Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Nikolaus Lenau und Gustav Schwab seiner Neigung einsah, griff er zu einem Gewaltmittel, um die in seinem "Wie oft hab ich meiner guten Fremidin Schwab gesagt, daß ich ein Narr Gegen Ende Juni 1832 trat Niembsch endlich nach manchen Weiterungen Nikolaus Lenau und Gustav Schwab seiner Neigung einsah, griff er zu einem Gewaltmittel, um die in seinem „Wie oft hab ich meiner guten Fremidin Schwab gesagt, daß ich ein Narr Gegen Ende Juni 1832 trat Niembsch endlich nach manchen Weiterungen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0563" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231733"/> <fw type="header" place="top"> Nikolaus Lenau und Gustav Schwab</fw><lb/> <p xml:id="ID_1819" prev="#ID_1818"> seiner Neigung einsah, griff er zu einem Gewaltmittel, um die in seinem<lb/> Innern tobenden Leidenschaften zu beschwichtigen, oder besser gesagt: durch<lb/> neue, elementare Naturleidenschaften zu ersticken. Er betrieb nun mit Hast<lb/> seine Auswanderung nach Amerika. Seine Reiselust hatte durch Mitteilungen<lb/> über Amerika aus Lucie Meyers und Sophie Schwabs Briefen neue Nahrung<lb/> bekommen und seine Sehnsucht nach dem fernen Westen mächtig angefacht.<lb/> Er wolle seine Phantasie in die Schule der nordamerikanischen Urwälder<lb/> schicken; den Niagarafall wolle er rauschen hören und Niagaralieder singen;<lb/> das gehöre notwendig zu feiner Ausbildung. Seine Poesie lebe und webe in<lb/> der Natur, und in Amerika sei die Natur schöner, gewaltiger als in Europa.<lb/> Ein ungeheurer Vorrat der herrlichsten Bilder erwarte ihn dort, eine Fülle<lb/> göttlicher Szenen, die noch daliege jungfräulich und unberührt, wie der Boden<lb/> der Urwälder. Er verspreche sich davon eine wunderbare Wirkung auf sein<lb/> Gemüt. In fieberhafter Aufregung — die schlimme Äußerung seiner schmerz¬<lb/> durchwühlten Natur — betreibt er die Vorbereitungen zur Reise. „Wußt ich<lb/> auch ganz gewiß, daß ich umkommen werde, ich glaub, ich reiste doch," schreibt<lb/> er an Karl Mayer. „Mich regiert eine Art Gravitation nach dem Unglücke.<lb/> Schwab hat einmal sehr geistreich von einem Wahnsinnigen gesprochen. Man<lb/> habe nämlich einen Wahnsinnigen heilen wollen — ja, richtig — Schwab selbst<lb/> wollte dies und ging also ganz leise und behutsam der fixen Idee des Narren<lb/> auf den Leib. Der Verstand des Unglücklichen folgte ihm wirklich Schritt für<lb/> Schritt durch alle Prämissen nach, und als er endlich am Konklusum stand<lb/> und einsehen sollte das Unsinnige seiner Einbildung, da stutzte der Dämon des<lb/> Narren plötzlich, merkend, daß man ihm aufs Leben gehe, und sprang trotzig<lb/> ab, und es war aus mit allen Bemühungen, den Narren zu bekehren. Dies<lb/> sind die trefflichen Worte unsers Freundes. Ein Analogon von solchem Dämon<lb/> glaub ich auch in mir zu beherbergen. Sozusagen einen Dämon des Unglücks.<lb/> Merkt dieser Kerl je, daß mir ein schöner Stern aufgehn wolle, flugs wirft<lb/> er mir seine rauhe Pelz- oder Narrenkappe über die Augen. Du wirst mich<lb/> verstehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1820"> „Wie oft hab ich meiner guten Fremidin Schwab gesagt, daß ich ein Narr<lb/> bin, sie hat es aber nicht geglaubt. Glaube wenigstens du es, mein lieber<lb/> Mayer!" Mit dem Dämon des Unglücks deutet Lenau hier deutlich auf sein<lb/> unglückliches Herzenserlebnis mit Lotte Gmelin hin — ein Beweis, daß diese<lb/> traurig endende Leidenschaft ihn übers Meer trieb.</p><lb/> <p xml:id="ID_1821"> Gegen Ende Juni 1832 trat Niembsch endlich nach manchen Weiterungen<lb/> die Reise an. Die Fahrt nach Holland, von wo aus die Seereise mit dem<lb/> „Baron van der Kapellen" erfolgte, geschah auf einem Rheinschiffe. Diesen<lb/> Teil der Reise schildert der folgende, ebenfalls bisher ungedruckte Brief an<lb/> Schwab in sehr interessanter Weise:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0563]
Nikolaus Lenau und Gustav Schwab
seiner Neigung einsah, griff er zu einem Gewaltmittel, um die in seinem
Innern tobenden Leidenschaften zu beschwichtigen, oder besser gesagt: durch
neue, elementare Naturleidenschaften zu ersticken. Er betrieb nun mit Hast
seine Auswanderung nach Amerika. Seine Reiselust hatte durch Mitteilungen
über Amerika aus Lucie Meyers und Sophie Schwabs Briefen neue Nahrung
bekommen und seine Sehnsucht nach dem fernen Westen mächtig angefacht.
Er wolle seine Phantasie in die Schule der nordamerikanischen Urwälder
schicken; den Niagarafall wolle er rauschen hören und Niagaralieder singen;
das gehöre notwendig zu feiner Ausbildung. Seine Poesie lebe und webe in
der Natur, und in Amerika sei die Natur schöner, gewaltiger als in Europa.
Ein ungeheurer Vorrat der herrlichsten Bilder erwarte ihn dort, eine Fülle
göttlicher Szenen, die noch daliege jungfräulich und unberührt, wie der Boden
der Urwälder. Er verspreche sich davon eine wunderbare Wirkung auf sein
Gemüt. In fieberhafter Aufregung — die schlimme Äußerung seiner schmerz¬
durchwühlten Natur — betreibt er die Vorbereitungen zur Reise. „Wußt ich
auch ganz gewiß, daß ich umkommen werde, ich glaub, ich reiste doch," schreibt
er an Karl Mayer. „Mich regiert eine Art Gravitation nach dem Unglücke.
Schwab hat einmal sehr geistreich von einem Wahnsinnigen gesprochen. Man
habe nämlich einen Wahnsinnigen heilen wollen — ja, richtig — Schwab selbst
wollte dies und ging also ganz leise und behutsam der fixen Idee des Narren
auf den Leib. Der Verstand des Unglücklichen folgte ihm wirklich Schritt für
Schritt durch alle Prämissen nach, und als er endlich am Konklusum stand
und einsehen sollte das Unsinnige seiner Einbildung, da stutzte der Dämon des
Narren plötzlich, merkend, daß man ihm aufs Leben gehe, und sprang trotzig
ab, und es war aus mit allen Bemühungen, den Narren zu bekehren. Dies
sind die trefflichen Worte unsers Freundes. Ein Analogon von solchem Dämon
glaub ich auch in mir zu beherbergen. Sozusagen einen Dämon des Unglücks.
Merkt dieser Kerl je, daß mir ein schöner Stern aufgehn wolle, flugs wirft
er mir seine rauhe Pelz- oder Narrenkappe über die Augen. Du wirst mich
verstehen.
„Wie oft hab ich meiner guten Fremidin Schwab gesagt, daß ich ein Narr
bin, sie hat es aber nicht geglaubt. Glaube wenigstens du es, mein lieber
Mayer!" Mit dem Dämon des Unglücks deutet Lenau hier deutlich auf sein
unglückliches Herzenserlebnis mit Lotte Gmelin hin — ein Beweis, daß diese
traurig endende Leidenschaft ihn übers Meer trieb.
Gegen Ende Juni 1832 trat Niembsch endlich nach manchen Weiterungen
die Reise an. Die Fahrt nach Holland, von wo aus die Seereise mit dem
„Baron van der Kapellen" erfolgte, geschah auf einem Rheinschiffe. Diesen
Teil der Reise schildert der folgende, ebenfalls bisher ungedruckte Brief an
Schwab in sehr interessanter Weise:
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