Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Leitung der Massen, mich gerade der Jngend, ist eine Kunst, die in der Der unerzogne Schüler drängt den Lehrer von seiner eigentlichen Aufgabe Gewiß wäre es bedauerlich, wollte man einem jungen Menschen auf einer so Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Leitung der Massen, mich gerade der Jngend, ist eine Kunst, die in der Der unerzogne Schüler drängt den Lehrer von seiner eigentlichen Aufgabe Gewiß wäre es bedauerlich, wollte man einem jungen Menschen auf einer so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0487" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231657"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1616"> Die Leitung der Massen, mich gerade der Jngend, ist eine Kunst, die in der<lb/> Vollendung, wie sie der neuste Erlciß bei den Lehrern voraussetzt, beim besten<lb/> Willen nicht von allen erreicht wird, Jugend hat keine Tugend, und was uns<lb/> Alten Achtung einflößt, das imponiert unsern Kindern noch lange nicht. Der all-<lb/> verehrte Hochschulprofessor, der gefürchtete Staatsanwalt, der Regimentskommandeur,<lb/> sie alle dürften vor einer Schulklasse ihre gewohnte Macht völlig einbüßen, es sei<lb/> denn, daß Staatsanwalt und Oberst rin dem gebräuchlichen, ihre Machtbefugnisse<lb/> verbürgender Apparat aufträten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1617"> Der unerzogne Schüler drängt den Lehrer von seiner eigentlichen Aufgabe<lb/> ab und zwingt ihn ans eine falsche Bahn. Die Beschäftigung mit den besten Er^<lb/> zenguissen vorbildlicher Geister, der eine jede gut geleitete Anstalt erfüllende ideale<lb/> Sinn, der Wetteifer im Ringen mit strebenden Genossen, das alles versagt bei<lb/> solchen Schülern seine erziehliche Wirkung, und strafende Rede, zornige Drohung,<lb/> äußerliche Zuchtmittel sind an der. Tagesordnung. Die Schule, die bei uus deu<lb/> Menschen acht bis zwölf Jahre hindurch in seinem ganzen Wirken und Denken in<lb/> Anspruch, vielleicht viel zu sehr in Anspruch nimmt, kann um einmal die Verant¬<lb/> wortung für die Gemüts- und Willensbildung der ihr anvertrauten Zöglinge nicht<lb/> ablehnen, aber sie kann nicht in sechs Stunden täglich Einflüssen entgegenwirken,<lb/> die sich in der übrigen Zeit geltend machen, zumal da diese ihrer Mehrzahl nach<lb/> verführerisch erscheinen müssen neben der ernsten Art der Schulerziehung. Die not¬<lb/> wendige Folge davon, sollte man meinen, wäre bei der Aufnahme in die Schule,<lb/> bei Versetzungen und schließlich bei der Entlassung eine besondre Rücksicht auf die<lb/> Chnrakterentlvicklnng der Schüler. Allein die Vielseitigkeit der heutigen Anforde¬<lb/> rungen, der Massenunterricht, dazu auch noch eine weitgehende Milde gegenüber<lb/> der Jugend erlaubt es mitunter nicht, bei befriedigenden Leistungen die beglei¬<lb/> tenden Umstände, den die Grundlage bildenden wissenschaftlichen Sinn, den sittlichen<lb/> Ernst allzustark in Betracht kommen zu lassen. Und gar zur Ausschließung eines<lb/> Schillers in der Mitte seiner Laufbahn möchte man aus allerlei Rücksichten nur<lb/> schwer schreiten, oft ja aus berechtigten Rücksichten ans die Zukunft des Schillers,<lb/> die Lage der Eltern, ja sogar auf den Ruf der Anstalt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1618" next="#ID_1619"> Gewiß wäre es bedauerlich, wollte man einem jungen Menschen auf einer so<lb/> frühen Stufe der Entwicklung schon die Möglichkeit der Umkehr versagen, es sei<lb/> denn, daß es sich um Fälle gänzlicher Entnrtnng handelt. Für die häufiger anzu-<lb/> treffenden Opfer einer falsche» Erziehung werden edeldenkende Pädagogen nimmer¬<lb/> mehr eine so harte Maßregel billigen. Was sie aber verlangen können, das ist<lb/> und bleibt die Befreiung der wohlerzognen Masse von den störenden Elementen,<lb/> ohne daß diese darum geschädigt werdeu. Giebt man ja doch in letzter Zeit die<lb/> geistig zurückgebliebnen Kinder zu ihrem eignen Besten in besondre, zu diesem<lb/> Zwecke eingerichtete Anstalten, warum nicht anch die in ihrem Charakter ange¬<lb/> kränkelten. Freilich müßte» sie, wie jene, ungewöhnlich befähigte Lehrer erhalte»,<lb/> Lehrer, die sich an den allgemeinen Anstalten schon besonders bewährt haben. Man<lb/> kann nicht jedem Lehrer ohne weiteres die Fähigkeit zumuten, die Bestie im Menschen<lb/> zu zähmen. Woran es liegt, daß dies dem einen, vielleicht äußerlich unscheinbaren<lb/> Manne gelingt und dem andern nicht? Wäre» die erforderliche» Eigenschaften in<lb/> n» Schema zu bringen, man hätte es längst wohl in allen Schulen angeschlagen,<lb/> und die Lehrer würde» sämtlich bestrebt sein, sich in heißem Bemühen das Er¬<lb/> forderliche anzueignen. Aber noch ist es keiner Schulbehörde, noch ist es keinem<lb/> Pädagogen gelungen, die Formel zu finden. Noch soll es einzelne Schüler und<lb/> darum ganze Klassen geben, die es vermögen, einen gesellschaftlich und Wissenschaft-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0487]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Leitung der Massen, mich gerade der Jngend, ist eine Kunst, die in der
Vollendung, wie sie der neuste Erlciß bei den Lehrern voraussetzt, beim besten
Willen nicht von allen erreicht wird, Jugend hat keine Tugend, und was uns
Alten Achtung einflößt, das imponiert unsern Kindern noch lange nicht. Der all-
verehrte Hochschulprofessor, der gefürchtete Staatsanwalt, der Regimentskommandeur,
sie alle dürften vor einer Schulklasse ihre gewohnte Macht völlig einbüßen, es sei
denn, daß Staatsanwalt und Oberst rin dem gebräuchlichen, ihre Machtbefugnisse
verbürgender Apparat aufträten.
Der unerzogne Schüler drängt den Lehrer von seiner eigentlichen Aufgabe
ab und zwingt ihn ans eine falsche Bahn. Die Beschäftigung mit den besten Er^
zenguissen vorbildlicher Geister, der eine jede gut geleitete Anstalt erfüllende ideale
Sinn, der Wetteifer im Ringen mit strebenden Genossen, das alles versagt bei
solchen Schülern seine erziehliche Wirkung, und strafende Rede, zornige Drohung,
äußerliche Zuchtmittel sind an der. Tagesordnung. Die Schule, die bei uus deu
Menschen acht bis zwölf Jahre hindurch in seinem ganzen Wirken und Denken in
Anspruch, vielleicht viel zu sehr in Anspruch nimmt, kann um einmal die Verant¬
wortung für die Gemüts- und Willensbildung der ihr anvertrauten Zöglinge nicht
ablehnen, aber sie kann nicht in sechs Stunden täglich Einflüssen entgegenwirken,
die sich in der übrigen Zeit geltend machen, zumal da diese ihrer Mehrzahl nach
verführerisch erscheinen müssen neben der ernsten Art der Schulerziehung. Die not¬
wendige Folge davon, sollte man meinen, wäre bei der Aufnahme in die Schule,
bei Versetzungen und schließlich bei der Entlassung eine besondre Rücksicht auf die
Chnrakterentlvicklnng der Schüler. Allein die Vielseitigkeit der heutigen Anforde¬
rungen, der Massenunterricht, dazu auch noch eine weitgehende Milde gegenüber
der Jugend erlaubt es mitunter nicht, bei befriedigenden Leistungen die beglei¬
tenden Umstände, den die Grundlage bildenden wissenschaftlichen Sinn, den sittlichen
Ernst allzustark in Betracht kommen zu lassen. Und gar zur Ausschließung eines
Schillers in der Mitte seiner Laufbahn möchte man aus allerlei Rücksichten nur
schwer schreiten, oft ja aus berechtigten Rücksichten ans die Zukunft des Schillers,
die Lage der Eltern, ja sogar auf den Ruf der Anstalt.
Gewiß wäre es bedauerlich, wollte man einem jungen Menschen auf einer so
frühen Stufe der Entwicklung schon die Möglichkeit der Umkehr versagen, es sei
denn, daß es sich um Fälle gänzlicher Entnrtnng handelt. Für die häufiger anzu-
treffenden Opfer einer falsche» Erziehung werden edeldenkende Pädagogen nimmer¬
mehr eine so harte Maßregel billigen. Was sie aber verlangen können, das ist
und bleibt die Befreiung der wohlerzognen Masse von den störenden Elementen,
ohne daß diese darum geschädigt werdeu. Giebt man ja doch in letzter Zeit die
geistig zurückgebliebnen Kinder zu ihrem eignen Besten in besondre, zu diesem
Zwecke eingerichtete Anstalten, warum nicht anch die in ihrem Charakter ange¬
kränkelten. Freilich müßte» sie, wie jene, ungewöhnlich befähigte Lehrer erhalte»,
Lehrer, die sich an den allgemeinen Anstalten schon besonders bewährt haben. Man
kann nicht jedem Lehrer ohne weiteres die Fähigkeit zumuten, die Bestie im Menschen
zu zähmen. Woran es liegt, daß dies dem einen, vielleicht äußerlich unscheinbaren
Manne gelingt und dem andern nicht? Wäre» die erforderliche» Eigenschaften in
n» Schema zu bringen, man hätte es längst wohl in allen Schulen angeschlagen,
und die Lehrer würde» sämtlich bestrebt sein, sich in heißem Bemühen das Er¬
forderliche anzueignen. Aber noch ist es keiner Schulbehörde, noch ist es keinem
Pädagogen gelungen, die Formel zu finden. Noch soll es einzelne Schüler und
darum ganze Klassen geben, die es vermögen, einen gesellschaftlich und Wissenschaft-
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