Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Okkultismus und Buddhismus Humbug oder philosophische Schwärmerei? fragt man sich beim Lesen ") Nach Oldenburgs früher erwähnten Feststellungen und nach Rhys Davids S, 29. Die allgemeinen Weltgeschichten, selbst so gediegne wie die Svamersche, geben immer noch viel zu hohe Zahlen. Grenzboten III 1899 69
Okkultismus und Buddhismus Humbug oder philosophische Schwärmerei? fragt man sich beim Lesen ") Nach Oldenburgs früher erwähnten Feststellungen und nach Rhys Davids S, 29. Die allgemeinen Weltgeschichten, selbst so gediegne wie die Svamersche, geben immer noch viel zu hohe Zahlen. Grenzboten III 1899 69
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0553" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231723"/> <fw type="header" place="top"> Okkultismus und Buddhismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_1778" next="#ID_1779"> Humbug oder philosophische Schwärmerei? fragt man sich beim Lesen<lb/> dieses Buchs. Wahrscheinlich wohl das zweite, da auf die — man darf sagen<lb/> wissenschaftliche — Durcharbeitung der einzelnen Phantasien mehr ernster<lb/> Fleiß aufgewandt ist, als einem Schwindler zur Verfügung zu stehn pflegt.<lb/> Wir wollen uns eine Hypothese erlauben. Da bei der Unfähigkeit der Orien¬<lb/> talen und namentlich der Inder zu nüchterner Berichterstattung über That¬<lb/> sachen und zur richtigen Angabe von Zahlen alle indische Chronologie völlig<lb/> wertlos ist, so hat die europäische Forschung den Glauben an das hohe Alter<lb/> der indischen Weisheit längst aufgegeben. Nach neuern Berechnungen befanden<lb/> sich die arischen Bewohner des Fünfstromlandes um das Jahr 1000 v. Chr.<lb/> auf der Kulturstufe, die uns in den vedischen Dichtungen entgegentritt, und<lb/> sind die Arier im sechsten Jahrhundert bis ins Gangesthal hinabgedrungen.*)<lb/> Da nun die vedische Kulturstufe viel tiefer steht als die homerische — es ist<lb/> die Stufe des Hirtenlebens, während die homerische Welt schon einen ziem¬<lb/> lich hohen Grad gewerblicher Kunstfertigkeit erreicht hat —, so ist an den Be¬<lb/> ginn philosophischer Spekulation vor dem Jahre 500 v. Chr. nicht zu denken.<lb/> Daß philosophische Systeme vor Buddhas Zeit, d. h. vor dem Jahre 500,<lb/> schriftlich aufgezeichnet worden wären, hält auch Rhys Davids für unwahr¬<lb/> scheinlich. (S. 41 der von Dr. Arthur Pfungst gefertigten deutschen Über¬<lb/> setzung seines Werkchens: Der Buddhismus, eine Darstellung von dem Leben<lb/> und den Lehren Gautamas, des Buddhas; 3941. und 3942. Bändchen von<lb/> Neclams Universal-Bibliothek.) Die brahmanische wie die buddhistische Litte¬<lb/> ratur hat also erst in den letzten Jahrhunderten vor Christus begonnen, und<lb/> viele der Bücher, die man vor fünfzig Jahren noch für uralt hielt, sind wahr¬<lb/> scheinlich erst in der christlichen Zeit entstanden. Rhys selbst findet die Ema¬<lb/> nationslehre des „entarteten" Buddhismus der gnostischen ähnlich und hält<lb/> es nicht für unmöglich, daß gewisse buddhistische Götter aus dem persischen<lb/> Christentum stammen (S. 214). Es dürfte aber noch weit mehr daher stammen,<lb/> nicht bloß im entarteten, sondern auch im echten Buddhismus, der unserm<lb/> Geschmack nach nicht viel mehr wert ist als der entartete, und von dem sich<lb/> bei dem Zustande der indischen Chronologie schwerlich wird beweisen lassen,<lb/> daß er viel älter wäre als dieser. So erklärt sich die Ähnlichkeit vieler Züge<lb/> im Leben Buddhas mit solchen im Leben Jesu auf die einfachste Weise von<lb/> der Welt. Bei Rhys Davids treten diese Züge sehr auffällig hervor, viel<lb/> auffälliger als in den Reden Buddhas, von denen Karl Eugen Neumann eine<lb/> sehr umfangreiche Auswahl veröffentlicht hat. Buddha wird auf übernatürliche<lb/> Weise empfangen, er fastet, er wird versucht, er verzichtet auf der Welt Herr-</p><lb/> <note xml:id="FID_221" place="foot"> ") Nach Oldenburgs früher erwähnten Feststellungen und nach Rhys Davids S, 29. Die<lb/> allgemeinen Weltgeschichten, selbst so gediegne wie die Svamersche, geben immer noch viel zu<lb/> hohe Zahlen.</note><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1899 69</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0553]
Okkultismus und Buddhismus
Humbug oder philosophische Schwärmerei? fragt man sich beim Lesen
dieses Buchs. Wahrscheinlich wohl das zweite, da auf die — man darf sagen
wissenschaftliche — Durcharbeitung der einzelnen Phantasien mehr ernster
Fleiß aufgewandt ist, als einem Schwindler zur Verfügung zu stehn pflegt.
Wir wollen uns eine Hypothese erlauben. Da bei der Unfähigkeit der Orien¬
talen und namentlich der Inder zu nüchterner Berichterstattung über That¬
sachen und zur richtigen Angabe von Zahlen alle indische Chronologie völlig
wertlos ist, so hat die europäische Forschung den Glauben an das hohe Alter
der indischen Weisheit längst aufgegeben. Nach neuern Berechnungen befanden
sich die arischen Bewohner des Fünfstromlandes um das Jahr 1000 v. Chr.
auf der Kulturstufe, die uns in den vedischen Dichtungen entgegentritt, und
sind die Arier im sechsten Jahrhundert bis ins Gangesthal hinabgedrungen.*)
Da nun die vedische Kulturstufe viel tiefer steht als die homerische — es ist
die Stufe des Hirtenlebens, während die homerische Welt schon einen ziem¬
lich hohen Grad gewerblicher Kunstfertigkeit erreicht hat —, so ist an den Be¬
ginn philosophischer Spekulation vor dem Jahre 500 v. Chr. nicht zu denken.
Daß philosophische Systeme vor Buddhas Zeit, d. h. vor dem Jahre 500,
schriftlich aufgezeichnet worden wären, hält auch Rhys Davids für unwahr¬
scheinlich. (S. 41 der von Dr. Arthur Pfungst gefertigten deutschen Über¬
setzung seines Werkchens: Der Buddhismus, eine Darstellung von dem Leben
und den Lehren Gautamas, des Buddhas; 3941. und 3942. Bändchen von
Neclams Universal-Bibliothek.) Die brahmanische wie die buddhistische Litte¬
ratur hat also erst in den letzten Jahrhunderten vor Christus begonnen, und
viele der Bücher, die man vor fünfzig Jahren noch für uralt hielt, sind wahr¬
scheinlich erst in der christlichen Zeit entstanden. Rhys selbst findet die Ema¬
nationslehre des „entarteten" Buddhismus der gnostischen ähnlich und hält
es nicht für unmöglich, daß gewisse buddhistische Götter aus dem persischen
Christentum stammen (S. 214). Es dürfte aber noch weit mehr daher stammen,
nicht bloß im entarteten, sondern auch im echten Buddhismus, der unserm
Geschmack nach nicht viel mehr wert ist als der entartete, und von dem sich
bei dem Zustande der indischen Chronologie schwerlich wird beweisen lassen,
daß er viel älter wäre als dieser. So erklärt sich die Ähnlichkeit vieler Züge
im Leben Buddhas mit solchen im Leben Jesu auf die einfachste Weise von
der Welt. Bei Rhys Davids treten diese Züge sehr auffällig hervor, viel
auffälliger als in den Reden Buddhas, von denen Karl Eugen Neumann eine
sehr umfangreiche Auswahl veröffentlicht hat. Buddha wird auf übernatürliche
Weise empfangen, er fastet, er wird versucht, er verzichtet auf der Welt Herr-
") Nach Oldenburgs früher erwähnten Feststellungen und nach Rhys Davids S, 29. Die
allgemeinen Weltgeschichten, selbst so gediegne wie die Svamersche, geben immer noch viel zu
hohe Zahlen.
Grenzboten III 1899 69
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |