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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Gkkultismus und Buddhismus

wohl so ergangen sein, wie es Clemens Brentano ergangen ist, als er die
Offenbarungen der Katharina Emmerich niederschrieb. Nach Ansicht des
Döllingerschen Kreises ist es damit so zugegangen. Brentano hat der eksta¬
tischen Nonne Jerusalem und Palästina nach guten Quellen genau beschrieben
und die Sagen der apokryphen Evangelien erzählt. Die mit lebhafter Phan¬
tasie begabte Katharina hat das Erzählte dann als Vision erlebt, und Brentano
hat also auf diesem Umwege eigentlich nur seine eignen Offenbarungen wieder¬
bekommen. So hat möglicherweise Sinnett seinen indischen Lehrern Antworten
abgefragt, die er vorher in sie hineindoziert hatte. Wir finden in seinem
System lauter alte und neue europäische Gedanken. Die Lehre von den Be¬
standteilen des Menschen ist die etwas weiter ausgesponnene platonisch-aristo¬
telische. Die Weltenkreisläufe lehrt unsre moderne Astronomie; aus einem
gasförmigen Zustande soll die Materie nach und nach in einen dichtern über¬
gehn, sich zu Sonne und Planeten zusammenballen, auf diesen organisches
Leben erzeugen, bis der Prozeß rückläufig wird, alles wieder in Gas auflöst
und die Möglichkeit für eine neue Weltwerdung herstellt. Da der Geist nun
doch auch zu den Wirklichkeiten gehört und nach Schätzung der Philosophie-
Professoren nicht gerade zu den schlechtesten, und da er so wenig wie die
Materie aus nichts geworden sein kann, so steht sich die Philosophie gezwungen,
in den astronomischen Kreislauf der Materie auch die geistige Substanz herein¬
zuziehen. Und nachdem man die ungeheure Größe der Welt und die große
Zahl der Weltkörper kennen gelernt hat, vermag man sich die Entwicklung,
wie sie von Kant, Laplace und Darwin beschrieben wird, nicht mehr rein ter¬
restrisch zu denken, sondern faßt das Erdenleben als Glied eines kosmischen
Prozesses auf. Gegen die Ewigkeit der Höllenstrafen wird allgemein Protest
erhoben, und für den Pantheismus, den die meisten Menschen an die Stelle
des Theismus gesetzt haben, stehn eine Menge von Systemen zur Verfügung;
ob man die persönliche Weltvernunft Idee, Begriff, Ich. Vorstellung, Unbe¬
wußtes oder siebenten Bestandteil nennt, darauf kommt wenig an. Diese neu¬
europäischen Gedanken hat nun Sinnett mit indischen zu einem recht sinnreich
aufgebauten Ganzen verflochten, dem er durch die Bezeichnung Geheimbuddhismus
in den Augen derer, die nicht alle werden, höhere Würde und stärkere Autorität
verleiht. Gegen Phantasien über das Jenseits ist ja gerade von feiten der
christlichen Theologie, die ihr eignes dämonologisches Kapitel hat, an sich nichts
einzuwenden, und wenn sich Sinnetts Buch als Phantasie oder philosophische
Utopie gäbe, so könnte man es als eine unterhaltende und anregende Lektüre
empfehlen. Aber der Anspruch, ein auf ungewöhnlichen Wegen erlangtes
zuverlässiges Wissen mitzuteilen, stellt es in die Reihe der okkultistischen,
d. h. Schwindelerzeugnisse, wenn auch nur der objektiv schwindelhafter gut¬
gläubiger Schwärmer. Was den praktischen Wert dieser Weltauffassung an¬
langt, so kann er schon darum nicht höher angeschlagen werden als der des


Gkkultismus und Buddhismus

wohl so ergangen sein, wie es Clemens Brentano ergangen ist, als er die
Offenbarungen der Katharina Emmerich niederschrieb. Nach Ansicht des
Döllingerschen Kreises ist es damit so zugegangen. Brentano hat der eksta¬
tischen Nonne Jerusalem und Palästina nach guten Quellen genau beschrieben
und die Sagen der apokryphen Evangelien erzählt. Die mit lebhafter Phan¬
tasie begabte Katharina hat das Erzählte dann als Vision erlebt, und Brentano
hat also auf diesem Umwege eigentlich nur seine eignen Offenbarungen wieder¬
bekommen. So hat möglicherweise Sinnett seinen indischen Lehrern Antworten
abgefragt, die er vorher in sie hineindoziert hatte. Wir finden in seinem
System lauter alte und neue europäische Gedanken. Die Lehre von den Be¬
standteilen des Menschen ist die etwas weiter ausgesponnene platonisch-aristo¬
telische. Die Weltenkreisläufe lehrt unsre moderne Astronomie; aus einem
gasförmigen Zustande soll die Materie nach und nach in einen dichtern über¬
gehn, sich zu Sonne und Planeten zusammenballen, auf diesen organisches
Leben erzeugen, bis der Prozeß rückläufig wird, alles wieder in Gas auflöst
und die Möglichkeit für eine neue Weltwerdung herstellt. Da der Geist nun
doch auch zu den Wirklichkeiten gehört und nach Schätzung der Philosophie-
Professoren nicht gerade zu den schlechtesten, und da er so wenig wie die
Materie aus nichts geworden sein kann, so steht sich die Philosophie gezwungen,
in den astronomischen Kreislauf der Materie auch die geistige Substanz herein¬
zuziehen. Und nachdem man die ungeheure Größe der Welt und die große
Zahl der Weltkörper kennen gelernt hat, vermag man sich die Entwicklung,
wie sie von Kant, Laplace und Darwin beschrieben wird, nicht mehr rein ter¬
restrisch zu denken, sondern faßt das Erdenleben als Glied eines kosmischen
Prozesses auf. Gegen die Ewigkeit der Höllenstrafen wird allgemein Protest
erhoben, und für den Pantheismus, den die meisten Menschen an die Stelle
des Theismus gesetzt haben, stehn eine Menge von Systemen zur Verfügung;
ob man die persönliche Weltvernunft Idee, Begriff, Ich. Vorstellung, Unbe¬
wußtes oder siebenten Bestandteil nennt, darauf kommt wenig an. Diese neu¬
europäischen Gedanken hat nun Sinnett mit indischen zu einem recht sinnreich
aufgebauten Ganzen verflochten, dem er durch die Bezeichnung Geheimbuddhismus
in den Augen derer, die nicht alle werden, höhere Würde und stärkere Autorität
verleiht. Gegen Phantasien über das Jenseits ist ja gerade von feiten der
christlichen Theologie, die ihr eignes dämonologisches Kapitel hat, an sich nichts
einzuwenden, und wenn sich Sinnetts Buch als Phantasie oder philosophische
Utopie gäbe, so könnte man es als eine unterhaltende und anregende Lektüre
empfehlen. Aber der Anspruch, ein auf ungewöhnlichen Wegen erlangtes
zuverlässiges Wissen mitzuteilen, stellt es in die Reihe der okkultistischen,
d. h. Schwindelerzeugnisse, wenn auch nur der objektiv schwindelhafter gut¬
gläubiger Schwärmer. Was den praktischen Wert dieser Weltauffassung an¬
langt, so kann er schon darum nicht höher angeschlagen werden als der des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/556>, abgerufen am 15.01.2025.