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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Nikolaus Lenau und Gustav Schwab

Auf dem Rhein vor Mainz, den 27. Juni 1832.


Lieber Freund!

Für dein herzliches Lebewohl, das du mir nach Weinsberg nachgerufen, meinen
späten, aber herzlichen Dank.

Ich habe mich wegen meines großen Gepäcks entschlossen, die Rheinfahrt mit
der ganzen Answnnderungsgesellschaft zu machen. Ein kurioser Trupp, sag ich dir,
manches Gesindel darunter; aber die Vorsteher, namentlich Kommissär Mohl und
Häberle, sehr ehrenwerte Männer, die ich täglich höher achte, und nnter deren
Leitung sich auch die Kurivseu wohl noch moralisch akklimatisieren werden.

Dieses Brieflein schreib ich dir in meiner kleinen Kajüte, die mich wohl dem
Anblick meiner Reisegefährten absperrt, aber nicht ihrem Tumulte, wie ich denu
eben jetzt manchen ihrer schlechten Witze und zotigen Späße zwischendurch zu hören
kriege, womit sie sich die Langeweile zu vertreiben suchen. Diese nagt wie beißiges
Ungeziefer an den armen, müßigen Schelmen, sie bestreuen die hartnäckige Laus
mit dem Salze ihres Witzes, hilft aber nichts; die Bestie beißt fort und fort; es
ist für mich eine köstliche Unterhaltung, zu sehen, was die Kerle alles aufbieten,
sie zu töten.

Wenn mirs zu kraus wird, nehm ich meine Geige vor und spiele das Völk¬
lein zur Ruhe. Da schweigen sie auf einmal und hören mir zu, und, um das an¬
gefangne saubere Bild fortzuführen, die Laus wird schläfrig ob meinem Spiele, und
die Leute mit, und Lans und Manu verstummt dann manchmal auf mehrere
Stunden, ich höre nur noch ein dumpfes Schnarchen jenseits meiner Bretterwand.

Die Rheingegenden sind bis hierher nichts Rares, wir "vollen sehen, was
weiter unten dran ist.

Hier send ich dir zwei Gedichte, die auf meiner Reise entstanden sind. Das
größere hab ich in Mannheim geschrieben, das kleinere in meiner Kajüte. Mache
damit, was du willst. Gieb sie dem Morgenblatte oder deinem Almanach, oder,
wenn sie dir uicht gefallen, lasse sie liegen oder schicke sie vielmehr um den lieben
Mayer, daß er sie auch lese, und begleite sie dieseufalls mit meinen herzlichen
Grüßen.

Mit Sternberg hab ich ein Paar herrliche Stunden in Mannheim verlebt.
Ein ganz vorzüglicher Mensch und Dichter. Er hat mir eine Apostrophe an die
Eva vorgelesen und mich damit wahrhaft entzückt.

Wenn du mir bald schriebest, könnt ich deinen Brief noch gut in Amsterdam
xv8to i'Wtimto erhalten. Schreibe mir, erhalte mich in deinem Herzen, grüße mir
Pfizer, Uhland, Reinbecks, Hartmanns herzlich.


Lebe wohl Niembsch. dein
Teure Freundin!

Nehmen Sie noch meinen innigsten Dank für all Ihre Güte und unbegrenzte
Gefälligkeit. Denken Sie meiner in gewohnter Herzlichkeit! Grüßen Sie mir Ihre
lieben Kinder; was macht L.?


Auf Wiedersehen, leben Sie wohl! Niembsch. Ihr
Darf ich auch von Ihnen einige Zeilen in Amsterdam erwarten? Ich muß schließen, unser Schiffsjunge geht bald nach der Stadt. Adieu!
Nikolaus Lenau und Gustav Schwab

Auf dem Rhein vor Mainz, den 27. Juni 1832.


Lieber Freund!

Für dein herzliches Lebewohl, das du mir nach Weinsberg nachgerufen, meinen
späten, aber herzlichen Dank.

Ich habe mich wegen meines großen Gepäcks entschlossen, die Rheinfahrt mit
der ganzen Answnnderungsgesellschaft zu machen. Ein kurioser Trupp, sag ich dir,
manches Gesindel darunter; aber die Vorsteher, namentlich Kommissär Mohl und
Häberle, sehr ehrenwerte Männer, die ich täglich höher achte, und nnter deren
Leitung sich auch die Kurivseu wohl noch moralisch akklimatisieren werden.

Dieses Brieflein schreib ich dir in meiner kleinen Kajüte, die mich wohl dem
Anblick meiner Reisegefährten absperrt, aber nicht ihrem Tumulte, wie ich denu
eben jetzt manchen ihrer schlechten Witze und zotigen Späße zwischendurch zu hören
kriege, womit sie sich die Langeweile zu vertreiben suchen. Diese nagt wie beißiges
Ungeziefer an den armen, müßigen Schelmen, sie bestreuen die hartnäckige Laus
mit dem Salze ihres Witzes, hilft aber nichts; die Bestie beißt fort und fort; es
ist für mich eine köstliche Unterhaltung, zu sehen, was die Kerle alles aufbieten,
sie zu töten.

Wenn mirs zu kraus wird, nehm ich meine Geige vor und spiele das Völk¬
lein zur Ruhe. Da schweigen sie auf einmal und hören mir zu, und, um das an¬
gefangne saubere Bild fortzuführen, die Laus wird schläfrig ob meinem Spiele, und
die Leute mit, und Lans und Manu verstummt dann manchmal auf mehrere
Stunden, ich höre nur noch ein dumpfes Schnarchen jenseits meiner Bretterwand.

Die Rheingegenden sind bis hierher nichts Rares, wir »vollen sehen, was
weiter unten dran ist.

Hier send ich dir zwei Gedichte, die auf meiner Reise entstanden sind. Das
größere hab ich in Mannheim geschrieben, das kleinere in meiner Kajüte. Mache
damit, was du willst. Gieb sie dem Morgenblatte oder deinem Almanach, oder,
wenn sie dir uicht gefallen, lasse sie liegen oder schicke sie vielmehr um den lieben
Mayer, daß er sie auch lese, und begleite sie dieseufalls mit meinen herzlichen
Grüßen.

Mit Sternberg hab ich ein Paar herrliche Stunden in Mannheim verlebt.
Ein ganz vorzüglicher Mensch und Dichter. Er hat mir eine Apostrophe an die
Eva vorgelesen und mich damit wahrhaft entzückt.

Wenn du mir bald schriebest, könnt ich deinen Brief noch gut in Amsterdam
xv8to i'Wtimto erhalten. Schreibe mir, erhalte mich in deinem Herzen, grüße mir
Pfizer, Uhland, Reinbecks, Hartmanns herzlich.


Lebe wohl Niembsch. dein
Teure Freundin!

Nehmen Sie noch meinen innigsten Dank für all Ihre Güte und unbegrenzte
Gefälligkeit. Denken Sie meiner in gewohnter Herzlichkeit! Grüßen Sie mir Ihre
lieben Kinder; was macht L.?


Auf Wiedersehen, leben Sie wohl! Niembsch. Ihr
Darf ich auch von Ihnen einige Zeilen in Amsterdam erwarten? Ich muß schließen, unser Schiffsjunge geht bald nach der Stadt. Adieu!
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[0564] Nikolaus Lenau und Gustav Schwab Auf dem Rhein vor Mainz, den 27. Juni 1832. Lieber Freund! Für dein herzliches Lebewohl, das du mir nach Weinsberg nachgerufen, meinen späten, aber herzlichen Dank. Ich habe mich wegen meines großen Gepäcks entschlossen, die Rheinfahrt mit der ganzen Answnnderungsgesellschaft zu machen. Ein kurioser Trupp, sag ich dir, manches Gesindel darunter; aber die Vorsteher, namentlich Kommissär Mohl und Häberle, sehr ehrenwerte Männer, die ich täglich höher achte, und nnter deren Leitung sich auch die Kurivseu wohl noch moralisch akklimatisieren werden. Dieses Brieflein schreib ich dir in meiner kleinen Kajüte, die mich wohl dem Anblick meiner Reisegefährten absperrt, aber nicht ihrem Tumulte, wie ich denu eben jetzt manchen ihrer schlechten Witze und zotigen Späße zwischendurch zu hören kriege, womit sie sich die Langeweile zu vertreiben suchen. Diese nagt wie beißiges Ungeziefer an den armen, müßigen Schelmen, sie bestreuen die hartnäckige Laus mit dem Salze ihres Witzes, hilft aber nichts; die Bestie beißt fort und fort; es ist für mich eine köstliche Unterhaltung, zu sehen, was die Kerle alles aufbieten, sie zu töten. Wenn mirs zu kraus wird, nehm ich meine Geige vor und spiele das Völk¬ lein zur Ruhe. Da schweigen sie auf einmal und hören mir zu, und, um das an¬ gefangne saubere Bild fortzuführen, die Laus wird schläfrig ob meinem Spiele, und die Leute mit, und Lans und Manu verstummt dann manchmal auf mehrere Stunden, ich höre nur noch ein dumpfes Schnarchen jenseits meiner Bretterwand. Die Rheingegenden sind bis hierher nichts Rares, wir »vollen sehen, was weiter unten dran ist. Hier send ich dir zwei Gedichte, die auf meiner Reise entstanden sind. Das größere hab ich in Mannheim geschrieben, das kleinere in meiner Kajüte. Mache damit, was du willst. Gieb sie dem Morgenblatte oder deinem Almanach, oder, wenn sie dir uicht gefallen, lasse sie liegen oder schicke sie vielmehr um den lieben Mayer, daß er sie auch lese, und begleite sie dieseufalls mit meinen herzlichen Grüßen. Mit Sternberg hab ich ein Paar herrliche Stunden in Mannheim verlebt. Ein ganz vorzüglicher Mensch und Dichter. Er hat mir eine Apostrophe an die Eva vorgelesen und mich damit wahrhaft entzückt. Wenn du mir bald schriebest, könnt ich deinen Brief noch gut in Amsterdam xv8to i'Wtimto erhalten. Schreibe mir, erhalte mich in deinem Herzen, grüße mir Pfizer, Uhland, Reinbecks, Hartmanns herzlich. Lebe wohl Niembsch. dein Teure Freundin! Nehmen Sie noch meinen innigsten Dank für all Ihre Güte und unbegrenzte Gefälligkeit. Denken Sie meiner in gewohnter Herzlichkeit! Grüßen Sie mir Ihre lieben Kinder; was macht L.? Auf Wiedersehen, leben Sie wohl! Niembsch. Ihr Darf ich auch von Ihnen einige Zeilen in Amsterdam erwarten? Ich muß schließen, unser Schiffsjunge geht bald nach der Stadt. Adieu!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/564>, abgerufen am 15.01.2025.