Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Nikolaus Lenau und Gustav Schwab Wie er litt, wie er sich immer tiefer in die dunkeln Abgründe seines Selbst Als Lenau sie 1832 verlassen hatte und wieder in Heidelberg weilte, fühlte Heidelberg, 24. Jänner 1832. Teure Freundin! Rufen Sie Ihren lieben kleinen Ludwig und sagen Sie ihm: Brief Mich! Ich bin nicht mehr so traurig, liebe Freundin, als ich am Morgen unsrer Nikolaus Lenau und Gustav Schwab Wie er litt, wie er sich immer tiefer in die dunkeln Abgründe seines Selbst Als Lenau sie 1832 verlassen hatte und wieder in Heidelberg weilte, fühlte Heidelberg, 24. Jänner 1832. Teure Freundin! Rufen Sie Ihren lieben kleinen Ludwig und sagen Sie ihm: Brief Mich! Ich bin nicht mehr so traurig, liebe Freundin, als ich am Morgen unsrer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0560" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231730"/> <fw type="header" place="top"> Nikolaus Lenau und Gustav Schwab</fw><lb/> <p xml:id="ID_1798" prev="#ID_1797"> Wie er litt, wie er sich immer tiefer in die dunkeln Abgründe seines Selbst<lb/> zurückzog und todestraurigen Gedanken nachhing; aber sie hatten nicht die Macht,<lb/> die bösen Geister, die ihn umklammert hielten, zu bannen. In ihrer mit¬<lb/> fühlenden Seele zuckten alle Leiden des geliebten Freundes mit, für dessen<lb/> geistiges und leibliches Wohl sie in diesem Winter mit Recht das Schlimmste<lb/> befürchteten. Sophie Schwab selbst, die edle Trösterin Lenaus, die ihm so oft<lb/> den gesunknen Mut aufgerichtet hatte und mit empfänglichen Herzen alle Sorgen<lb/> des Unglücklichen teilte, stand ratlos: selbst ihr fein ausgebildetes weibliches<lb/> Gefühl konnte keinen rettenden Ausweg aus dieser Welt der Irrungen und<lb/> Wirrungen finden. Und unmittelbar in die Lebenskreise Lenaus zu treten,<lb/> gleichsam die Vorsehung zu spielen, hütete sie sich wohl. So blieb ihr nichts<lb/> weiter übrig, als den gebeugten Freund vorsichtig, mit sanfter Gewalt seiner<lb/> Schwermut zu entreißen, in die Liebesangelegenheit aber weder hemmend noch<lb/> fördernd einzugreifen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1799"> Als Lenau sie 1832 verlassen hatte und wieder in Heidelberg weilte, fühlte<lb/> er den Segen der schwäbischen Freundschaft lebhafter denn je; und in voller<lb/> Erkenntnis seiner Dankesschuld schrieb er folgende, der Briefschatzkammer<lb/> Schwabs entnommne Zeilen, die darthun, wie sehr der gute, reine Geist, der<lb/> in Gustav Schwabs Hause waltete, ihm in die Seele gedrungen war, sodaß<lb/> das Familienleben einen Spiegel in seiner Poesie fand. Der an Sophie<lb/> Schwab gerichtete Brief lautet:</p><lb/> <p xml:id="ID_1800"> Heidelberg, 24. Jänner 1832.</p><lb/> <note type="salute"> Teure Freundin!</note><lb/> <p xml:id="ID_1801"> Rufen Sie Ihren lieben kleinen Ludwig und sagen Sie ihm: Brief Mich!<lb/> und geben Sie ihm einen Kuß für die Treue, mit der er meiner gedenkt. Sein<lb/> Bild hat sich mir sehr eingeprägt und ist mir so geläufig worden, daß ich beim<lb/> Dichten unwillkürlich manchmal ein Gleichnis aus dem Kinderleben hole. So ge¬<lb/> schah mirs in der Winternacht, so geschah mirs vorgestern in der Wurmlinger<lb/> Kapelle. Ich übersende Ihnen hier dieses Gedicht, mit der Bitte an meinen lieben<lb/> Schwab, es einzuschalten in meine Sammlung, doch in einiger Entfernung von der<lb/> Winternacht, weil, wie gesagt, in beiden Gedichten Kindergleichnisse vorkommen,<lb/> und Kritiker meinen könnten, „der Herr Poet scheint sich viel in Kinderstuben<lb/> herumgetrieben zu haben." Mehr um mein Versprechen zu erfüllen, als daß ich<lb/> glaubte, etwas Echtes geleistet zu haben, überschicke ich Ihnen das Gedicht. Es<lb/> ist ein mißliches Geschäft, einen Gegenstand zu besingen, über welchen schon zwei<lb/> so vortreffliche Gedichte vorhanden sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1802"> Ich bin nicht mehr so traurig, liebe Freundin, als ich am Morgen unsrer<lb/> Trennung gewesen. Ich müßte ja schon tot sein, wenn diese Trauer lange ge¬<lb/> dauert hätte. Mir war damals zu Mute, als würde ich aus dem Paradies — dem<lb/> durch meine eigne Schuld verwirkte» — gestoßen auf ewig. Nun bin ich heiter,<lb/> wie ich es lange nicht gewesen. Als wir den letzten Abend zusammensaßen und<lb/> Glühwein tranken, hob mein Schwab das Glas und trank mir so herzlich zu auf<lb/> meine Wiederherstellung, und Sie stießen an, und der tiefe, warme Himmel der<lb/> Freundschaft grüßte mich segnend aus Ihrem Auge. Das war ein herrlicher<lb/> Augenblick!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0560]
Nikolaus Lenau und Gustav Schwab
Wie er litt, wie er sich immer tiefer in die dunkeln Abgründe seines Selbst
zurückzog und todestraurigen Gedanken nachhing; aber sie hatten nicht die Macht,
die bösen Geister, die ihn umklammert hielten, zu bannen. In ihrer mit¬
fühlenden Seele zuckten alle Leiden des geliebten Freundes mit, für dessen
geistiges und leibliches Wohl sie in diesem Winter mit Recht das Schlimmste
befürchteten. Sophie Schwab selbst, die edle Trösterin Lenaus, die ihm so oft
den gesunknen Mut aufgerichtet hatte und mit empfänglichen Herzen alle Sorgen
des Unglücklichen teilte, stand ratlos: selbst ihr fein ausgebildetes weibliches
Gefühl konnte keinen rettenden Ausweg aus dieser Welt der Irrungen und
Wirrungen finden. Und unmittelbar in die Lebenskreise Lenaus zu treten,
gleichsam die Vorsehung zu spielen, hütete sie sich wohl. So blieb ihr nichts
weiter übrig, als den gebeugten Freund vorsichtig, mit sanfter Gewalt seiner
Schwermut zu entreißen, in die Liebesangelegenheit aber weder hemmend noch
fördernd einzugreifen.
Als Lenau sie 1832 verlassen hatte und wieder in Heidelberg weilte, fühlte
er den Segen der schwäbischen Freundschaft lebhafter denn je; und in voller
Erkenntnis seiner Dankesschuld schrieb er folgende, der Briefschatzkammer
Schwabs entnommne Zeilen, die darthun, wie sehr der gute, reine Geist, der
in Gustav Schwabs Hause waltete, ihm in die Seele gedrungen war, sodaß
das Familienleben einen Spiegel in seiner Poesie fand. Der an Sophie
Schwab gerichtete Brief lautet:
Heidelberg, 24. Jänner 1832.
Teure Freundin!
Rufen Sie Ihren lieben kleinen Ludwig und sagen Sie ihm: Brief Mich!
und geben Sie ihm einen Kuß für die Treue, mit der er meiner gedenkt. Sein
Bild hat sich mir sehr eingeprägt und ist mir so geläufig worden, daß ich beim
Dichten unwillkürlich manchmal ein Gleichnis aus dem Kinderleben hole. So ge¬
schah mirs in der Winternacht, so geschah mirs vorgestern in der Wurmlinger
Kapelle. Ich übersende Ihnen hier dieses Gedicht, mit der Bitte an meinen lieben
Schwab, es einzuschalten in meine Sammlung, doch in einiger Entfernung von der
Winternacht, weil, wie gesagt, in beiden Gedichten Kindergleichnisse vorkommen,
und Kritiker meinen könnten, „der Herr Poet scheint sich viel in Kinderstuben
herumgetrieben zu haben." Mehr um mein Versprechen zu erfüllen, als daß ich
glaubte, etwas Echtes geleistet zu haben, überschicke ich Ihnen das Gedicht. Es
ist ein mißliches Geschäft, einen Gegenstand zu besingen, über welchen schon zwei
so vortreffliche Gedichte vorhanden sind.
Ich bin nicht mehr so traurig, liebe Freundin, als ich am Morgen unsrer
Trennung gewesen. Ich müßte ja schon tot sein, wenn diese Trauer lange ge¬
dauert hätte. Mir war damals zu Mute, als würde ich aus dem Paradies — dem
durch meine eigne Schuld verwirkte» — gestoßen auf ewig. Nun bin ich heiter,
wie ich es lange nicht gewesen. Als wir den letzten Abend zusammensaßen und
Glühwein tranken, hob mein Schwab das Glas und trank mir so herzlich zu auf
meine Wiederherstellung, und Sie stießen an, und der tiefe, warme Himmel der
Freundschaft grüßte mich segnend aus Ihrem Auge. Das war ein herrlicher
Augenblick!
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