Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Briefe eines Zurückgekehrten Wen" man über die preußische Grenze aus Sachsen oder Anhalt kommt, Landschaftlich wird die Elbe unterhalb Dresdens und zur Not noch Meißens Briefe eines Zurückgekehrten Wen» man über die preußische Grenze aus Sachsen oder Anhalt kommt, Landschaftlich wird die Elbe unterhalb Dresdens und zur Not noch Meißens <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0605" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231775"/> <fw type="header" place="top"> Briefe eines Zurückgekehrten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1971"> Wen» man über die preußische Grenze aus Sachsen oder Anhalt kommt,<lb/> empfängt man überall und immer den Eindruck eines stark in die Peripherie<lb/> hinauswirkenden Staats, der kein toter Begriff, sondern ein höchst lebendiges<lb/> Wesen ist. Nicht die Soldaten, die auf dem Domplatz Stechschritt üben, auch<lb/> nicht die zahlreichen Ruhmestafeln an der Nordwand des Doms, worauf die<lb/> Namen der Gefallnen der Feldzüge seit 1813 in langen Reihen verzeichnet<lb/> sind, nicht einmal die preußisch-anspruchsvollen Posaunenengel, die am Gouver-<lb/> uementsgebäude den schwarzen Adler halten, wozu sie ein Duett blasen, das<lb/> nicht sehr bescheiden zu sein scheint, erinnerte mich in Magdeburg daran,<lb/> sondern der ganze Gang der offiziellen Maschine. Bestimmt wenn auch kurz,<lb/> stramm wenn auch barsch, ordentlich wenn auch nüchtern: es thut nicht<lb/> unbedingt wohl, aber es erzwingt Achtung. Ich rechne zu den Spuren der<lb/> preußischen Regierungskunst auch eine so eigentümliche Erscheinung wie das<lb/> von Schinkel entworfne Gesellschaftshaus auf dem Hügel zwischen Magdeburg<lb/> und Buckau, wo einst Kloster Bergen stand und sich jetzt die schönen Anlagen<lb/> des Friedrich-Wilhelmparks zur Elbe hinabziehn. Es ist doch entschieden<lb/> preußische Kunst in diesem nüchternen, aber korrekten und sogar steif-edeln<lb/> Aufbau griechischer Säulen. Selbst die Vergnügungen der Bürger, Bürgerinnen<lb/> und künftigen Bürger von Magdeburg sollen unter veredelnden, vom Staate<lb/> weise und großmütig verordneten Einflüssen von statten gehn. Das Gebäude<lb/> mag etwas biedermeierisch aussehn, es ist ein schönes Denkmal und ersetzt<lb/> reichlich die Königs- und Feldherrndenkmäler, die merkwürdigerweise in dieser<lb/> kriegerischen Stadt vor kurzem noch gänzlich fehlten. Welche Erleichterung!</p><lb/> <p xml:id="ID_1972" next="#ID_1973"> Landschaftlich wird die Elbe unterhalb Dresdens und zur Not noch Meißens<lb/> noch weniger gewürdigt als nach ihrem geschichtliche» Wert. Man thut sie<lb/> als die gelbe Elbe, als die trübe Elbe ab. Ich möchte wohl, wenn es möglich<lb/> wäre, die Statistik der Rheinreisenden mit der Statistik der Abreisenden ver¬<lb/> gleichen. Es würde sich ein Unterschied herausstellen, der ganz außer Ver¬<lb/> hältnis steht zu dem ästhetischen Vorzug der flachrückigen Rheinberge vor den<lb/> ebnen Auen des Elblcmfs unterhalb der meißnischen Berge. Die Bevorzugung<lb/> der Nheinlandschaft hat viele guten Gründe, ist aber weit übertrieben. Ich<lb/> rechne besonders die schönen Parklandschaften der Elbauen im Anhaltischen,<lb/> wo die schönsten Eichen-, Ulmen- und Schwarzpappelgruppen auf den grünen<lb/> Uferwiesen stehn, zum landschaftlich Anziehendsten Mitteldeutschlands. An<lb/> Türmen, Schlössern und alten ummauerten Städtchen ist gewiß der Rhein<lb/> reicher. Aber ich möchte wenigstens an einen alten Turm an der anhaltischen<lb/> Elbe erinnern, der ein historisches Denkmal ersten Ranges ist. Ich meine den<lb/> Zollturm von Roßlau. Man kann diesen klotzigen alten Elbzollturm, den<lb/> jetzt ein lieblicher Wirtsgarten umgiebt, nicht einsehn, ohne der Zeiten zu ge¬<lb/> denken, wo hier eine wahre und wirkliche Zollgrenze die Elbe durchschnitt.<lb/> Insofern ist das eine bedeutsame Stelle. Als diese Linie nach vielen Mühen<lb/> vom Zollverein durchrissen wurde, gewann Deutschland seinen Elbstrom ganz</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0605]
Briefe eines Zurückgekehrten
Wen» man über die preußische Grenze aus Sachsen oder Anhalt kommt,
empfängt man überall und immer den Eindruck eines stark in die Peripherie
hinauswirkenden Staats, der kein toter Begriff, sondern ein höchst lebendiges
Wesen ist. Nicht die Soldaten, die auf dem Domplatz Stechschritt üben, auch
nicht die zahlreichen Ruhmestafeln an der Nordwand des Doms, worauf die
Namen der Gefallnen der Feldzüge seit 1813 in langen Reihen verzeichnet
sind, nicht einmal die preußisch-anspruchsvollen Posaunenengel, die am Gouver-
uementsgebäude den schwarzen Adler halten, wozu sie ein Duett blasen, das
nicht sehr bescheiden zu sein scheint, erinnerte mich in Magdeburg daran,
sondern der ganze Gang der offiziellen Maschine. Bestimmt wenn auch kurz,
stramm wenn auch barsch, ordentlich wenn auch nüchtern: es thut nicht
unbedingt wohl, aber es erzwingt Achtung. Ich rechne zu den Spuren der
preußischen Regierungskunst auch eine so eigentümliche Erscheinung wie das
von Schinkel entworfne Gesellschaftshaus auf dem Hügel zwischen Magdeburg
und Buckau, wo einst Kloster Bergen stand und sich jetzt die schönen Anlagen
des Friedrich-Wilhelmparks zur Elbe hinabziehn. Es ist doch entschieden
preußische Kunst in diesem nüchternen, aber korrekten und sogar steif-edeln
Aufbau griechischer Säulen. Selbst die Vergnügungen der Bürger, Bürgerinnen
und künftigen Bürger von Magdeburg sollen unter veredelnden, vom Staate
weise und großmütig verordneten Einflüssen von statten gehn. Das Gebäude
mag etwas biedermeierisch aussehn, es ist ein schönes Denkmal und ersetzt
reichlich die Königs- und Feldherrndenkmäler, die merkwürdigerweise in dieser
kriegerischen Stadt vor kurzem noch gänzlich fehlten. Welche Erleichterung!
Landschaftlich wird die Elbe unterhalb Dresdens und zur Not noch Meißens
noch weniger gewürdigt als nach ihrem geschichtliche» Wert. Man thut sie
als die gelbe Elbe, als die trübe Elbe ab. Ich möchte wohl, wenn es möglich
wäre, die Statistik der Rheinreisenden mit der Statistik der Abreisenden ver¬
gleichen. Es würde sich ein Unterschied herausstellen, der ganz außer Ver¬
hältnis steht zu dem ästhetischen Vorzug der flachrückigen Rheinberge vor den
ebnen Auen des Elblcmfs unterhalb der meißnischen Berge. Die Bevorzugung
der Nheinlandschaft hat viele guten Gründe, ist aber weit übertrieben. Ich
rechne besonders die schönen Parklandschaften der Elbauen im Anhaltischen,
wo die schönsten Eichen-, Ulmen- und Schwarzpappelgruppen auf den grünen
Uferwiesen stehn, zum landschaftlich Anziehendsten Mitteldeutschlands. An
Türmen, Schlössern und alten ummauerten Städtchen ist gewiß der Rhein
reicher. Aber ich möchte wenigstens an einen alten Turm an der anhaltischen
Elbe erinnern, der ein historisches Denkmal ersten Ranges ist. Ich meine den
Zollturm von Roßlau. Man kann diesen klotzigen alten Elbzollturm, den
jetzt ein lieblicher Wirtsgarten umgiebt, nicht einsehn, ohne der Zeiten zu ge¬
denken, wo hier eine wahre und wirkliche Zollgrenze die Elbe durchschnitt.
Insofern ist das eine bedeutsame Stelle. Als diese Linie nach vielen Mühen
vom Zollverein durchrissen wurde, gewann Deutschland seinen Elbstrom ganz
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |