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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die Rechtsanwaltschaft bei den Amtsgerichten

Verhältnis stehn als ein Unterbeamter, einem Abhängigkeitsverhältnis, wie es bei
einem Landgerichtsanwalt gar nicht vorkommen kann, da dieser seine Berufs¬
thätigkeit bei einer Mehrheit von Gerichten, Abteilungen desselben Gerichts
und Einzelrichtern ausübt.

Und dieses Abhängigkeitsverhältnis des nur beim Amtsgericht zugelassenen
Rechtsanwalts besteht nicht etwa bloß auf dem hauptsächlichsten Gebiet der
Anwaltsthätigkeit, dem Zivilprozeß, sondern nicht minder auch auf andern Ge¬
bieten der Berufsthätigkeit, insbesondre auch bei der Ausübung des Notariats,
wo -- wie in Altpreußen -- das Notariat regelmäßig nur an Rechtsanwälte
verliehen wird, unter gleichzeitiger Konkurrenz des Justizfiskus, sodaß es in
der Wahl der Beteiligten steht, die Beurkundung beim Amtsgericht oder beim
Notar vorzunehmen. Die Verbindung des Beurkundungswesens mit der Füh¬
rung des Grundbuchs schafft bei dieser Konkurrenz des Justizfiskus mit den
Notaren dem Fiskus schon bedeutende Vorzüge; diese Verbindung sichert
eine ordnungsmäßige und schleunige Erledigung in viel höherm Maße, als
die Beurkundung durch den Notar, der sodann erst die Vuchbehörde in An¬
spruch zu nehmen hat, um die Eintragung zu bewirken. Je nachdem nun der
Amtsrichter der Neigung der Rechtsuchenden, die Beurkundung bei Gericht
vorzunehmen, gegenübersteht -- es giebt Amtsrichter, die sich das Beurkun¬
dungswesen, namentlich die Aufnahme von Verträgen, fernzuhalten suchen, und
solche, die es an sich ziehn --, ist die Stellung des Anwaltnotars günstig oder
ungünstig; also auch hier wieder die Abhängigkeit des Urwalds von der Amts¬
führung eines Einzelrichters, oft des einzigen Richters, vor dem der Anwalt
seine Berufsthätigkeit ausübt!

Daß hier unendlich viel Menschliches vorkommt, ist nur zu bekannt; es
genügt der Hinweis auf das Urteil des Ehrengerichtshofs zu Leipzig vom
8. Juli 1887, worin sich der Fall bezeugt findet, daß ein Amtsrichter die
Rechtsanwälte und Notare unter Mißbrauch seiner Amtsgewalt in der denkbar
schroffsten Weise behandelt und infolge rein persönlicher Gehässigkeit und
Feindseligkeit dem Publikum fortwährend abrät, sich zur Besorgung seiner
Geschäfte der Rechtsanwälte und Notare zu bedienen! Fälle von Selbstüber¬
hebung und Gehässigkeit des Amtsrichters gegen die Anwälte mögen in solchem
Maße selten vorkommen; daß sie aber in abgeschwächter Gestalt leider oft vor¬
kommen, kann nur der bestreiten, der die Verhältnisse nicht kennt. Hierbei sei
noch daran erinnert, daß ohne ständige Einsichtnahme der gerichtlichen Grund-,
Nachlaß- und Vormundschaftsakten, sowie andrer Akten die Ausübung der
Berufe des Nechtsanwalts und Notars kaum möglich ist, daß aber -- wenig¬
stens in Altpreußen -- die Genannten hinsichtlich der Befugnis zur Einsicht
von Gerichtsakten durchaus nicht anders dastehn als jedermann aus dem
Publikum, d. h. daß der Amtsrichter in der Lage ist, je nach Befinden die Ein¬
sicht zu erlauben oder zu verbieten, also die Ausübung der Berufe zu erleichtern


Die Rechtsanwaltschaft bei den Amtsgerichten

Verhältnis stehn als ein Unterbeamter, einem Abhängigkeitsverhältnis, wie es bei
einem Landgerichtsanwalt gar nicht vorkommen kann, da dieser seine Berufs¬
thätigkeit bei einer Mehrheit von Gerichten, Abteilungen desselben Gerichts
und Einzelrichtern ausübt.

Und dieses Abhängigkeitsverhältnis des nur beim Amtsgericht zugelassenen
Rechtsanwalts besteht nicht etwa bloß auf dem hauptsächlichsten Gebiet der
Anwaltsthätigkeit, dem Zivilprozeß, sondern nicht minder auch auf andern Ge¬
bieten der Berufsthätigkeit, insbesondre auch bei der Ausübung des Notariats,
wo — wie in Altpreußen — das Notariat regelmäßig nur an Rechtsanwälte
verliehen wird, unter gleichzeitiger Konkurrenz des Justizfiskus, sodaß es in
der Wahl der Beteiligten steht, die Beurkundung beim Amtsgericht oder beim
Notar vorzunehmen. Die Verbindung des Beurkundungswesens mit der Füh¬
rung des Grundbuchs schafft bei dieser Konkurrenz des Justizfiskus mit den
Notaren dem Fiskus schon bedeutende Vorzüge; diese Verbindung sichert
eine ordnungsmäßige und schleunige Erledigung in viel höherm Maße, als
die Beurkundung durch den Notar, der sodann erst die Vuchbehörde in An¬
spruch zu nehmen hat, um die Eintragung zu bewirken. Je nachdem nun der
Amtsrichter der Neigung der Rechtsuchenden, die Beurkundung bei Gericht
vorzunehmen, gegenübersteht — es giebt Amtsrichter, die sich das Beurkun¬
dungswesen, namentlich die Aufnahme von Verträgen, fernzuhalten suchen, und
solche, die es an sich ziehn —, ist die Stellung des Anwaltnotars günstig oder
ungünstig; also auch hier wieder die Abhängigkeit des Urwalds von der Amts¬
führung eines Einzelrichters, oft des einzigen Richters, vor dem der Anwalt
seine Berufsthätigkeit ausübt!

Daß hier unendlich viel Menschliches vorkommt, ist nur zu bekannt; es
genügt der Hinweis auf das Urteil des Ehrengerichtshofs zu Leipzig vom
8. Juli 1887, worin sich der Fall bezeugt findet, daß ein Amtsrichter die
Rechtsanwälte und Notare unter Mißbrauch seiner Amtsgewalt in der denkbar
schroffsten Weise behandelt und infolge rein persönlicher Gehässigkeit und
Feindseligkeit dem Publikum fortwährend abrät, sich zur Besorgung seiner
Geschäfte der Rechtsanwälte und Notare zu bedienen! Fälle von Selbstüber¬
hebung und Gehässigkeit des Amtsrichters gegen die Anwälte mögen in solchem
Maße selten vorkommen; daß sie aber in abgeschwächter Gestalt leider oft vor¬
kommen, kann nur der bestreiten, der die Verhältnisse nicht kennt. Hierbei sei
noch daran erinnert, daß ohne ständige Einsichtnahme der gerichtlichen Grund-,
Nachlaß- und Vormundschaftsakten, sowie andrer Akten die Ausübung der
Berufe des Nechtsanwalts und Notars kaum möglich ist, daß aber — wenig¬
stens in Altpreußen — die Genannten hinsichtlich der Befugnis zur Einsicht
von Gerichtsakten durchaus nicht anders dastehn als jedermann aus dem
Publikum, d. h. daß der Amtsrichter in der Lage ist, je nach Befinden die Ein¬
sicht zu erlauben oder zu verbieten, also die Ausübung der Berufe zu erleichtern


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[0542] Die Rechtsanwaltschaft bei den Amtsgerichten Verhältnis stehn als ein Unterbeamter, einem Abhängigkeitsverhältnis, wie es bei einem Landgerichtsanwalt gar nicht vorkommen kann, da dieser seine Berufs¬ thätigkeit bei einer Mehrheit von Gerichten, Abteilungen desselben Gerichts und Einzelrichtern ausübt. Und dieses Abhängigkeitsverhältnis des nur beim Amtsgericht zugelassenen Rechtsanwalts besteht nicht etwa bloß auf dem hauptsächlichsten Gebiet der Anwaltsthätigkeit, dem Zivilprozeß, sondern nicht minder auch auf andern Ge¬ bieten der Berufsthätigkeit, insbesondre auch bei der Ausübung des Notariats, wo — wie in Altpreußen — das Notariat regelmäßig nur an Rechtsanwälte verliehen wird, unter gleichzeitiger Konkurrenz des Justizfiskus, sodaß es in der Wahl der Beteiligten steht, die Beurkundung beim Amtsgericht oder beim Notar vorzunehmen. Die Verbindung des Beurkundungswesens mit der Füh¬ rung des Grundbuchs schafft bei dieser Konkurrenz des Justizfiskus mit den Notaren dem Fiskus schon bedeutende Vorzüge; diese Verbindung sichert eine ordnungsmäßige und schleunige Erledigung in viel höherm Maße, als die Beurkundung durch den Notar, der sodann erst die Vuchbehörde in An¬ spruch zu nehmen hat, um die Eintragung zu bewirken. Je nachdem nun der Amtsrichter der Neigung der Rechtsuchenden, die Beurkundung bei Gericht vorzunehmen, gegenübersteht — es giebt Amtsrichter, die sich das Beurkun¬ dungswesen, namentlich die Aufnahme von Verträgen, fernzuhalten suchen, und solche, die es an sich ziehn —, ist die Stellung des Anwaltnotars günstig oder ungünstig; also auch hier wieder die Abhängigkeit des Urwalds von der Amts¬ führung eines Einzelrichters, oft des einzigen Richters, vor dem der Anwalt seine Berufsthätigkeit ausübt! Daß hier unendlich viel Menschliches vorkommt, ist nur zu bekannt; es genügt der Hinweis auf das Urteil des Ehrengerichtshofs zu Leipzig vom 8. Juli 1887, worin sich der Fall bezeugt findet, daß ein Amtsrichter die Rechtsanwälte und Notare unter Mißbrauch seiner Amtsgewalt in der denkbar schroffsten Weise behandelt und infolge rein persönlicher Gehässigkeit und Feindseligkeit dem Publikum fortwährend abrät, sich zur Besorgung seiner Geschäfte der Rechtsanwälte und Notare zu bedienen! Fälle von Selbstüber¬ hebung und Gehässigkeit des Amtsrichters gegen die Anwälte mögen in solchem Maße selten vorkommen; daß sie aber in abgeschwächter Gestalt leider oft vor¬ kommen, kann nur der bestreiten, der die Verhältnisse nicht kennt. Hierbei sei noch daran erinnert, daß ohne ständige Einsichtnahme der gerichtlichen Grund-, Nachlaß- und Vormundschaftsakten, sowie andrer Akten die Ausübung der Berufe des Nechtsanwalts und Notars kaum möglich ist, daß aber — wenig¬ stens in Altpreußen — die Genannten hinsichtlich der Befugnis zur Einsicht von Gerichtsakten durchaus nicht anders dastehn als jedermann aus dem Publikum, d. h. daß der Amtsrichter in der Lage ist, je nach Befinden die Ein¬ sicht zu erlauben oder zu verbieten, also die Ausübung der Berufe zu erleichtern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/542>, abgerufen am 15.01.2025.