zu wenden, verbietet Papst Innocenz auf dem Konzil in Clermont im Jahre 1130, später in Reims, den Geistlichen die Ausübung der Arzneikunst; mittelalterliche Verordnungen sprechen sich den Frauen gegen¬ über ähnlich aus, und in einer „curieusen Hausapotheke" (Frankfurt, 1700) findet sich ein Spruch, der mit kleinen Änderungen aus dem RsZiniön Laler- tmarmro. aus dem Anfang des zwölften Jahrhunderts übernommen ist: ?inZunt 8S woäiüos owuss — läiotvs, LaosrÄos ^lldavus, NonsoKus, lüstrio, Rasor, L.vus, Nilo«, Nereatoi-, Lsi'alö, ^sutrix, Or^or. Auch die jüngste Zeit bietet Belege für die geschilderten Zustände. In Salzburg haben die weltlichen Behörden den barmherzigen Schwestern das An¬ fertigen von Arzneimitteln verboten; vor wenig Monaten noch rief ein päpst¬ liches Dekret den Geistlichen die oben erwähnten Verbote ins Gedächtnis; und das im Jahre 1869 von Rom aus wiederholt erlassene Dekret, das den Ärzten den Doktortitel versagt, wenn sie sich nicht eidlich verpflichten, den Kranken binnen drei Tagen zum Beichten zu veranlassen, zeugt eindringlich von dem Wert, den die Kirche auf eine innige Verquickung mit der Medizin legt. Es dürfte auch noch in aller Gedächtnis fein, daß eine hohe Dame durch die Tagesblätter um ein paar in der Neujahrsnacht geschossene Krähen bat, die zu einem Epilepsiemittel verwandt werden sollten; und allgemeine physiologische oder psychologische Erwägungen machen es erklärlich und entschuldbar, daß die schwache, einer Menge eingebildeter Krankheiten unterworfne Frauenwelt ein eingehenderes Interesse für die Heilkunde hat als der vom Kampf mit dem Dasein unendlich mehr in Anspruch genommne Mann. Die Zeiten ändern sich, mit ihnen die Menschen, die sich in Bezug auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/615>, abgerufen am 15.01.2025.