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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

uns natürlich in ihrem schönen Frühlingsschmucke in besonderm Maße offen¬
barten. Auch trägt die eigentümliche Lage der Städte nicht wenig zu diesem
Eindruck bei. Sie sind nämlich fast durchweg auf der Höhe, auf besonders
hervorragenden Kuppen jener vorgeschobnen Querriegel erbaut, z. V. das oben
erwähnte Loreto, ferner Necanati, der Geburtsort Giacomo Leopardis, Fermo,
Macerata u. a. in. Es wird somit die sanfte Schwingung der Thäler durch
nichts unterbrochen, während ihre Umrandungen durch die alten Stadtmauern,
hochragenden Paläste und Kirchtürme um so wirkungsvoller bekrönt werden.

Die Namen der wichtigern Flüsse sind von Norden nach Süden: Potenza,
Chienti, Terna und Tronto, Wir unternahmen zunächst einen Ausflug in
das Thal des Chieuti, nach Macerata und Tolentino, Macerata ist ein freund¬
licher, angenehmer Ort mit hübschen alten Kirchen und Palästen, verschiednen
Erinnerungen an die altrömische Stadt Helvia Ricina, ferner mit einer guten
Bibliothek, einer Universität, die aber nur eine juristische Fakultät hat, aus¬
sichtsreichen Straßen und -- vortrefflicher, wohlfeiler Verpflegung; in der
Nähe ein berühmter Renaissancebau, die Kirche der Madonna della Vergine von
Battista Lucano, Man konnte in Macerata recht wohl einige Tage verweilen.

Weniger erfreulich ist Tolentino, das sich nicht gerade durch Sauberkeit
auszeichnet und nur unzulängliche Unterkunft gewährt. Immerhin bietet es
in seinen Kirchen S, Niccolo und S- Catervo und in seinem iren8co oivivo,
das einige römische Altertümer und die Ergebnisse der von dem Grafen
Silveri-Gentiloni in der die Stadt umgebenden picenischen Nekropole veran¬
stalteten Ausgrabungen enthält, einiges Sehenswerte dar, und vor allem genossen
wir hier ein unvergeßliches Bild, wie es in dieser farbenfreudigen Schönheit
und ungekünstelten Reinheit doch wohl nur in Italien denkbar ist. Von der
langen, steinernen Brücke, die hoch über die schäumenden Fluten des Chienti
hinwegführt, sahen wir in der Tiefe zahlreiche Mädchen, die Kies aus dem
breiten Flußbett heraufholten. An dem einen Ufer haben sich kleine, baum¬
bewachsene Inseln gebildet, zwischen denen das Wasser in schmalen Armen
dahinbraust; eine Verbindung zwischen den Inseln wird lediglich durch kleine
Holzstege von einfachen Brettern bewirkt. Wie nun in dieser Umgebung die
Mädchen wechselweise dahinschritten und dann den steilen Uferrand emporstiegen,
trotz der schweren Bürde auf dem Haupte kerzengerade und leichten Fußes,
stolz wie Königinnen, mit bunten Tüchern geschmückt und in altertümlicher
Miedertracht mit kurzem, einfarbigem Rock gekleidet, geräuschlos geschäftig,
fleißig und arbeitsam, das war unsagbar fesselnd und von geradezu traum¬
haften Reize; die Entfernung war ja ziemlich groß, ein andrer Ton als der
des Wassers drang nicht zur Brücke herauf, und die Gestalten erschienen somit
als unfaßbar schwebende Schatten- Ringsum blühten die Blumen und Bäume,
und die Nachtigallen und Lerchen saugen ihr fröhliches Lied zum tiefblauen
Himmel empor.


Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

uns natürlich in ihrem schönen Frühlingsschmucke in besonderm Maße offen¬
barten. Auch trägt die eigentümliche Lage der Städte nicht wenig zu diesem
Eindruck bei. Sie sind nämlich fast durchweg auf der Höhe, auf besonders
hervorragenden Kuppen jener vorgeschobnen Querriegel erbaut, z. V. das oben
erwähnte Loreto, ferner Necanati, der Geburtsort Giacomo Leopardis, Fermo,
Macerata u. a. in. Es wird somit die sanfte Schwingung der Thäler durch
nichts unterbrochen, während ihre Umrandungen durch die alten Stadtmauern,
hochragenden Paläste und Kirchtürme um so wirkungsvoller bekrönt werden.

Die Namen der wichtigern Flüsse sind von Norden nach Süden: Potenza,
Chienti, Terna und Tronto, Wir unternahmen zunächst einen Ausflug in
das Thal des Chieuti, nach Macerata und Tolentino, Macerata ist ein freund¬
licher, angenehmer Ort mit hübschen alten Kirchen und Palästen, verschiednen
Erinnerungen an die altrömische Stadt Helvia Ricina, ferner mit einer guten
Bibliothek, einer Universität, die aber nur eine juristische Fakultät hat, aus¬
sichtsreichen Straßen und — vortrefflicher, wohlfeiler Verpflegung; in der
Nähe ein berühmter Renaissancebau, die Kirche der Madonna della Vergine von
Battista Lucano, Man konnte in Macerata recht wohl einige Tage verweilen.

Weniger erfreulich ist Tolentino, das sich nicht gerade durch Sauberkeit
auszeichnet und nur unzulängliche Unterkunft gewährt. Immerhin bietet es
in seinen Kirchen S, Niccolo und S- Catervo und in seinem iren8co oivivo,
das einige römische Altertümer und die Ergebnisse der von dem Grafen
Silveri-Gentiloni in der die Stadt umgebenden picenischen Nekropole veran¬
stalteten Ausgrabungen enthält, einiges Sehenswerte dar, und vor allem genossen
wir hier ein unvergeßliches Bild, wie es in dieser farbenfreudigen Schönheit
und ungekünstelten Reinheit doch wohl nur in Italien denkbar ist. Von der
langen, steinernen Brücke, die hoch über die schäumenden Fluten des Chienti
hinwegführt, sahen wir in der Tiefe zahlreiche Mädchen, die Kies aus dem
breiten Flußbett heraufholten. An dem einen Ufer haben sich kleine, baum¬
bewachsene Inseln gebildet, zwischen denen das Wasser in schmalen Armen
dahinbraust; eine Verbindung zwischen den Inseln wird lediglich durch kleine
Holzstege von einfachen Brettern bewirkt. Wie nun in dieser Umgebung die
Mädchen wechselweise dahinschritten und dann den steilen Uferrand emporstiegen,
trotz der schweren Bürde auf dem Haupte kerzengerade und leichten Fußes,
stolz wie Königinnen, mit bunten Tüchern geschmückt und in altertümlicher
Miedertracht mit kurzem, einfarbigem Rock gekleidet, geräuschlos geschäftig,
fleißig und arbeitsam, das war unsagbar fesselnd und von geradezu traum¬
haften Reize; die Entfernung war ja ziemlich groß, ein andrer Ton als der
des Wassers drang nicht zur Brücke herauf, und die Gestalten erschienen somit
als unfaßbar schwebende Schatten- Ringsum blühten die Blumen und Bäume,
und die Nachtigallen und Lerchen saugen ihr fröhliches Lied zum tiefblauen
Himmel empor.


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[0053] Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien uns natürlich in ihrem schönen Frühlingsschmucke in besonderm Maße offen¬ barten. Auch trägt die eigentümliche Lage der Städte nicht wenig zu diesem Eindruck bei. Sie sind nämlich fast durchweg auf der Höhe, auf besonders hervorragenden Kuppen jener vorgeschobnen Querriegel erbaut, z. V. das oben erwähnte Loreto, ferner Necanati, der Geburtsort Giacomo Leopardis, Fermo, Macerata u. a. in. Es wird somit die sanfte Schwingung der Thäler durch nichts unterbrochen, während ihre Umrandungen durch die alten Stadtmauern, hochragenden Paläste und Kirchtürme um so wirkungsvoller bekrönt werden. Die Namen der wichtigern Flüsse sind von Norden nach Süden: Potenza, Chienti, Terna und Tronto, Wir unternahmen zunächst einen Ausflug in das Thal des Chieuti, nach Macerata und Tolentino, Macerata ist ein freund¬ licher, angenehmer Ort mit hübschen alten Kirchen und Palästen, verschiednen Erinnerungen an die altrömische Stadt Helvia Ricina, ferner mit einer guten Bibliothek, einer Universität, die aber nur eine juristische Fakultät hat, aus¬ sichtsreichen Straßen und — vortrefflicher, wohlfeiler Verpflegung; in der Nähe ein berühmter Renaissancebau, die Kirche der Madonna della Vergine von Battista Lucano, Man konnte in Macerata recht wohl einige Tage verweilen. Weniger erfreulich ist Tolentino, das sich nicht gerade durch Sauberkeit auszeichnet und nur unzulängliche Unterkunft gewährt. Immerhin bietet es in seinen Kirchen S, Niccolo und S- Catervo und in seinem iren8co oivivo, das einige römische Altertümer und die Ergebnisse der von dem Grafen Silveri-Gentiloni in der die Stadt umgebenden picenischen Nekropole veran¬ stalteten Ausgrabungen enthält, einiges Sehenswerte dar, und vor allem genossen wir hier ein unvergeßliches Bild, wie es in dieser farbenfreudigen Schönheit und ungekünstelten Reinheit doch wohl nur in Italien denkbar ist. Von der langen, steinernen Brücke, die hoch über die schäumenden Fluten des Chienti hinwegführt, sahen wir in der Tiefe zahlreiche Mädchen, die Kies aus dem breiten Flußbett heraufholten. An dem einen Ufer haben sich kleine, baum¬ bewachsene Inseln gebildet, zwischen denen das Wasser in schmalen Armen dahinbraust; eine Verbindung zwischen den Inseln wird lediglich durch kleine Holzstege von einfachen Brettern bewirkt. Wie nun in dieser Umgebung die Mädchen wechselweise dahinschritten und dann den steilen Uferrand emporstiegen, trotz der schweren Bürde auf dem Haupte kerzengerade und leichten Fußes, stolz wie Königinnen, mit bunten Tüchern geschmückt und in altertümlicher Miedertracht mit kurzem, einfarbigem Rock gekleidet, geräuschlos geschäftig, fleißig und arbeitsam, das war unsagbar fesselnd und von geradezu traum¬ haften Reize; die Entfernung war ja ziemlich groß, ein andrer Ton als der des Wassers drang nicht zur Brücke herauf, und die Gestalten erschienen somit als unfaßbar schwebende Schatten- Ringsum blühten die Blumen und Bäume, und die Nachtigallen und Lerchen saugen ihr fröhliches Lied zum tiefblauen Himmel empor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/53>, abgerufen am 15.01.2025.