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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

gewiesen. Als die abgerissenen Hirten des Damophilos in Ermel ihren Herrn
einmal um Kleider baten, da antwortete dieser: "Ziehen denn die Reisenden
nackt durch das Land, und müssen sie nicht Zoll geben dem, der Kleider
braucht?" Die Bittenden aber ließ er zur Strafe sür ihre Frechheit auf¬
peitschen. Und die römischen Statthalter wagten nicht ernstlich gegen die
Räuber einzuschreiten; die sie fingen, straften sie nicht, sondern gaben sie ihren
Herren zurück; denn das waren zum Teil römische Ritter, und hätten sie die
durch Hinrichtung ihrer Sklaven geschädigt, so hätten sie den ganzen mächtigen
Ritterstand gegen sich aufgebracht, und der hätte wiederum ihnen das Geschäft
verdorben. Nach dem Gesetz war der Herr für die Verbrechen seiner Sklaven
verantwortlich; in der That wurde auch einigemale gegen die Eigentümer von
Räubern Anklage erhoben, in Italien einmal wegen eines Raubmords an einem
angesehenen Manne, aber solche Prozesse verliefen im Sande. In den Banden
von Hirtenräuberu fand um Ennus das schönste Material zu einem ordent¬
lichen Heere, als er von den ausgebrvchnen Feldsklaven des oben erwähnten
Damophilos zum Führer erkoren wurde, und sich seine übrigen Sklaven
dem Aufruhr anschlössen. Zuvörderst nahm man Rache an den Peinigern,
und die fiel natürlich nicht milde aus. Daß grausame Behandlung die Unter¬
gebnen mit Notwendigkeit zu wilden Tieren macht, haben die Alten gar wohl
erkannt und oft ausgesprochen. So z. B. vergleicht Polybius bei Gelegenheit
des karthagischen Söldnerkriegs, der von beiden Seiten mit greuelvoller Un-
menschlichkeit geführt wurde, die Verwilderung der Seele mit einem unheil¬
baren Geschwür, das dnrch jede Art von Heilversuchen nur schlimmer werde;
biete man verwilderten Menschen Verzeihung an, so argwöhnten sie Hinterlist;
verfahre man ihrer Wildheit gemäß mit ihnen, so legten sie vollends die
Menschennatur ab, und es sei nichts Entsetzliches denkbar, dessen sie nicht fähig
wären. Die Ursachen solcher Verwilderung seien schlechte Erziehung und die
Grausamkeit und Habgier der Herrschenden. Und in einem Fragment des
Diodor heißt es: "Je mehr eine Herrschergewalt in gesetzlose Grausamkeit aus¬
artet, desto mehr vertieren auch die Untergebnen und ergeben sich verzweifeltem
Frevel; denn in Bezug auf Ehre und eine schöne Lebensführung zwar räumt
der Niedriggestellte den Mächtigen ja gern den Vorrang ein, wird er aber der
geziemender humanen Behandlung (ri^ xo-^xo^"^- Pt/i-al^^r/"-,') beraubt,
so schreiten die grausam Behandelten zum Kriege." Daß aber das Menschen¬
herz selbst im Zustande der greulichsten Verwilderung noch für Liebe empfänglich
bleibt, bewiesen die Sklaven des Damophilos. Dessen Tochter hatte sich nie
an den Ruchlosigkeiten der Eltern beteiligt, sondern den Gemißhandelten Mit¬
leiden bewiesen und Wohlthaten gespendet. Daher vergriff sich keiner an der
Jungfrau, sondern während die übrigen Frauen und Mädchen vor der Er¬
mordung geschündet wurden, schickte man sie unversehrt unter sicherm Geleit
zu entfernt wohnenden Verwandten. Jener Eunus hatte das Zeug dazu,
Banden zu fcmatisieren und zu organisieren. Er war ein Wunderthäter aus


Der Römerstaat

gewiesen. Als die abgerissenen Hirten des Damophilos in Ermel ihren Herrn
einmal um Kleider baten, da antwortete dieser: „Ziehen denn die Reisenden
nackt durch das Land, und müssen sie nicht Zoll geben dem, der Kleider
braucht?" Die Bittenden aber ließ er zur Strafe sür ihre Frechheit auf¬
peitschen. Und die römischen Statthalter wagten nicht ernstlich gegen die
Räuber einzuschreiten; die sie fingen, straften sie nicht, sondern gaben sie ihren
Herren zurück; denn das waren zum Teil römische Ritter, und hätten sie die
durch Hinrichtung ihrer Sklaven geschädigt, so hätten sie den ganzen mächtigen
Ritterstand gegen sich aufgebracht, und der hätte wiederum ihnen das Geschäft
verdorben. Nach dem Gesetz war der Herr für die Verbrechen seiner Sklaven
verantwortlich; in der That wurde auch einigemale gegen die Eigentümer von
Räubern Anklage erhoben, in Italien einmal wegen eines Raubmords an einem
angesehenen Manne, aber solche Prozesse verliefen im Sande. In den Banden
von Hirtenräuberu fand um Ennus das schönste Material zu einem ordent¬
lichen Heere, als er von den ausgebrvchnen Feldsklaven des oben erwähnten
Damophilos zum Führer erkoren wurde, und sich seine übrigen Sklaven
dem Aufruhr anschlössen. Zuvörderst nahm man Rache an den Peinigern,
und die fiel natürlich nicht milde aus. Daß grausame Behandlung die Unter¬
gebnen mit Notwendigkeit zu wilden Tieren macht, haben die Alten gar wohl
erkannt und oft ausgesprochen. So z. B. vergleicht Polybius bei Gelegenheit
des karthagischen Söldnerkriegs, der von beiden Seiten mit greuelvoller Un-
menschlichkeit geführt wurde, die Verwilderung der Seele mit einem unheil¬
baren Geschwür, das dnrch jede Art von Heilversuchen nur schlimmer werde;
biete man verwilderten Menschen Verzeihung an, so argwöhnten sie Hinterlist;
verfahre man ihrer Wildheit gemäß mit ihnen, so legten sie vollends die
Menschennatur ab, und es sei nichts Entsetzliches denkbar, dessen sie nicht fähig
wären. Die Ursachen solcher Verwilderung seien schlechte Erziehung und die
Grausamkeit und Habgier der Herrschenden. Und in einem Fragment des
Diodor heißt es: „Je mehr eine Herrschergewalt in gesetzlose Grausamkeit aus¬
artet, desto mehr vertieren auch die Untergebnen und ergeben sich verzweifeltem
Frevel; denn in Bezug auf Ehre und eine schöne Lebensführung zwar räumt
der Niedriggestellte den Mächtigen ja gern den Vorrang ein, wird er aber der
geziemender humanen Behandlung (ri^ xo-^xo^»^- Pt/i-al^^r/«-,') beraubt,
so schreiten die grausam Behandelten zum Kriege." Daß aber das Menschen¬
herz selbst im Zustande der greulichsten Verwilderung noch für Liebe empfänglich
bleibt, bewiesen die Sklaven des Damophilos. Dessen Tochter hatte sich nie
an den Ruchlosigkeiten der Eltern beteiligt, sondern den Gemißhandelten Mit¬
leiden bewiesen und Wohlthaten gespendet. Daher vergriff sich keiner an der
Jungfrau, sondern während die übrigen Frauen und Mädchen vor der Er¬
mordung geschündet wurden, schickte man sie unversehrt unter sicherm Geleit
zu entfernt wohnenden Verwandten. Jener Eunus hatte das Zeug dazu,
Banden zu fcmatisieren und zu organisieren. Er war ein Wunderthäter aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/502>, abgerufen am 15.01.2025.