Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Litteratur Papier-, Kurzwaren-, Weißwarenladen für eine Mark einkauft, erbietet sich der Litteratur Die Lebensgeschichte der Gestirne in Briefen an eine Freundin. Eine populäre Astro¬ Eine der sonderbarsten Geschmacklosigkeiten, die uns jemals auf dem Gebiete Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig Litteratur Papier-, Kurzwaren-, Weißwarenladen für eine Mark einkauft, erbietet sich der Litteratur Die Lebensgeschichte der Gestirne in Briefen an eine Freundin. Eine populäre Astro¬ Eine der sonderbarsten Geschmacklosigkeiten, die uns jemals auf dem Gebiete Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0056" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231226"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_131" prev="#ID_130"> Papier-, Kurzwaren-, Weißwarenladen für eine Mark einkauft, erbietet sich der<lb/> Verkäufer schon, einem das Päckchen nach Hause zu schicken. Brauer, Bierverlcgcr<lb/> und andre Händler lassen ihre Wagen täglich ein paarmal die Runde machen.<lb/> Sonst brachten nur die Hausierer die Waren ius Haus, mehr und mehr werden<lb/> die ansässigen Händler und sogar die Fabrikanten zu Hausierern. Solche Dienste<lb/> zu beanspruchen, wäre von den Kunden doppelt unbillig, da ohnehin alle Waren<lb/> spottwohlfeil sind. Der einzelne würde ja nun gewiß gern darauf verzichten, daß<lb/> seinetwegen Bäckerlehrlinge oder zum Austragen gedungne Schulkinder geschunden<lb/> werde», und würde sich ohne Murren Brot und Seuuuelu wieder wie ehemals<lb/> durch seine Leute holen lassen. Aber noch so viele vernünftige einzelne machen<lb/> zusammen noch kein vernünftiges Publikum. Das Publikum ist eine ungegliederte,<lb/> daher zu gemeinsamem vernünftigen Handeln unfähige Menge; wenn der einzelne<lb/> sieht, daß das gute Beispiel, das er giebt, nichts nützt, so bequemt er sich dem<lb/> allgemeinen unvernünftigen Brauch wieder an. Deshalb ist der Staatszwang in<lb/> solchen Dingen nicht zu entbehren, so lästig er sein, und so viel Unvernünftiges er<lb/> durch die unvermeidliche Schablonisierung hervorbringen mag. Es bleibt also nichts<lb/> übrig, als dem Publikum die ihm von den konkurrierenden Bäckern angewohnter<lb/> Bequemlichkeiten zwangsweise wieder abzugewöhnen; nachdem man die Arbeitszeit<lb/> der Bäckereiarbeiter ans ein erträgliches Maß herabgesetzt hat, muß mau jetzt die<lb/> Verwendung von Schulkindern zum Semmelaustragen verbieten, und nach einigen<lb/> Jahren wird man sich zum letzten Schritt, zum Verbot der Nachtarbeit in den<lb/> Bäckereien, gezwungen sehen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Litteratur</head><lb/> <p xml:id="ID_132"> Die Lebensgeschichte der Gestirne in Briefen an eine Freundin. Eine populäre Astro¬<lb/> nomie der Fixsterne. Von l)r. M. Wilhelm Mever. Dritte, verbesserte Auflage, Leipzig,<lb/> Hermann Haacke, 1898</p><lb/> <p xml:id="ID_133"> Eine der sonderbarsten Geschmacklosigkeiten, die uns jemals auf dem Gebiete<lb/> der populären Litteratur vorgekommen siud. Der Verfasser will so graziös wie<lb/> möglich sein, und wird so plump wie nur denkbar. Die Freundin, an die diese<lb/> Briefe gerichtet sind, nennt er immer nur Madame. Wo in Deutschland ist das<lb/> denn überhaupt noch üblich? Wir haben geglaubt, diese Anrede sei längst in guten<lb/> Kreisen lächerlich geworden. „Wissen Sie, was die Unendlichkeit ist, Madame?"<lb/> „Ehescheidungsklagen kommen am Himmel nicht vor, Madame." „Ach, Madame,<lb/> wenn doch die Menschen auch solche Sterne wären!" Das kirschrote, übermütige<lb/> Mündchen seiner Madame, die beiden hellsehender Solitärc, die wie Tautropfen<lb/> an jenen Rosen hängen, die Ihnen der liebe Gott selbst zu beiden Seiten ins Haar<lb/> gesteckt hat, werden uns nicht erspart. Wenn aber die Sonnenflekken eine häßliche<lb/> Hautkrankheit genannt werden, von der „die hohe Frau" alle elf Jahre befallen<lb/> wird, haben wir genng von diesem „Suns" und staunen mir noch, wie es möglich<lb/> ist, daß sich ein wahrscheinlich nicht kleines Publikum auf 209 Seiten in dieser<lb/> affektierten Weise ausdem läßt. Ans vollem Herzen stimmen wir in das Schlu߬<lb/> wort ein: Auf Wiedersehen nach dem nächsten Weltuntergang!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig<lb/> Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0056]
Litteratur
Papier-, Kurzwaren-, Weißwarenladen für eine Mark einkauft, erbietet sich der
Verkäufer schon, einem das Päckchen nach Hause zu schicken. Brauer, Bierverlcgcr
und andre Händler lassen ihre Wagen täglich ein paarmal die Runde machen.
Sonst brachten nur die Hausierer die Waren ius Haus, mehr und mehr werden
die ansässigen Händler und sogar die Fabrikanten zu Hausierern. Solche Dienste
zu beanspruchen, wäre von den Kunden doppelt unbillig, da ohnehin alle Waren
spottwohlfeil sind. Der einzelne würde ja nun gewiß gern darauf verzichten, daß
seinetwegen Bäckerlehrlinge oder zum Austragen gedungne Schulkinder geschunden
werde», und würde sich ohne Murren Brot und Seuuuelu wieder wie ehemals
durch seine Leute holen lassen. Aber noch so viele vernünftige einzelne machen
zusammen noch kein vernünftiges Publikum. Das Publikum ist eine ungegliederte,
daher zu gemeinsamem vernünftigen Handeln unfähige Menge; wenn der einzelne
sieht, daß das gute Beispiel, das er giebt, nichts nützt, so bequemt er sich dem
allgemeinen unvernünftigen Brauch wieder an. Deshalb ist der Staatszwang in
solchen Dingen nicht zu entbehren, so lästig er sein, und so viel Unvernünftiges er
durch die unvermeidliche Schablonisierung hervorbringen mag. Es bleibt also nichts
übrig, als dem Publikum die ihm von den konkurrierenden Bäckern angewohnter
Bequemlichkeiten zwangsweise wieder abzugewöhnen; nachdem man die Arbeitszeit
der Bäckereiarbeiter ans ein erträgliches Maß herabgesetzt hat, muß mau jetzt die
Verwendung von Schulkindern zum Semmelaustragen verbieten, und nach einigen
Jahren wird man sich zum letzten Schritt, zum Verbot der Nachtarbeit in den
Bäckereien, gezwungen sehen.
Litteratur
Die Lebensgeschichte der Gestirne in Briefen an eine Freundin. Eine populäre Astro¬
nomie der Fixsterne. Von l)r. M. Wilhelm Mever. Dritte, verbesserte Auflage, Leipzig,
Hermann Haacke, 1898
Eine der sonderbarsten Geschmacklosigkeiten, die uns jemals auf dem Gebiete
der populären Litteratur vorgekommen siud. Der Verfasser will so graziös wie
möglich sein, und wird so plump wie nur denkbar. Die Freundin, an die diese
Briefe gerichtet sind, nennt er immer nur Madame. Wo in Deutschland ist das
denn überhaupt noch üblich? Wir haben geglaubt, diese Anrede sei längst in guten
Kreisen lächerlich geworden. „Wissen Sie, was die Unendlichkeit ist, Madame?"
„Ehescheidungsklagen kommen am Himmel nicht vor, Madame." „Ach, Madame,
wenn doch die Menschen auch solche Sterne wären!" Das kirschrote, übermütige
Mündchen seiner Madame, die beiden hellsehender Solitärc, die wie Tautropfen
an jenen Rosen hängen, die Ihnen der liebe Gott selbst zu beiden Seiten ins Haar
gesteckt hat, werden uns nicht erspart. Wenn aber die Sonnenflekken eine häßliche
Hautkrankheit genannt werden, von der „die hohe Frau" alle elf Jahre befallen
wird, haben wir genng von diesem „Suns" und staunen mir noch, wie es möglich
ist, daß sich ein wahrscheinlich nicht kleines Publikum auf 209 Seiten in dieser
affektierten Weise ausdem läßt. Ans vollem Herzen stimmen wir in das Schlu߬
wort ein: Auf Wiedersehen nach dem nächsten Weltuntergang!
Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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