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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die Rechtsanrvaltschaft bei den Amtsgerichten
Lügen Josef Von in

le Vorschrift der Zivilprozeßordnung, daß sich die Parteien vor
den Landgerichten durch einen "bei dem Prozeßgericht zugelassenen"
Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, in Verbindung mit der
Vorschrift der Nechtsanwaltsordnung, daß der Rechtsanwalt an
dem Orte des Gerichts, bei dem er zugelassen ist, seinen Wohnsitz
nehmen müsse, hat zur Folge, daß die am Sitz der Amtsgerichte wohnenden
Rechtsanwälte grundsätzlich von der Praxis beim vorgesetzten Landgerichte,
also von der Mitwirkung bei alleu größern und einträglichem Rechtsstreitig-
keiten ausgeschlossen sind. Andrerseits ist aber die Thätigkeit in Zivilprozessen
für den Rechtsanwalt der wichtigste Teil der gesamten Berufsthätigkeit. Für
die Ausübung dieser Thätigkeit sind also die am Sitz der Amtsgerichte wohn¬
haften Anwälte lediglich auf die Amtsgerichte und zwar vorzugsweise auf das
Amtsgericht angewiesen, bei dem sie zugelassen sind. Nun ist aber nach der
ausgesprochnen Absicht des Gesetzes der amtsgerichtliche Zivilprozeß ein "Partei-
Prozeß in der Weise, daß vor den Amtsgerichten als das Natürliche und Regel¬
mäßige das persönliche Erscheinen der Parteien und die Nichtzuziehung von
Rechtsauwälten vorausgesetzt wird. Die Gründe für diese Regelung liegen
auf der Hand: die vor dem Einzelrichter verhandelten Prozesse sind im all¬
gemeinen von so einfacher Art, daß eine Zuziehung von Rechtsanwälten nicht
erforderlich ist; vielfach sind die Streitigkeiten (man denke an eine seitenlange
Schuster- oder Schneiderrechnung über zehn Mark) juristisch so wenig ver¬
wickelt, daß eine Zuziehung von Rechtsauwälten geradezu unangemessen ist;
soweit die amtsgerichtlichen Streitigkeiten dem Amtsgericht gerade wegen be¬
sondrer Beschleunigung vom Gesetz überwiesen sind, würde die Zuziehung von


Grenzboten III 1899 67


Die Rechtsanrvaltschaft bei den Amtsgerichten
Lügen Josef Von in

le Vorschrift der Zivilprozeßordnung, daß sich die Parteien vor
den Landgerichten durch einen „bei dem Prozeßgericht zugelassenen"
Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, in Verbindung mit der
Vorschrift der Nechtsanwaltsordnung, daß der Rechtsanwalt an
dem Orte des Gerichts, bei dem er zugelassen ist, seinen Wohnsitz
nehmen müsse, hat zur Folge, daß die am Sitz der Amtsgerichte wohnenden
Rechtsanwälte grundsätzlich von der Praxis beim vorgesetzten Landgerichte,
also von der Mitwirkung bei alleu größern und einträglichem Rechtsstreitig-
keiten ausgeschlossen sind. Andrerseits ist aber die Thätigkeit in Zivilprozessen
für den Rechtsanwalt der wichtigste Teil der gesamten Berufsthätigkeit. Für
die Ausübung dieser Thätigkeit sind also die am Sitz der Amtsgerichte wohn¬
haften Anwälte lediglich auf die Amtsgerichte und zwar vorzugsweise auf das
Amtsgericht angewiesen, bei dem sie zugelassen sind. Nun ist aber nach der
ausgesprochnen Absicht des Gesetzes der amtsgerichtliche Zivilprozeß ein „Partei-
Prozeß in der Weise, daß vor den Amtsgerichten als das Natürliche und Regel¬
mäßige das persönliche Erscheinen der Parteien und die Nichtzuziehung von
Rechtsauwälten vorausgesetzt wird. Die Gründe für diese Regelung liegen
auf der Hand: die vor dem Einzelrichter verhandelten Prozesse sind im all¬
gemeinen von so einfacher Art, daß eine Zuziehung von Rechtsanwälten nicht
erforderlich ist; vielfach sind die Streitigkeiten (man denke an eine seitenlange
Schuster- oder Schneiderrechnung über zehn Mark) juristisch so wenig ver¬
wickelt, daß eine Zuziehung von Rechtsauwälten geradezu unangemessen ist;
soweit die amtsgerichtlichen Streitigkeiten dem Amtsgericht gerade wegen be¬
sondrer Beschleunigung vom Gesetz überwiesen sind, würde die Zuziehung von


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[0537] [Abbildung] Die Rechtsanrvaltschaft bei den Amtsgerichten Lügen Josef Von in le Vorschrift der Zivilprozeßordnung, daß sich die Parteien vor den Landgerichten durch einen „bei dem Prozeßgericht zugelassenen" Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, in Verbindung mit der Vorschrift der Nechtsanwaltsordnung, daß der Rechtsanwalt an dem Orte des Gerichts, bei dem er zugelassen ist, seinen Wohnsitz nehmen müsse, hat zur Folge, daß die am Sitz der Amtsgerichte wohnenden Rechtsanwälte grundsätzlich von der Praxis beim vorgesetzten Landgerichte, also von der Mitwirkung bei alleu größern und einträglichem Rechtsstreitig- keiten ausgeschlossen sind. Andrerseits ist aber die Thätigkeit in Zivilprozessen für den Rechtsanwalt der wichtigste Teil der gesamten Berufsthätigkeit. Für die Ausübung dieser Thätigkeit sind also die am Sitz der Amtsgerichte wohn¬ haften Anwälte lediglich auf die Amtsgerichte und zwar vorzugsweise auf das Amtsgericht angewiesen, bei dem sie zugelassen sind. Nun ist aber nach der ausgesprochnen Absicht des Gesetzes der amtsgerichtliche Zivilprozeß ein „Partei- Prozeß in der Weise, daß vor den Amtsgerichten als das Natürliche und Regel¬ mäßige das persönliche Erscheinen der Parteien und die Nichtzuziehung von Rechtsauwälten vorausgesetzt wird. Die Gründe für diese Regelung liegen auf der Hand: die vor dem Einzelrichter verhandelten Prozesse sind im all¬ gemeinen von so einfacher Art, daß eine Zuziehung von Rechtsanwälten nicht erforderlich ist; vielfach sind die Streitigkeiten (man denke an eine seitenlange Schuster- oder Schneiderrechnung über zehn Mark) juristisch so wenig ver¬ wickelt, daß eine Zuziehung von Rechtsauwälten geradezu unangemessen ist; soweit die amtsgerichtlichen Streitigkeiten dem Amtsgericht gerade wegen be¬ sondrer Beschleunigung vom Gesetz überwiesen sind, würde die Zuziehung von Grenzboten III 1899 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/537>, abgerufen am 15.01.2025.