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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Nikolaus Lenau und Gustav Schwab

Endlich sei noch ein Zeugnis ans später Zeit für die innige Lebendigkeit
dieses Freundschaftsbundes, für die nicht auszulöschende Liebe Lenaus zu Gustav
Schwab mitgeteilt. Einem an Sophie Löwenthal gerichteten Briefe vom
24. Mai 1843 (also ein Jahr vor Lenaus Wahnsinn) entnehmen wir die lieben
Worte: "Heute hab ich bei Schwabs zu Mittag gegessen, wo Spargel mit
Spätzle mich nicht vergessen ließen, daß ich in Schwaben bin, woran mich
freilich auch der in echtester Sorte gereichte Dialekt lebhaft erinnerte. Ich
habe für Schwab, abgesehen von seinen persönlichen Vorzügen, eine treue Liebe;
denn er war meine erste Anerkennung und gewissermaßen mein litterarischer
Ausgangspunkt, auf den ich immer wieder gern zurückkomme. Das Pfarramt
(Schwab war wieder in Stuttgart) ist doch ein zu beschäftigendes und ruhe¬
loses für ihn. Als er mich heute nach Tisch an sein Fenster führte, das eine
sehr hübsche Aussicht auf grüne Vergeshöhn eröffnet, machte ich ihm die
schalkhafte Bemerkung: "Gelt, Alter: Jesus Christus gewährt uns eine schöne
Allssicht?" worauf er allerdings mit Würde erwiderte: "Wenn es nur diese
Aussicht wäre, die er mir giebt, so wäre ich nicht da." Das war gut, aber
mein Sarkasmus ebenfalls."

Schwab und Lenau blieben Freunde bis an ihr Lebensende. Als die
Schreckenskunde vom Ausbruch des Wahnsinns in Lenau zu Gustav Schwab
und seiner Familie kam, wurden sie in tiefster Seele erschüttert. Mit banger
Seele, zwischen Furcht und Hoffnung schwankend, sahen sie die Zerstörung
dieses edeln Geistes. Die innigsten Wünsche für den teuern Kranken begleiteten
Lenau auf seinem Schmerzenswege nach Winnenthal, wohin er am 22. Oktober
1844 geführt wurde. Ihr Gebet um Genesung fand keine Erhörung. Im
Frühling 1847 kamen sie selbst nach Winnenthal, um den armen geliebten
Freund zu sehen. Sie konnten aber nicht vorgelassen werden. Das bleiche
Dulderhaupt, umwoben von der "sinnenden Melancholie" im Garten vom
Fenster aus zu sehen -- das war der karge Erfolg, den ihre teilnehmende
Seele davontrug. Am 22. August 1850 wurde Lenau erlöst, nachdem er am
16. Mai 1847 nach Oberdöbling bei Wien in die Privatirrenanstalt seines
Freundes Dr. Görger gebracht worden war. Am 4. November 1850, einige
Wochen nach Lenaus Heimgang, starb auch sein getreuer Freund.




Grenzboten III 1L9971
Nikolaus Lenau und Gustav Schwab

Endlich sei noch ein Zeugnis ans später Zeit für die innige Lebendigkeit
dieses Freundschaftsbundes, für die nicht auszulöschende Liebe Lenaus zu Gustav
Schwab mitgeteilt. Einem an Sophie Löwenthal gerichteten Briefe vom
24. Mai 1843 (also ein Jahr vor Lenaus Wahnsinn) entnehmen wir die lieben
Worte: „Heute hab ich bei Schwabs zu Mittag gegessen, wo Spargel mit
Spätzle mich nicht vergessen ließen, daß ich in Schwaben bin, woran mich
freilich auch der in echtester Sorte gereichte Dialekt lebhaft erinnerte. Ich
habe für Schwab, abgesehen von seinen persönlichen Vorzügen, eine treue Liebe;
denn er war meine erste Anerkennung und gewissermaßen mein litterarischer
Ausgangspunkt, auf den ich immer wieder gern zurückkomme. Das Pfarramt
(Schwab war wieder in Stuttgart) ist doch ein zu beschäftigendes und ruhe¬
loses für ihn. Als er mich heute nach Tisch an sein Fenster führte, das eine
sehr hübsche Aussicht auf grüne Vergeshöhn eröffnet, machte ich ihm die
schalkhafte Bemerkung: »Gelt, Alter: Jesus Christus gewährt uns eine schöne
Allssicht?« worauf er allerdings mit Würde erwiderte: »Wenn es nur diese
Aussicht wäre, die er mir giebt, so wäre ich nicht da.« Das war gut, aber
mein Sarkasmus ebenfalls."

Schwab und Lenau blieben Freunde bis an ihr Lebensende. Als die
Schreckenskunde vom Ausbruch des Wahnsinns in Lenau zu Gustav Schwab
und seiner Familie kam, wurden sie in tiefster Seele erschüttert. Mit banger
Seele, zwischen Furcht und Hoffnung schwankend, sahen sie die Zerstörung
dieses edeln Geistes. Die innigsten Wünsche für den teuern Kranken begleiteten
Lenau auf seinem Schmerzenswege nach Winnenthal, wohin er am 22. Oktober
1844 geführt wurde. Ihr Gebet um Genesung fand keine Erhörung. Im
Frühling 1847 kamen sie selbst nach Winnenthal, um den armen geliebten
Freund zu sehen. Sie konnten aber nicht vorgelassen werden. Das bleiche
Dulderhaupt, umwoben von der „sinnenden Melancholie" im Garten vom
Fenster aus zu sehen — das war der karge Erfolg, den ihre teilnehmende
Seele davontrug. Am 22. August 1850 wurde Lenau erlöst, nachdem er am
16. Mai 1847 nach Oberdöbling bei Wien in die Privatirrenanstalt seines
Freundes Dr. Görger gebracht worden war. Am 4. November 1850, einige
Wochen nach Lenaus Heimgang, starb auch sein getreuer Freund.




Grenzboten III 1L9971
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[0569] Nikolaus Lenau und Gustav Schwab Endlich sei noch ein Zeugnis ans später Zeit für die innige Lebendigkeit dieses Freundschaftsbundes, für die nicht auszulöschende Liebe Lenaus zu Gustav Schwab mitgeteilt. Einem an Sophie Löwenthal gerichteten Briefe vom 24. Mai 1843 (also ein Jahr vor Lenaus Wahnsinn) entnehmen wir die lieben Worte: „Heute hab ich bei Schwabs zu Mittag gegessen, wo Spargel mit Spätzle mich nicht vergessen ließen, daß ich in Schwaben bin, woran mich freilich auch der in echtester Sorte gereichte Dialekt lebhaft erinnerte. Ich habe für Schwab, abgesehen von seinen persönlichen Vorzügen, eine treue Liebe; denn er war meine erste Anerkennung und gewissermaßen mein litterarischer Ausgangspunkt, auf den ich immer wieder gern zurückkomme. Das Pfarramt (Schwab war wieder in Stuttgart) ist doch ein zu beschäftigendes und ruhe¬ loses für ihn. Als er mich heute nach Tisch an sein Fenster führte, das eine sehr hübsche Aussicht auf grüne Vergeshöhn eröffnet, machte ich ihm die schalkhafte Bemerkung: »Gelt, Alter: Jesus Christus gewährt uns eine schöne Allssicht?« worauf er allerdings mit Würde erwiderte: »Wenn es nur diese Aussicht wäre, die er mir giebt, so wäre ich nicht da.« Das war gut, aber mein Sarkasmus ebenfalls." Schwab und Lenau blieben Freunde bis an ihr Lebensende. Als die Schreckenskunde vom Ausbruch des Wahnsinns in Lenau zu Gustav Schwab und seiner Familie kam, wurden sie in tiefster Seele erschüttert. Mit banger Seele, zwischen Furcht und Hoffnung schwankend, sahen sie die Zerstörung dieses edeln Geistes. Die innigsten Wünsche für den teuern Kranken begleiteten Lenau auf seinem Schmerzenswege nach Winnenthal, wohin er am 22. Oktober 1844 geführt wurde. Ihr Gebet um Genesung fand keine Erhörung. Im Frühling 1847 kamen sie selbst nach Winnenthal, um den armen geliebten Freund zu sehen. Sie konnten aber nicht vorgelassen werden. Das bleiche Dulderhaupt, umwoben von der „sinnenden Melancholie" im Garten vom Fenster aus zu sehen — das war der karge Erfolg, den ihre teilnehmende Seele davontrug. Am 22. August 1850 wurde Lenau erlöst, nachdem er am 16. Mai 1847 nach Oberdöbling bei Wien in die Privatirrenanstalt seines Freundes Dr. Görger gebracht worden war. Am 4. November 1850, einige Wochen nach Lenaus Heimgang, starb auch sein getreuer Freund. Grenzboten III 1L9971

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/569>, abgerufen am 15.01.2025.