Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Nikolaus Lenau und Gustav Schwab Von Niembsch haben Reinbecks kürzlich einen Brief ans Lißbonn hinter Pitts- Als Schwab diese Zeilen seiner Frau las, konnte er doch nicht umhin, Lenau sah Lotte nach seiner Rückkehr von Amerika nur zweimal flüchtig Lotte Gmelin heiratete -- der Vollständigkeit wegen sei es erwähnt -- Nikolaus Lenau und Gustav Schwab Von Niembsch haben Reinbecks kürzlich einen Brief ans Lißbonn hinter Pitts- Als Schwab diese Zeilen seiner Frau las, konnte er doch nicht umhin, Lenau sah Lotte nach seiner Rückkehr von Amerika nur zweimal flüchtig Lotte Gmelin heiratete — der Vollständigkeit wegen sei es erwähnt — <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0567" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231737"/> <fw type="header" place="top"> Nikolaus Lenau und Gustav Schwab</fw><lb/> <p xml:id="ID_1847"> Von Niembsch haben Reinbecks kürzlich einen Brief ans Lißbonn hinter Pitts-<lb/> burg erhalten, worin er seine bevorstehende Abreise von Amerika meldet, es ist ein<lb/> wunderschöner Brief und ganz außerordentlich schöne Gedichte dabei — er meint<lb/> sehr umgeändert zu kommen, uns aber scheint er ganz der Alte zu sein. Alles,<lb/> was wir ihm in Amerika prophezeit hatten, scheint eingetroffen zu sein, er schreibt,<lb/> jetzt wisse er erst, warum der Täufer Johannes habe in die Wüste gehn müssen,<lb/> so betrachtet er die Reise nach Amerika für sich. Über seine Gedichte sagt er, er<lb/> habe hier in A. gar kein Urteil darüber, ob etwas daran sei oder nicht, denn man<lb/> werde von der Prosa so mit Gewalt angesteckt, daß man auch alles Urteil darüber<lb/> verliere. Bis Mitte Mai glaubt er hier zu sein, er wird sich aber nicht lange<lb/> aufhalten können, da sein Paß nur bis Mitte April geht, und seine Verwandten<lb/> in Wien ihn mit Ungeduld erwarten. So sehr es uns freut, daß er glücklich<lb/> wieder zurückkommt, so wirst dn dir doch wohl denken können, daß unsre Freude<lb/> nicht ganz ohne Beklemmung ist, es scheint nämlich, daß die Neigung zu Lotte G.<lb/> sich bei ihm erhalten hat, wir können ihm aber nie mehr recht trauen, ob nicht<lb/> vielleicht gerade die Hindernisse, die wir ihm in den Weg gelegt hatten, ihn be¬<lb/> ständiger machen. Sein unstetes Leben scheint uns, trotz seinen herrlichen Eigen¬<lb/> schaften, doch gar nicht geeignet, um ein einfaches Mädchen, wie L. es ist, glücklich<lb/> zu machen. Ich rate meiner Schwägerin, daß sie Lotte mit Marie nach Ulm gehn<lb/> läßt, damit L. gar nichts von seiner Anwesenheit erfährt. Am meisten Sorge macht<lb/> mir mein l. Mann dabei, den seine Unbeständigkeit so sehr entrüstet hat, daß es<lb/> ihm von der Zeit an peinlich war, mit ihm zu sein, obgleich er seinen ausgezeich¬<lb/> neten Geistesgnben immer noch volle Gerechtigkeit widerfahren läßt, aber wie es<lb/> in einem schönen Gedichte von Uhland heißt: Die Lieb ist hin, die Lieb ist hin,<lb/> und kehret nimmer wieder!</p><lb/> <p xml:id="ID_1848"> Als Schwab diese Zeilen seiner Frau las, konnte er doch nicht umhin,<lb/> eigenhändig die Worte beizufügen: „Wenn ich mein innerstes Herz frage, so<lb/> redet da doch noch sehr vieles für ihn! Als Dichter vollends beuge ich mich<lb/> tief vor ihm."</p><lb/> <p xml:id="ID_1849"> Lenau sah Lotte nach seiner Rückkehr von Amerika nur zweimal flüchtig<lb/> wieder. Ihr Bild wurde durch die im fernen Westen und auf dem Weltmeer<lb/> gewonnenen Eindrücke in Lenaus Seele verdrängt. Und als er bald nach<lb/> seiner Rückkehr in die Heimat in Wien die schone und stolze Frau kennen<lb/> lernte, in deren Augen er „die ganze Fülle des Göttlichen" sah, die Frau,<lb/> die ihm „die wunderbare Vereinigung und die lebendige Fülle alles Wahren<lb/> und Schönen" war, da nahm Sophie (von) Löwenthal — so hieß dieses<lb/> weibliche Wesen — nach und nach völligen, im wahrsten Sinne des Worts<lb/> unbeschränkten Besitz von seinem innern Menschen, und das Bild des einfachen,<lb/> rührend lieblichen Schwabenmädchens verblaßte in Lenaus Seele.</p><lb/> <p xml:id="ID_1850" next="#ID_1851"> Lotte Gmelin heiratete — der Vollständigkeit wegen sei es erwähnt —<lb/> am 15. September 1846 den Doktor Ernst Hartmann, Stadtarzt zu Sindel¬<lb/> fingen, später Oberamtsarzt zu Bodungen, wo er am 12. Januar 1861 starb.<lb/> Sie lebte nach dem Tode ihres Maunes als Witwe in Tübingen und später<lb/> bei ihren Söhnen. Sie starb hochbetagt an ihrem Hochzeitstage, am 15. Sep¬<lb/> tember 1889 im Hause ihres Sohnes Ernst Hartmann, der damals Pfarrer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0567]
Nikolaus Lenau und Gustav Schwab
Von Niembsch haben Reinbecks kürzlich einen Brief ans Lißbonn hinter Pitts-
burg erhalten, worin er seine bevorstehende Abreise von Amerika meldet, es ist ein
wunderschöner Brief und ganz außerordentlich schöne Gedichte dabei — er meint
sehr umgeändert zu kommen, uns aber scheint er ganz der Alte zu sein. Alles,
was wir ihm in Amerika prophezeit hatten, scheint eingetroffen zu sein, er schreibt,
jetzt wisse er erst, warum der Täufer Johannes habe in die Wüste gehn müssen,
so betrachtet er die Reise nach Amerika für sich. Über seine Gedichte sagt er, er
habe hier in A. gar kein Urteil darüber, ob etwas daran sei oder nicht, denn man
werde von der Prosa so mit Gewalt angesteckt, daß man auch alles Urteil darüber
verliere. Bis Mitte Mai glaubt er hier zu sein, er wird sich aber nicht lange
aufhalten können, da sein Paß nur bis Mitte April geht, und seine Verwandten
in Wien ihn mit Ungeduld erwarten. So sehr es uns freut, daß er glücklich
wieder zurückkommt, so wirst dn dir doch wohl denken können, daß unsre Freude
nicht ganz ohne Beklemmung ist, es scheint nämlich, daß die Neigung zu Lotte G.
sich bei ihm erhalten hat, wir können ihm aber nie mehr recht trauen, ob nicht
vielleicht gerade die Hindernisse, die wir ihm in den Weg gelegt hatten, ihn be¬
ständiger machen. Sein unstetes Leben scheint uns, trotz seinen herrlichen Eigen¬
schaften, doch gar nicht geeignet, um ein einfaches Mädchen, wie L. es ist, glücklich
zu machen. Ich rate meiner Schwägerin, daß sie Lotte mit Marie nach Ulm gehn
läßt, damit L. gar nichts von seiner Anwesenheit erfährt. Am meisten Sorge macht
mir mein l. Mann dabei, den seine Unbeständigkeit so sehr entrüstet hat, daß es
ihm von der Zeit an peinlich war, mit ihm zu sein, obgleich er seinen ausgezeich¬
neten Geistesgnben immer noch volle Gerechtigkeit widerfahren läßt, aber wie es
in einem schönen Gedichte von Uhland heißt: Die Lieb ist hin, die Lieb ist hin,
und kehret nimmer wieder!
Als Schwab diese Zeilen seiner Frau las, konnte er doch nicht umhin,
eigenhändig die Worte beizufügen: „Wenn ich mein innerstes Herz frage, so
redet da doch noch sehr vieles für ihn! Als Dichter vollends beuge ich mich
tief vor ihm."
Lenau sah Lotte nach seiner Rückkehr von Amerika nur zweimal flüchtig
wieder. Ihr Bild wurde durch die im fernen Westen und auf dem Weltmeer
gewonnenen Eindrücke in Lenaus Seele verdrängt. Und als er bald nach
seiner Rückkehr in die Heimat in Wien die schone und stolze Frau kennen
lernte, in deren Augen er „die ganze Fülle des Göttlichen" sah, die Frau,
die ihm „die wunderbare Vereinigung und die lebendige Fülle alles Wahren
und Schönen" war, da nahm Sophie (von) Löwenthal — so hieß dieses
weibliche Wesen — nach und nach völligen, im wahrsten Sinne des Worts
unbeschränkten Besitz von seinem innern Menschen, und das Bild des einfachen,
rührend lieblichen Schwabenmädchens verblaßte in Lenaus Seele.
Lotte Gmelin heiratete — der Vollständigkeit wegen sei es erwähnt —
am 15. September 1846 den Doktor Ernst Hartmann, Stadtarzt zu Sindel¬
fingen, später Oberamtsarzt zu Bodungen, wo er am 12. Januar 1861 starb.
Sie lebte nach dem Tode ihres Maunes als Witwe in Tübingen und später
bei ihren Söhnen. Sie starb hochbetagt an ihrem Hochzeitstage, am 15. Sep¬
tember 1889 im Hause ihres Sohnes Ernst Hartmann, der damals Pfarrer
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |