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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Geheimmittel

auf die Geheimmittel hat er nach zwei Richtungen hin seine Thätigkeit zu ent¬
falten. Gegen die erste Pflicht, das höchste Gut, Leben und Gesundheit seiner
Angehörigen zu schützen, tritt die andre, den Säckel des Bürgers vor Aus¬
beutung zu bewahren, in den Hintergrund, und mit Recht hört er in erster
Reihe die beratende Stimme der Ärzte. Daß die Geheimmittel thatsächlich
Leben und Gesundheit der Bevölkerung ungebührlich geschädigt haben, ist
meines Wissens nirgends bewiesen und zu beweisen auch nicht versucht
worden -- vielleicht weil man selbst fürchtet, den Beweis der Unfehlbarkeit
der gesetzlich approbierten Arzneien anzutreten. Dafür daß die Geheimmittel,
deren Kriterien man noch nicht einmal juristisch unanfechtbar in Worte zu
kleiden vermocht hat, die Kasse der gläubigen Kranken wirklich ausraubten, ist
man den Beweis auch noch schuldig geblieben.

Aber man bekämpfte sie. Man zog ihnen den Schleier vom Gesicht, ver¬
langte Beigabe des Rezepts und Nennung des Preises -- und vergaß, daß
jede Arznei aus der offiziellen lateinischen Küche, ganz abgesehen von den un¬
entwirrbaren ärztlichen Hieroglyphen, dem Laien ein "Geheimmittel" ist, dessen
Preis mit dem kaufmännisch ermittelten Inhalt etwa in demselben Verhältnis
steht, wie das von einem ärztlichen Koryphäen verlangte Honorar zu dem
ebenso ermittelten Wert der nötigen Aufwendungen. Man übersah ebenso ganz
und gar, daß die Verordnung auch ganz unschuldige Mittel traf und gelegent¬
lich mit dem Patentgesetz kollidierte, das unter anderm zuließ, daß man für
das bekannte Fiebermittel Antipyrin, von dem augenblicklich ein Kilo 15 Mark
kostet, bis vor wenig Monaten, solange es durch Patent geschützt war,
105 Mark zahlte. Man richtet die ganze Strenge des Gesetzes gegen die An¬
kündigung von Geheimmitteln, die das Kainszeichen verdienen sollen, wenn sie
als Mittel gegen verschiedne Krankheiten gepriesen werden -- und vergißt,
daß die Wässer der fiskalischen Heilquellen, deren Preise dem des "Quell" -
wassers keinesfalls gleichen, sondern alle Merkmale angefeindeter Monopol¬
wirtschaft an sich tragen, daß diese Wässer gegen eine Legion von Krankheiten
helfen sollen, und zwar, offenbar auf Grund eines in ihnen wohnenden ge¬
heimnisvollen Fluidums, viel besser als die auf Grund genauster Analysen
dargestellten Nachahmungen.

Entsprechen die erzielten Erfolge den gesetzlichen Maßnahmen? Je mehr
der Strom eingeengt wird, desto mehr sucht er sich der unbequemen Fesseln
zu entledigen. Wie die verbotne Frucht am besten mündet, so sucht das Volk
um so mehr nach Befriedigung seiner berechtigten Wünsche, und es findet sie nicht
mehr in den offiziellen Apotheken, deren Leiter als halbe Beamte eine Gewähr
für das Medikament bieten, sondern in allen möglichen lichtscheuen Spelunken.
Seit Urzeiten gab es Geheimmittel! Die erste Ärztin, die treusorgende Gattin
und Mutter, hielt die lindernde Salbe, das heilende Kraut geheim; der Priester¬
arzt, den eifriges Studium zur Kenntnis einer wohlthätigen Arznei geführt hatte,


Geheimmittel

auf die Geheimmittel hat er nach zwei Richtungen hin seine Thätigkeit zu ent¬
falten. Gegen die erste Pflicht, das höchste Gut, Leben und Gesundheit seiner
Angehörigen zu schützen, tritt die andre, den Säckel des Bürgers vor Aus¬
beutung zu bewahren, in den Hintergrund, und mit Recht hört er in erster
Reihe die beratende Stimme der Ärzte. Daß die Geheimmittel thatsächlich
Leben und Gesundheit der Bevölkerung ungebührlich geschädigt haben, ist
meines Wissens nirgends bewiesen und zu beweisen auch nicht versucht
worden — vielleicht weil man selbst fürchtet, den Beweis der Unfehlbarkeit
der gesetzlich approbierten Arzneien anzutreten. Dafür daß die Geheimmittel,
deren Kriterien man noch nicht einmal juristisch unanfechtbar in Worte zu
kleiden vermocht hat, die Kasse der gläubigen Kranken wirklich ausraubten, ist
man den Beweis auch noch schuldig geblieben.

Aber man bekämpfte sie. Man zog ihnen den Schleier vom Gesicht, ver¬
langte Beigabe des Rezepts und Nennung des Preises — und vergaß, daß
jede Arznei aus der offiziellen lateinischen Küche, ganz abgesehen von den un¬
entwirrbaren ärztlichen Hieroglyphen, dem Laien ein „Geheimmittel" ist, dessen
Preis mit dem kaufmännisch ermittelten Inhalt etwa in demselben Verhältnis
steht, wie das von einem ärztlichen Koryphäen verlangte Honorar zu dem
ebenso ermittelten Wert der nötigen Aufwendungen. Man übersah ebenso ganz
und gar, daß die Verordnung auch ganz unschuldige Mittel traf und gelegent¬
lich mit dem Patentgesetz kollidierte, das unter anderm zuließ, daß man für
das bekannte Fiebermittel Antipyrin, von dem augenblicklich ein Kilo 15 Mark
kostet, bis vor wenig Monaten, solange es durch Patent geschützt war,
105 Mark zahlte. Man richtet die ganze Strenge des Gesetzes gegen die An¬
kündigung von Geheimmitteln, die das Kainszeichen verdienen sollen, wenn sie
als Mittel gegen verschiedne Krankheiten gepriesen werden — und vergißt,
daß die Wässer der fiskalischen Heilquellen, deren Preise dem des „Quell" -
wassers keinesfalls gleichen, sondern alle Merkmale angefeindeter Monopol¬
wirtschaft an sich tragen, daß diese Wässer gegen eine Legion von Krankheiten
helfen sollen, und zwar, offenbar auf Grund eines in ihnen wohnenden ge¬
heimnisvollen Fluidums, viel besser als die auf Grund genauster Analysen
dargestellten Nachahmungen.

Entsprechen die erzielten Erfolge den gesetzlichen Maßnahmen? Je mehr
der Strom eingeengt wird, desto mehr sucht er sich der unbequemen Fesseln
zu entledigen. Wie die verbotne Frucht am besten mündet, so sucht das Volk
um so mehr nach Befriedigung seiner berechtigten Wünsche, und es findet sie nicht
mehr in den offiziellen Apotheken, deren Leiter als halbe Beamte eine Gewähr
für das Medikament bieten, sondern in allen möglichen lichtscheuen Spelunken.
Seit Urzeiten gab es Geheimmittel! Die erste Ärztin, die treusorgende Gattin
und Mutter, hielt die lindernde Salbe, das heilende Kraut geheim; der Priester¬
arzt, den eifriges Studium zur Kenntnis einer wohlthätigen Arznei geführt hatte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/612>, abgerufen am 15.01.2025.