Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ablehnung des Mittellandkanals

vativer Parteimann, hat nach 1866 seine Ministerkollegen genommen, wo er
sie finden wollte, und mitunter Männer, die. wie z. B. Camphausen, weit eher
dem Liberalismus zuzuzählen waren als den Konservativen. Aber er war und
blieb der allmächtige konservative Ministerpräsident, und auch unter seinen
Nachfolgern behielt das Ministerium eine konservative Färbung. Man kennt
es deshalb in Preußen eigentlich gar nicht, daß die konservative Fraktion im
Landtage in einem einschneidenden Gegensatz zur Regierung steht, und daraus
hat man von liberaler Seite gewissermaßen gewohnheitsrechtlich die Befugnis
hergeleitet, den Konservativen das Recht, auch ihrerseits einmal "Nein" zu
sagen, rundweg abzusprechen, insonderheit aber dann, wenn der König persön¬
lich sür eine Vorlage eintritt. Die Gegner werfen ihnen immer vor, nament¬
lich bei den Wahlen, daß sie Jasager, und den Beamten unter ihnen, daß sie
Streber wären; aber wenn das Gegenteil eintritt, ist man empört und scheut
sich uicht, die Negierung zu den antiliberalsten Maßreglungen anzureizen.
Dabei läßt man außer Augen, oder da das eigentlich nicht gut möglich ist,
man verschweigt, daß es sich bei der Kanalvorlage um eine ganz vorwiegend
wirtschaftliche Zweckmäßigkeitsfrage handelt, während man, als alle Parteien,
die Konservativen ausgenommen, im Reichstag die sogenannte Zuchthaus¬
vorlage, für die sich die Krone doch noch ganz anders engagiert hatte, nicht
einmal einer Kommissionsberatnng würdigten, sehr weit davon entfernt war,
dieselben Konsequenzen zu ziehen.

Auch unter den Konservativen giebt es wie überall schwache Charaktere;
aber diesesmal wurde es ihnen nicht schwer gemacht, Charakterfestigkeit zu
zeigen, denn der ostelbische Abgeordnete, der für den Kanal stimmte, machte
sich sür seinen Wahlkreis geradezu unmöglich. Ob Beamter oder nicht, das
kann für einen konservativen Abgeordneten, so lange wir eine im wesentlichen
konservative Regierung haben, kaum in Betracht kommen. Denn in wichtigen
ftaatspvlitischen Fragen ist die konservative Partei immer mit der Negierung
gegangen und wird es anch ferner thun. Wenn aber in wirtschaftlichen Fragen
der beamtete Abgeordnete nicht sollte Nein sagen dürfen, dann müßte man
ihm einfach die Wählbarkeit absprechen. Auch dienstlich kommt der Beamte
vielfach in die Lage, Nein zu sagen, wenn man seinen Rat einholt, und er
ganz gut weiß, daß oben ein Ja sehr erwünscht wäre. Gott sei Dank ist aber
gerade unsre altpreußische Beamtenschaft so geartet und gestaltet, daß sie in
solchen Fälle" aus ihrer Überzeugung kein Hehl macht.

Ob Beamte, namentlich politische, wählbar sein sollen oder nicht, darüber
läßt sich streiten; die Regierung würde sich aber arg ins eigne Fleisch schneiden,
wenn sie die Nichtwühlbarkeit erstreben wollte. Gern wird ein Beamter
niemals gegen eine wichtige Vorlage stimmen, während der Nichtbeamte gar
keine Rücksichten zu nehmen braucht. In den ostelbischen Wahlkreisen sind die
Männer, die gewillt und geneigt sind, ein Mandat zu übernehmen, mehr als
dünn gesät, und es würde für die Leistungsfähigkeit der Volksvertretung nicht


Die Ablehnung des Mittellandkanals

vativer Parteimann, hat nach 1866 seine Ministerkollegen genommen, wo er
sie finden wollte, und mitunter Männer, die. wie z. B. Camphausen, weit eher
dem Liberalismus zuzuzählen waren als den Konservativen. Aber er war und
blieb der allmächtige konservative Ministerpräsident, und auch unter seinen
Nachfolgern behielt das Ministerium eine konservative Färbung. Man kennt
es deshalb in Preußen eigentlich gar nicht, daß die konservative Fraktion im
Landtage in einem einschneidenden Gegensatz zur Regierung steht, und daraus
hat man von liberaler Seite gewissermaßen gewohnheitsrechtlich die Befugnis
hergeleitet, den Konservativen das Recht, auch ihrerseits einmal „Nein" zu
sagen, rundweg abzusprechen, insonderheit aber dann, wenn der König persön¬
lich sür eine Vorlage eintritt. Die Gegner werfen ihnen immer vor, nament¬
lich bei den Wahlen, daß sie Jasager, und den Beamten unter ihnen, daß sie
Streber wären; aber wenn das Gegenteil eintritt, ist man empört und scheut
sich uicht, die Negierung zu den antiliberalsten Maßreglungen anzureizen.
Dabei läßt man außer Augen, oder da das eigentlich nicht gut möglich ist,
man verschweigt, daß es sich bei der Kanalvorlage um eine ganz vorwiegend
wirtschaftliche Zweckmäßigkeitsfrage handelt, während man, als alle Parteien,
die Konservativen ausgenommen, im Reichstag die sogenannte Zuchthaus¬
vorlage, für die sich die Krone doch noch ganz anders engagiert hatte, nicht
einmal einer Kommissionsberatnng würdigten, sehr weit davon entfernt war,
dieselben Konsequenzen zu ziehen.

Auch unter den Konservativen giebt es wie überall schwache Charaktere;
aber diesesmal wurde es ihnen nicht schwer gemacht, Charakterfestigkeit zu
zeigen, denn der ostelbische Abgeordnete, der für den Kanal stimmte, machte
sich sür seinen Wahlkreis geradezu unmöglich. Ob Beamter oder nicht, das
kann für einen konservativen Abgeordneten, so lange wir eine im wesentlichen
konservative Regierung haben, kaum in Betracht kommen. Denn in wichtigen
ftaatspvlitischen Fragen ist die konservative Partei immer mit der Negierung
gegangen und wird es anch ferner thun. Wenn aber in wirtschaftlichen Fragen
der beamtete Abgeordnete nicht sollte Nein sagen dürfen, dann müßte man
ihm einfach die Wählbarkeit absprechen. Auch dienstlich kommt der Beamte
vielfach in die Lage, Nein zu sagen, wenn man seinen Rat einholt, und er
ganz gut weiß, daß oben ein Ja sehr erwünscht wäre. Gott sei Dank ist aber
gerade unsre altpreußische Beamtenschaft so geartet und gestaltet, daß sie in
solchen Fälle» aus ihrer Überzeugung kein Hehl macht.

Ob Beamte, namentlich politische, wählbar sein sollen oder nicht, darüber
läßt sich streiten; die Regierung würde sich aber arg ins eigne Fleisch schneiden,
wenn sie die Nichtwühlbarkeit erstreben wollte. Gern wird ein Beamter
niemals gegen eine wichtige Vorlage stimmen, während der Nichtbeamte gar
keine Rücksichten zu nehmen braucht. In den ostelbischen Wahlkreisen sind die
Männer, die gewillt und geneigt sind, ein Mandat zu übernehmen, mehr als
dünn gesät, und es würde für die Leistungsfähigkeit der Volksvertretung nicht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0499" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231669"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ablehnung des Mittellandkanals</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1656" prev="#ID_1655"> vativer Parteimann, hat nach 1866 seine Ministerkollegen genommen, wo er<lb/>
sie finden wollte, und mitunter Männer, die. wie z. B. Camphausen, weit eher<lb/>
dem Liberalismus zuzuzählen waren als den Konservativen. Aber er war und<lb/>
blieb der allmächtige konservative Ministerpräsident, und auch unter seinen<lb/>
Nachfolgern behielt das Ministerium eine konservative Färbung. Man kennt<lb/>
es deshalb in Preußen eigentlich gar nicht, daß die konservative Fraktion im<lb/>
Landtage in einem einschneidenden Gegensatz zur Regierung steht, und daraus<lb/>
hat man von liberaler Seite gewissermaßen gewohnheitsrechtlich die Befugnis<lb/>
hergeleitet, den Konservativen das Recht, auch ihrerseits einmal &#x201E;Nein" zu<lb/>
sagen, rundweg abzusprechen, insonderheit aber dann, wenn der König persön¬<lb/>
lich sür eine Vorlage eintritt. Die Gegner werfen ihnen immer vor, nament¬<lb/>
lich bei den Wahlen, daß sie Jasager, und den Beamten unter ihnen, daß sie<lb/>
Streber wären; aber wenn das Gegenteil eintritt, ist man empört und scheut<lb/>
sich uicht, die Negierung zu den antiliberalsten Maßreglungen anzureizen.<lb/>
Dabei läßt man außer Augen, oder da das eigentlich nicht gut möglich ist,<lb/>
man verschweigt, daß es sich bei der Kanalvorlage um eine ganz vorwiegend<lb/>
wirtschaftliche Zweckmäßigkeitsfrage handelt, während man, als alle Parteien,<lb/>
die Konservativen ausgenommen, im Reichstag die sogenannte Zuchthaus¬<lb/>
vorlage, für die sich die Krone doch noch ganz anders engagiert hatte, nicht<lb/>
einmal einer Kommissionsberatnng würdigten, sehr weit davon entfernt war,<lb/>
dieselben Konsequenzen zu ziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1657"> Auch unter den Konservativen giebt es wie überall schwache Charaktere;<lb/>
aber diesesmal wurde es ihnen nicht schwer gemacht, Charakterfestigkeit zu<lb/>
zeigen, denn der ostelbische Abgeordnete, der für den Kanal stimmte, machte<lb/>
sich sür seinen Wahlkreis geradezu unmöglich. Ob Beamter oder nicht, das<lb/>
kann für einen konservativen Abgeordneten, so lange wir eine im wesentlichen<lb/>
konservative Regierung haben, kaum in Betracht kommen. Denn in wichtigen<lb/>
ftaatspvlitischen Fragen ist die konservative Partei immer mit der Negierung<lb/>
gegangen und wird es anch ferner thun. Wenn aber in wirtschaftlichen Fragen<lb/>
der beamtete Abgeordnete nicht sollte Nein sagen dürfen, dann müßte man<lb/>
ihm einfach die Wählbarkeit absprechen. Auch dienstlich kommt der Beamte<lb/>
vielfach in die Lage, Nein zu sagen, wenn man seinen Rat einholt, und er<lb/>
ganz gut weiß, daß oben ein Ja sehr erwünscht wäre. Gott sei Dank ist aber<lb/>
gerade unsre altpreußische Beamtenschaft so geartet und gestaltet, daß sie in<lb/>
solchen Fälle» aus ihrer Überzeugung kein Hehl macht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1658" next="#ID_1659"> Ob Beamte, namentlich politische, wählbar sein sollen oder nicht, darüber<lb/>
läßt sich streiten; die Regierung würde sich aber arg ins eigne Fleisch schneiden,<lb/>
wenn sie die Nichtwühlbarkeit erstreben wollte. Gern wird ein Beamter<lb/>
niemals gegen eine wichtige Vorlage stimmen, während der Nichtbeamte gar<lb/>
keine Rücksichten zu nehmen braucht. In den ostelbischen Wahlkreisen sind die<lb/>
Männer, die gewillt und geneigt sind, ein Mandat zu übernehmen, mehr als<lb/>
dünn gesät, und es würde für die Leistungsfähigkeit der Volksvertretung nicht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0499] Die Ablehnung des Mittellandkanals vativer Parteimann, hat nach 1866 seine Ministerkollegen genommen, wo er sie finden wollte, und mitunter Männer, die. wie z. B. Camphausen, weit eher dem Liberalismus zuzuzählen waren als den Konservativen. Aber er war und blieb der allmächtige konservative Ministerpräsident, und auch unter seinen Nachfolgern behielt das Ministerium eine konservative Färbung. Man kennt es deshalb in Preußen eigentlich gar nicht, daß die konservative Fraktion im Landtage in einem einschneidenden Gegensatz zur Regierung steht, und daraus hat man von liberaler Seite gewissermaßen gewohnheitsrechtlich die Befugnis hergeleitet, den Konservativen das Recht, auch ihrerseits einmal „Nein" zu sagen, rundweg abzusprechen, insonderheit aber dann, wenn der König persön¬ lich sür eine Vorlage eintritt. Die Gegner werfen ihnen immer vor, nament¬ lich bei den Wahlen, daß sie Jasager, und den Beamten unter ihnen, daß sie Streber wären; aber wenn das Gegenteil eintritt, ist man empört und scheut sich uicht, die Negierung zu den antiliberalsten Maßreglungen anzureizen. Dabei läßt man außer Augen, oder da das eigentlich nicht gut möglich ist, man verschweigt, daß es sich bei der Kanalvorlage um eine ganz vorwiegend wirtschaftliche Zweckmäßigkeitsfrage handelt, während man, als alle Parteien, die Konservativen ausgenommen, im Reichstag die sogenannte Zuchthaus¬ vorlage, für die sich die Krone doch noch ganz anders engagiert hatte, nicht einmal einer Kommissionsberatnng würdigten, sehr weit davon entfernt war, dieselben Konsequenzen zu ziehen. Auch unter den Konservativen giebt es wie überall schwache Charaktere; aber diesesmal wurde es ihnen nicht schwer gemacht, Charakterfestigkeit zu zeigen, denn der ostelbische Abgeordnete, der für den Kanal stimmte, machte sich sür seinen Wahlkreis geradezu unmöglich. Ob Beamter oder nicht, das kann für einen konservativen Abgeordneten, so lange wir eine im wesentlichen konservative Regierung haben, kaum in Betracht kommen. Denn in wichtigen ftaatspvlitischen Fragen ist die konservative Partei immer mit der Negierung gegangen und wird es anch ferner thun. Wenn aber in wirtschaftlichen Fragen der beamtete Abgeordnete nicht sollte Nein sagen dürfen, dann müßte man ihm einfach die Wählbarkeit absprechen. Auch dienstlich kommt der Beamte vielfach in die Lage, Nein zu sagen, wenn man seinen Rat einholt, und er ganz gut weiß, daß oben ein Ja sehr erwünscht wäre. Gott sei Dank ist aber gerade unsre altpreußische Beamtenschaft so geartet und gestaltet, daß sie in solchen Fälle» aus ihrer Überzeugung kein Hehl macht. Ob Beamte, namentlich politische, wählbar sein sollen oder nicht, darüber läßt sich streiten; die Regierung würde sich aber arg ins eigne Fleisch schneiden, wenn sie die Nichtwühlbarkeit erstreben wollte. Gern wird ein Beamter niemals gegen eine wichtige Vorlage stimmen, während der Nichtbeamte gar keine Rücksichten zu nehmen braucht. In den ostelbischen Wahlkreisen sind die Männer, die gewillt und geneigt sind, ein Mandat zu übernehmen, mehr als dünn gesät, und es würde für die Leistungsfähigkeit der Volksvertretung nicht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/499
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/499>, abgerufen am 15.01.2025.