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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrten

und ""getrennt zurück und damit eins der wichtigsten Organe seines innern
Verkehrs. Die Blüte Hamburgs und Magdeburgs, der festere wirtschaftliche
Anschluß Sachsens an Norddeutschland waren die nächste Folge davon. Der
Kampf um den Elbzoll war auch ein Kampf für deutsche Einheit.

Die Kunstblüte aus der Zeit der Größe der sächsischen Kaiser hat sich
weiter im Westen entfaltet. Der Elbstrom war damals noch zu sehr Grenz¬
strom zwischen Deutschen und Slawen, Magdeburg nicht Mittelpunkt der Be¬
herrschung, sondern Ausgangspunkt der Eroberung, Mission und Kolonisation
und zur Not ein fester Platz zur Deckung. Nach dem Harz zu, dessen Erzreich-
tum eben damals neu erkannt wurde, und nach den nordwestdeutschen Verkehrs¬
gebieten zu liegen die Kleinodien der niedersnchsischen Bau- und Bildnerkunst
aus den ersten Jahrhunderten unsers Jahrtausends. Während Deutschland
sonst in wenigen Gebieten eine durch Jahrhunderte hindurch ununterbrochne
Entwicklung aufweist, sehen wir hier an die romanische Kunst der Kaiserzeit
sich die jüngere Kunst der Blütezeit des Bürgertums anreihen, an die Paläste
die Rats- und Bürgerhäuser. Daher der Reichtum an Denkmälern, die sich
auf sechs Jahrhunderte verteilen. Gleich die alte Kaiserstadt Goslar ist so
reich an Baudenkmälern und Denkmälern alter Sitte und Lebensanschauung,
besonders auch in den prächtigen Hausinschriften, wie wenig andre nieder¬
deutsche Städte. Einige von seinen Fachwerkbauten gehören zu den besten ihrer
Art. Seinem Marktbrunnen hat keine Stadt von dieser Größe etwas an die
Seite zu stellen. Und dazu kommt nun das Kaiserhaus, dieser große romanische
Profanbau, dessen Lage über der Stadt mit dem Blick in den Harz man der
Beachtung jener kurzsichtigen Leute empfehlen darf, die den Sinn für das
landschaftlich Schöne oder Große zu einer Entdeckung des letzten Jahrhunderts
stempeln wollen. Goslar hat es mehr als andre Städte dieses Gebiets ver¬
standen, sich originelle Mauertürme, hübsche Stücke der Stadtmauer, die sie
einst verband, dazu mächtige Thortürme zu erhalten. Man hat die alten
Neste den neuen Bedürfnissen liebevoll angepaßt, was freilich leichter war in
der verhältnismäßigen Ruhe, in die die alte Kaiser- und Vergwerksstadt seit
lange zurückgesunken ist. Die Abtragung des Doms in den zwanziger Jahren
unsers Jahrhunderts war ein starkes Stück selbstgerechter Biedermeierei, bei
dem man es glücklicherweise gelassen hat, nachdem die eingeschlummerte Pietät
für die Werke der Väter einmal wachgerüttelt war. Ich muß leider bekennen,
daß mich die einst bewunderten Fresken aus der deutschen Geschichte im wieder¬
hergestellten Kaiserhaus als eine nicht geringere, wenn auch besser gemeinte
Geschmacklosigkeit angemutet haben. Was haben moderne Bilder, die immer
zum Teil Tendenzbilder sein werden, an den alten Mauern zu thun, die an
sich schon beredt genug sind?

Quedlinburg ist eine echt deutsche behagliche Stadt, die, man muß das
gleich hinzusetzen, nie von einem großen Brande heimgesucht worden ist. Jetzt


Briefe eines Zurückgekehrten

und «»getrennt zurück und damit eins der wichtigsten Organe seines innern
Verkehrs. Die Blüte Hamburgs und Magdeburgs, der festere wirtschaftliche
Anschluß Sachsens an Norddeutschland waren die nächste Folge davon. Der
Kampf um den Elbzoll war auch ein Kampf für deutsche Einheit.

Die Kunstblüte aus der Zeit der Größe der sächsischen Kaiser hat sich
weiter im Westen entfaltet. Der Elbstrom war damals noch zu sehr Grenz¬
strom zwischen Deutschen und Slawen, Magdeburg nicht Mittelpunkt der Be¬
herrschung, sondern Ausgangspunkt der Eroberung, Mission und Kolonisation
und zur Not ein fester Platz zur Deckung. Nach dem Harz zu, dessen Erzreich-
tum eben damals neu erkannt wurde, und nach den nordwestdeutschen Verkehrs¬
gebieten zu liegen die Kleinodien der niedersnchsischen Bau- und Bildnerkunst
aus den ersten Jahrhunderten unsers Jahrtausends. Während Deutschland
sonst in wenigen Gebieten eine durch Jahrhunderte hindurch ununterbrochne
Entwicklung aufweist, sehen wir hier an die romanische Kunst der Kaiserzeit
sich die jüngere Kunst der Blütezeit des Bürgertums anreihen, an die Paläste
die Rats- und Bürgerhäuser. Daher der Reichtum an Denkmälern, die sich
auf sechs Jahrhunderte verteilen. Gleich die alte Kaiserstadt Goslar ist so
reich an Baudenkmälern und Denkmälern alter Sitte und Lebensanschauung,
besonders auch in den prächtigen Hausinschriften, wie wenig andre nieder¬
deutsche Städte. Einige von seinen Fachwerkbauten gehören zu den besten ihrer
Art. Seinem Marktbrunnen hat keine Stadt von dieser Größe etwas an die
Seite zu stellen. Und dazu kommt nun das Kaiserhaus, dieser große romanische
Profanbau, dessen Lage über der Stadt mit dem Blick in den Harz man der
Beachtung jener kurzsichtigen Leute empfehlen darf, die den Sinn für das
landschaftlich Schöne oder Große zu einer Entdeckung des letzten Jahrhunderts
stempeln wollen. Goslar hat es mehr als andre Städte dieses Gebiets ver¬
standen, sich originelle Mauertürme, hübsche Stücke der Stadtmauer, die sie
einst verband, dazu mächtige Thortürme zu erhalten. Man hat die alten
Neste den neuen Bedürfnissen liebevoll angepaßt, was freilich leichter war in
der verhältnismäßigen Ruhe, in die die alte Kaiser- und Vergwerksstadt seit
lange zurückgesunken ist. Die Abtragung des Doms in den zwanziger Jahren
unsers Jahrhunderts war ein starkes Stück selbstgerechter Biedermeierei, bei
dem man es glücklicherweise gelassen hat, nachdem die eingeschlummerte Pietät
für die Werke der Väter einmal wachgerüttelt war. Ich muß leider bekennen,
daß mich die einst bewunderten Fresken aus der deutschen Geschichte im wieder¬
hergestellten Kaiserhaus als eine nicht geringere, wenn auch besser gemeinte
Geschmacklosigkeit angemutet haben. Was haben moderne Bilder, die immer
zum Teil Tendenzbilder sein werden, an den alten Mauern zu thun, die an
sich schon beredt genug sind?

Quedlinburg ist eine echt deutsche behagliche Stadt, die, man muß das
gleich hinzusetzen, nie von einem großen Brande heimgesucht worden ist. Jetzt


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[0606] Briefe eines Zurückgekehrten und «»getrennt zurück und damit eins der wichtigsten Organe seines innern Verkehrs. Die Blüte Hamburgs und Magdeburgs, der festere wirtschaftliche Anschluß Sachsens an Norddeutschland waren die nächste Folge davon. Der Kampf um den Elbzoll war auch ein Kampf für deutsche Einheit. Die Kunstblüte aus der Zeit der Größe der sächsischen Kaiser hat sich weiter im Westen entfaltet. Der Elbstrom war damals noch zu sehr Grenz¬ strom zwischen Deutschen und Slawen, Magdeburg nicht Mittelpunkt der Be¬ herrschung, sondern Ausgangspunkt der Eroberung, Mission und Kolonisation und zur Not ein fester Platz zur Deckung. Nach dem Harz zu, dessen Erzreich- tum eben damals neu erkannt wurde, und nach den nordwestdeutschen Verkehrs¬ gebieten zu liegen die Kleinodien der niedersnchsischen Bau- und Bildnerkunst aus den ersten Jahrhunderten unsers Jahrtausends. Während Deutschland sonst in wenigen Gebieten eine durch Jahrhunderte hindurch ununterbrochne Entwicklung aufweist, sehen wir hier an die romanische Kunst der Kaiserzeit sich die jüngere Kunst der Blütezeit des Bürgertums anreihen, an die Paläste die Rats- und Bürgerhäuser. Daher der Reichtum an Denkmälern, die sich auf sechs Jahrhunderte verteilen. Gleich die alte Kaiserstadt Goslar ist so reich an Baudenkmälern und Denkmälern alter Sitte und Lebensanschauung, besonders auch in den prächtigen Hausinschriften, wie wenig andre nieder¬ deutsche Städte. Einige von seinen Fachwerkbauten gehören zu den besten ihrer Art. Seinem Marktbrunnen hat keine Stadt von dieser Größe etwas an die Seite zu stellen. Und dazu kommt nun das Kaiserhaus, dieser große romanische Profanbau, dessen Lage über der Stadt mit dem Blick in den Harz man der Beachtung jener kurzsichtigen Leute empfehlen darf, die den Sinn für das landschaftlich Schöne oder Große zu einer Entdeckung des letzten Jahrhunderts stempeln wollen. Goslar hat es mehr als andre Städte dieses Gebiets ver¬ standen, sich originelle Mauertürme, hübsche Stücke der Stadtmauer, die sie einst verband, dazu mächtige Thortürme zu erhalten. Man hat die alten Neste den neuen Bedürfnissen liebevoll angepaßt, was freilich leichter war in der verhältnismäßigen Ruhe, in die die alte Kaiser- und Vergwerksstadt seit lange zurückgesunken ist. Die Abtragung des Doms in den zwanziger Jahren unsers Jahrhunderts war ein starkes Stück selbstgerechter Biedermeierei, bei dem man es glücklicherweise gelassen hat, nachdem die eingeschlummerte Pietät für die Werke der Väter einmal wachgerüttelt war. Ich muß leider bekennen, daß mich die einst bewunderten Fresken aus der deutschen Geschichte im wieder¬ hergestellten Kaiserhaus als eine nicht geringere, wenn auch besser gemeinte Geschmacklosigkeit angemutet haben. Was haben moderne Bilder, die immer zum Teil Tendenzbilder sein werden, an den alten Mauern zu thun, die an sich schon beredt genug sind? Quedlinburg ist eine echt deutsche behagliche Stadt, die, man muß das gleich hinzusetzen, nie von einem großen Brande heimgesucht worden ist. Jetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/606>, abgerufen am 15.01.2025.