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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

Npcnnea in Syrien, spie Feiler, hatte Verkehr mit den Göttern und weissagte.
Zudem fand er in dem Griechen Achüus einen weisen Berater. Weit hinaus
über einen Rache- und Raubzug gingen seine Pläne. Er nannte sich König
Antiochus, schmückte sich und die erkorne Gattin mit dem Diadem, verkündigte
Krieg den Palästen aber Friede den Hütten und die Aufrichtung eines neuen
Reichs gottwohlgefälliger Gerechtigkeit, worin der vierte Stand herrschen sollte,
und klüger als die Sansculotten vor hundert Jahren und die Sozialdemokraten
von heute wies er seine Leute an, nicht allein die Bauern, sondern auch die
Tempel zu verschonen. Nur die Schwärme von verarmten Freien, die sich
ihm anschlössen, plünderten und zerstörten planlos; in seiner Sklavenarmee, die
sich bald auf viele tausend Mann belief, hielt er gute Disziplin; nicht ver¬
wüstete, sondern wohlausgestattete Meierhöfe sollten sie in Besitz nehmen, wenn
sie zur Herrschaft gelangen würden.

Wenn die Aufgabe, schreibt Mommsen, "das Proletariat zu beseitigen,
die ganze Macht und Weisheit der Regierung erfordert und nur zu oft über¬
steigt, so ist dagegen die polizeiliche Niederhnltung desselben für jedes größere
Gemeinwesen verhältnismäßig leicht. Es stünde wohl um die Staaten, wenn
die besitzlosen Massen ihnen keine andre Gefahr bereiteten, als wie sie mich
droht von Bären und Wölfen; nur der Ängsterling und wer die alberne Angst
der Menge exploitiert, prophezeit aus Sklavenausständeu oder Proletarier¬
insurrektionen den Untergang der bürgerlichen Ordnung. Aber selbst dieser
leichten Ausgabe ward von der römischen Negierung trotz des tiefsten Friedens
und der unerschöpflichen Hilfsquellen des Staats keineswegs genügt." Die
Unterdrückung des Aufstands erforderte einen dreijährigen Krieg, den konsula-
rische Heere mit wechselndem Glück führten, 135 bis 132; nach Bücher hätte
dieser Krieg gar neun oder mehr Jahre gedauert; er sucht in seiner Schrift
über "Die Aufstünde der unfreien Arbeiter 143 bis 129 v. Chr." zu beweisen,
daß die Bewegung schon zwischen 143 und 141 begonnen habe. Schließlich
wurden die Aufständischen doch vollständig besiegt, und über zwanzigtausend
Gefangne soll der Konsul Publius Nupilius haben kreuzigen lassen. Dennoch
hatte dieser erste Aufstand dreißig Jahre später einen zweiten nicht minder
furchtbaren zur Folge. Zur Rache dafür, daß sich viele freie Proletarier den
Aufständischen eingeschlossen hatten, ließen die römischen Plantagenbesitzer Massen
freier armer Leute aufgreifen und in ihre Sklavenzwinger stecken. Ein unge¬
wöhnlich mutiger Statthalter, Publius Lueinius Nerva, nahm eine gegen diesen
Unfug erlassene Staatsverfügung ernst und ließ über die Menschenräuber Ge¬
richt halten; in achthundert solcher Prozesse wurde gegen die Plantagenbesitzer
entschieden. Diese erhoben aber einen solchen Lärm, daß sich Nerva einschüchtern
ließ und die Rechtsuchenden preisgab. Diese flüchteten in die Berge, und
wiederum griff der Brand so mächtig um sich, daß die Sklaven drei Jahre
lang, von 103 bis 100, so ziemlich Herren der ganzen Insel waren. Und
weit über Italien und Sizilien hinaus schlugen in der Zeit des ersten sizi-


Der Römerstaat

Npcnnea in Syrien, spie Feiler, hatte Verkehr mit den Göttern und weissagte.
Zudem fand er in dem Griechen Achüus einen weisen Berater. Weit hinaus
über einen Rache- und Raubzug gingen seine Pläne. Er nannte sich König
Antiochus, schmückte sich und die erkorne Gattin mit dem Diadem, verkündigte
Krieg den Palästen aber Friede den Hütten und die Aufrichtung eines neuen
Reichs gottwohlgefälliger Gerechtigkeit, worin der vierte Stand herrschen sollte,
und klüger als die Sansculotten vor hundert Jahren und die Sozialdemokraten
von heute wies er seine Leute an, nicht allein die Bauern, sondern auch die
Tempel zu verschonen. Nur die Schwärme von verarmten Freien, die sich
ihm anschlössen, plünderten und zerstörten planlos; in seiner Sklavenarmee, die
sich bald auf viele tausend Mann belief, hielt er gute Disziplin; nicht ver¬
wüstete, sondern wohlausgestattete Meierhöfe sollten sie in Besitz nehmen, wenn
sie zur Herrschaft gelangen würden.

Wenn die Aufgabe, schreibt Mommsen, „das Proletariat zu beseitigen,
die ganze Macht und Weisheit der Regierung erfordert und nur zu oft über¬
steigt, so ist dagegen die polizeiliche Niederhnltung desselben für jedes größere
Gemeinwesen verhältnismäßig leicht. Es stünde wohl um die Staaten, wenn
die besitzlosen Massen ihnen keine andre Gefahr bereiteten, als wie sie mich
droht von Bären und Wölfen; nur der Ängsterling und wer die alberne Angst
der Menge exploitiert, prophezeit aus Sklavenausständeu oder Proletarier¬
insurrektionen den Untergang der bürgerlichen Ordnung. Aber selbst dieser
leichten Ausgabe ward von der römischen Negierung trotz des tiefsten Friedens
und der unerschöpflichen Hilfsquellen des Staats keineswegs genügt." Die
Unterdrückung des Aufstands erforderte einen dreijährigen Krieg, den konsula-
rische Heere mit wechselndem Glück führten, 135 bis 132; nach Bücher hätte
dieser Krieg gar neun oder mehr Jahre gedauert; er sucht in seiner Schrift
über „Die Aufstünde der unfreien Arbeiter 143 bis 129 v. Chr." zu beweisen,
daß die Bewegung schon zwischen 143 und 141 begonnen habe. Schließlich
wurden die Aufständischen doch vollständig besiegt, und über zwanzigtausend
Gefangne soll der Konsul Publius Nupilius haben kreuzigen lassen. Dennoch
hatte dieser erste Aufstand dreißig Jahre später einen zweiten nicht minder
furchtbaren zur Folge. Zur Rache dafür, daß sich viele freie Proletarier den
Aufständischen eingeschlossen hatten, ließen die römischen Plantagenbesitzer Massen
freier armer Leute aufgreifen und in ihre Sklavenzwinger stecken. Ein unge¬
wöhnlich mutiger Statthalter, Publius Lueinius Nerva, nahm eine gegen diesen
Unfug erlassene Staatsverfügung ernst und ließ über die Menschenräuber Ge¬
richt halten; in achthundert solcher Prozesse wurde gegen die Plantagenbesitzer
entschieden. Diese erhoben aber einen solchen Lärm, daß sich Nerva einschüchtern
ließ und die Rechtsuchenden preisgab. Diese flüchteten in die Berge, und
wiederum griff der Brand so mächtig um sich, daß die Sklaven drei Jahre
lang, von 103 bis 100, so ziemlich Herren der ganzen Insel waren. Und
weit über Italien und Sizilien hinaus schlugen in der Zeit des ersten sizi-


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[0503] Der Römerstaat Npcnnea in Syrien, spie Feiler, hatte Verkehr mit den Göttern und weissagte. Zudem fand er in dem Griechen Achüus einen weisen Berater. Weit hinaus über einen Rache- und Raubzug gingen seine Pläne. Er nannte sich König Antiochus, schmückte sich und die erkorne Gattin mit dem Diadem, verkündigte Krieg den Palästen aber Friede den Hütten und die Aufrichtung eines neuen Reichs gottwohlgefälliger Gerechtigkeit, worin der vierte Stand herrschen sollte, und klüger als die Sansculotten vor hundert Jahren und die Sozialdemokraten von heute wies er seine Leute an, nicht allein die Bauern, sondern auch die Tempel zu verschonen. Nur die Schwärme von verarmten Freien, die sich ihm anschlössen, plünderten und zerstörten planlos; in seiner Sklavenarmee, die sich bald auf viele tausend Mann belief, hielt er gute Disziplin; nicht ver¬ wüstete, sondern wohlausgestattete Meierhöfe sollten sie in Besitz nehmen, wenn sie zur Herrschaft gelangen würden. Wenn die Aufgabe, schreibt Mommsen, „das Proletariat zu beseitigen, die ganze Macht und Weisheit der Regierung erfordert und nur zu oft über¬ steigt, so ist dagegen die polizeiliche Niederhnltung desselben für jedes größere Gemeinwesen verhältnismäßig leicht. Es stünde wohl um die Staaten, wenn die besitzlosen Massen ihnen keine andre Gefahr bereiteten, als wie sie mich droht von Bären und Wölfen; nur der Ängsterling und wer die alberne Angst der Menge exploitiert, prophezeit aus Sklavenausständeu oder Proletarier¬ insurrektionen den Untergang der bürgerlichen Ordnung. Aber selbst dieser leichten Ausgabe ward von der römischen Negierung trotz des tiefsten Friedens und der unerschöpflichen Hilfsquellen des Staats keineswegs genügt." Die Unterdrückung des Aufstands erforderte einen dreijährigen Krieg, den konsula- rische Heere mit wechselndem Glück führten, 135 bis 132; nach Bücher hätte dieser Krieg gar neun oder mehr Jahre gedauert; er sucht in seiner Schrift über „Die Aufstünde der unfreien Arbeiter 143 bis 129 v. Chr." zu beweisen, daß die Bewegung schon zwischen 143 und 141 begonnen habe. Schließlich wurden die Aufständischen doch vollständig besiegt, und über zwanzigtausend Gefangne soll der Konsul Publius Nupilius haben kreuzigen lassen. Dennoch hatte dieser erste Aufstand dreißig Jahre später einen zweiten nicht minder furchtbaren zur Folge. Zur Rache dafür, daß sich viele freie Proletarier den Aufständischen eingeschlossen hatten, ließen die römischen Plantagenbesitzer Massen freier armer Leute aufgreifen und in ihre Sklavenzwinger stecken. Ein unge¬ wöhnlich mutiger Statthalter, Publius Lueinius Nerva, nahm eine gegen diesen Unfug erlassene Staatsverfügung ernst und ließ über die Menschenräuber Ge¬ richt halten; in achthundert solcher Prozesse wurde gegen die Plantagenbesitzer entschieden. Diese erhoben aber einen solchen Lärm, daß sich Nerva einschüchtern ließ und die Rechtsuchenden preisgab. Diese flüchteten in die Berge, und wiederum griff der Brand so mächtig um sich, daß die Sklaven drei Jahre lang, von 103 bis 100, so ziemlich Herren der ganzen Insel waren. Und weit über Italien und Sizilien hinaus schlugen in der Zeit des ersten sizi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/503>, abgerufen am 15.01.2025.