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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Geheimmittel

deren Kraft durch den persönlichen Einfluß des Arztes noch erhöht wurde, gab
seine Wissenschaft nicht ohne weiteres preis, sondern er beutete sie zur eignen
Ehre, zu dem Vorteil seines Klosters oder zu seinem eignen aus. Ganz ebenso
gestaltete sich der Mensch den Zufall, der ihn zur Kenntnis verborgner Heilkräfte
führte. Er beobachtete den Reiher, der mit Hilfe seines langen Schnabels seinem
Genossen die Wohlthat eines Eingusses zu teil werden ließ, und erfand und nutzte
das Instrument als Geldquelle aus, das man jetzt im Salon nicht nennen darf,
und das, vielbesungen und umstritten, unter der Herrschaft des Sonnenkönigs auf
dem Toilettetisch keiner Dame fehlen durfte. Er beobachtete, daß eine Schwalbe
die kranken Augen einer andern mit dem Saft des Schöllkrauts netzte, und
machte sich die Entdeckung zu nutze. Patroklus stillte das aus der Wunde des
Eurhpylvs rinnende Blut mit einer mir ihm bekannten Wurzel; Augenärzte des
klassischen Roms vertrieben ihre geheimgehaltnen Augensalben; der landgräfliche
Leibarzt Dr. Magenbuch empfahl sein Pestantidot, aber er selbst erlag trotz dessen
Gebrauch diesem Würgengel der Menschheit 1545 im Lager Karls V. bei Eich-
städt. Der sogenannte Schwcfelbalsam erfreute sich schon im Anfang des sech¬
zehnten Jahrhunderts eines unerhörten Ansehens; die Jesuiten nahmen keinen
Anstand, das noch mit dem Schleier des Geheimnisses nmgebne Fiebermittel der
Neuen Welt, die wohlthätige Chinarinde, das ?v1vo et"z los ^vsuitos, materiell
auszunutzen; die Benediktiner, die Hauptförderer der Medizin, die schon auf dem
Monte Cnssino im Jahre 1022 eine Apotheke errichteten, setzten und setzen die
Heilkraft vieler nur ihnen bekannten Kräuter zum Besten ihres Klosters in
klingendes Gold um; das Hallische Waisenhaus deckte eine Menge seiner für
Wohlthaten gemachten Ausgaben durch den Verkauf von Arzneimitteln; die
warmen Quellen von Wiesbaden und Baden-Baden, in denen schon die Offi¬
ziere Cäsars Heilung suchten und zum Zeitvertreib ot, iiupar spielten,
und von Wildbad, dessen Heilkraft badende Eber verrieten, wurden ungezählten
Tausenden zur Quelle des Wohlstands; Liebig, den die Vorsehung auf das
Studium des Fleischsafts führte, stand nicht an, seine Erfindung auszubeuten;
Professor Knorr. Professor Mehring scheuen sich durchaus nicht, den goldnen
Lohn einzuheimsen, den die Industrie ihnen für ihre Entdeckungen auszahlt.

Ist diese wirtschaftliche Ausnutzung des Wissens, das der nächste Augen¬
blick schon wertlos machen kann, ungesetzlich, unmoralisch? Ans andern Ge¬
bieten hat niemand etwas dagegen einzuwenden. Verdient das geheimgehaltne
Arzneimittel die Verfolgung? Auch im Reiche Äsknlaps und Hhgieas herrscht
die Mode. Was heute vergöttert wird, wird morgen achtlos in die Ecke ge¬
worfen. Das Licht des angestaunten Wundermittels verblaßt vor dem vielleicht
ebenso trügerischen Licht der neuen Panacee. Die meisten Geheimmittel, gegen
die zu Felde gezogen wird, waren vor Zeiten von den Ärzten verordnet und
nehmen in den alten Arzneibüchern eine geachtete Stellung ein., Die Zeit ließ
ihren Ruhm verblassen, der von ihm zeugende Foliant wanderte in die Kammer


Geheimmittel

deren Kraft durch den persönlichen Einfluß des Arztes noch erhöht wurde, gab
seine Wissenschaft nicht ohne weiteres preis, sondern er beutete sie zur eignen
Ehre, zu dem Vorteil seines Klosters oder zu seinem eignen aus. Ganz ebenso
gestaltete sich der Mensch den Zufall, der ihn zur Kenntnis verborgner Heilkräfte
führte. Er beobachtete den Reiher, der mit Hilfe seines langen Schnabels seinem
Genossen die Wohlthat eines Eingusses zu teil werden ließ, und erfand und nutzte
das Instrument als Geldquelle aus, das man jetzt im Salon nicht nennen darf,
und das, vielbesungen und umstritten, unter der Herrschaft des Sonnenkönigs auf
dem Toilettetisch keiner Dame fehlen durfte. Er beobachtete, daß eine Schwalbe
die kranken Augen einer andern mit dem Saft des Schöllkrauts netzte, und
machte sich die Entdeckung zu nutze. Patroklus stillte das aus der Wunde des
Eurhpylvs rinnende Blut mit einer mir ihm bekannten Wurzel; Augenärzte des
klassischen Roms vertrieben ihre geheimgehaltnen Augensalben; der landgräfliche
Leibarzt Dr. Magenbuch empfahl sein Pestantidot, aber er selbst erlag trotz dessen
Gebrauch diesem Würgengel der Menschheit 1545 im Lager Karls V. bei Eich-
städt. Der sogenannte Schwcfelbalsam erfreute sich schon im Anfang des sech¬
zehnten Jahrhunderts eines unerhörten Ansehens; die Jesuiten nahmen keinen
Anstand, das noch mit dem Schleier des Geheimnisses nmgebne Fiebermittel der
Neuen Welt, die wohlthätige Chinarinde, das ?v1vo et«z los ^vsuitos, materiell
auszunutzen; die Benediktiner, die Hauptförderer der Medizin, die schon auf dem
Monte Cnssino im Jahre 1022 eine Apotheke errichteten, setzten und setzen die
Heilkraft vieler nur ihnen bekannten Kräuter zum Besten ihres Klosters in
klingendes Gold um; das Hallische Waisenhaus deckte eine Menge seiner für
Wohlthaten gemachten Ausgaben durch den Verkauf von Arzneimitteln; die
warmen Quellen von Wiesbaden und Baden-Baden, in denen schon die Offi¬
ziere Cäsars Heilung suchten und zum Zeitvertreib ot, iiupar spielten,
und von Wildbad, dessen Heilkraft badende Eber verrieten, wurden ungezählten
Tausenden zur Quelle des Wohlstands; Liebig, den die Vorsehung auf das
Studium des Fleischsafts führte, stand nicht an, seine Erfindung auszubeuten;
Professor Knorr. Professor Mehring scheuen sich durchaus nicht, den goldnen
Lohn einzuheimsen, den die Industrie ihnen für ihre Entdeckungen auszahlt.

Ist diese wirtschaftliche Ausnutzung des Wissens, das der nächste Augen¬
blick schon wertlos machen kann, ungesetzlich, unmoralisch? Ans andern Ge¬
bieten hat niemand etwas dagegen einzuwenden. Verdient das geheimgehaltne
Arzneimittel die Verfolgung? Auch im Reiche Äsknlaps und Hhgieas herrscht
die Mode. Was heute vergöttert wird, wird morgen achtlos in die Ecke ge¬
worfen. Das Licht des angestaunten Wundermittels verblaßt vor dem vielleicht
ebenso trügerischen Licht der neuen Panacee. Die meisten Geheimmittel, gegen
die zu Felde gezogen wird, waren vor Zeiten von den Ärzten verordnet und
nehmen in den alten Arzneibüchern eine geachtete Stellung ein., Die Zeit ließ
ihren Ruhm verblassen, der von ihm zeugende Foliant wanderte in die Kammer


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[0613] Geheimmittel deren Kraft durch den persönlichen Einfluß des Arztes noch erhöht wurde, gab seine Wissenschaft nicht ohne weiteres preis, sondern er beutete sie zur eignen Ehre, zu dem Vorteil seines Klosters oder zu seinem eignen aus. Ganz ebenso gestaltete sich der Mensch den Zufall, der ihn zur Kenntnis verborgner Heilkräfte führte. Er beobachtete den Reiher, der mit Hilfe seines langen Schnabels seinem Genossen die Wohlthat eines Eingusses zu teil werden ließ, und erfand und nutzte das Instrument als Geldquelle aus, das man jetzt im Salon nicht nennen darf, und das, vielbesungen und umstritten, unter der Herrschaft des Sonnenkönigs auf dem Toilettetisch keiner Dame fehlen durfte. Er beobachtete, daß eine Schwalbe die kranken Augen einer andern mit dem Saft des Schöllkrauts netzte, und machte sich die Entdeckung zu nutze. Patroklus stillte das aus der Wunde des Eurhpylvs rinnende Blut mit einer mir ihm bekannten Wurzel; Augenärzte des klassischen Roms vertrieben ihre geheimgehaltnen Augensalben; der landgräfliche Leibarzt Dr. Magenbuch empfahl sein Pestantidot, aber er selbst erlag trotz dessen Gebrauch diesem Würgengel der Menschheit 1545 im Lager Karls V. bei Eich- städt. Der sogenannte Schwcfelbalsam erfreute sich schon im Anfang des sech¬ zehnten Jahrhunderts eines unerhörten Ansehens; die Jesuiten nahmen keinen Anstand, das noch mit dem Schleier des Geheimnisses nmgebne Fiebermittel der Neuen Welt, die wohlthätige Chinarinde, das ?v1vo et«z los ^vsuitos, materiell auszunutzen; die Benediktiner, die Hauptförderer der Medizin, die schon auf dem Monte Cnssino im Jahre 1022 eine Apotheke errichteten, setzten und setzen die Heilkraft vieler nur ihnen bekannten Kräuter zum Besten ihres Klosters in klingendes Gold um; das Hallische Waisenhaus deckte eine Menge seiner für Wohlthaten gemachten Ausgaben durch den Verkauf von Arzneimitteln; die warmen Quellen von Wiesbaden und Baden-Baden, in denen schon die Offi¬ ziere Cäsars Heilung suchten und zum Zeitvertreib ot, iiupar spielten, und von Wildbad, dessen Heilkraft badende Eber verrieten, wurden ungezählten Tausenden zur Quelle des Wohlstands; Liebig, den die Vorsehung auf das Studium des Fleischsafts führte, stand nicht an, seine Erfindung auszubeuten; Professor Knorr. Professor Mehring scheuen sich durchaus nicht, den goldnen Lohn einzuheimsen, den die Industrie ihnen für ihre Entdeckungen auszahlt. Ist diese wirtschaftliche Ausnutzung des Wissens, das der nächste Augen¬ blick schon wertlos machen kann, ungesetzlich, unmoralisch? Ans andern Ge¬ bieten hat niemand etwas dagegen einzuwenden. Verdient das geheimgehaltne Arzneimittel die Verfolgung? Auch im Reiche Äsknlaps und Hhgieas herrscht die Mode. Was heute vergöttert wird, wird morgen achtlos in die Ecke ge¬ worfen. Das Licht des angestaunten Wundermittels verblaßt vor dem vielleicht ebenso trügerischen Licht der neuen Panacee. Die meisten Geheimmittel, gegen die zu Felde gezogen wird, waren vor Zeiten von den Ärzten verordnet und nehmen in den alten Arzneibüchern eine geachtete Stellung ein., Die Zeit ließ ihren Ruhm verblassen, der von ihm zeugende Foliant wanderte in die Kammer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/613>, abgerufen am 15.01.2025.