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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die großen Berliner Aunstausstellungen

Uns will es scheinen, daß sich nicht die extremen Richtungen, die gegen¬
wärtig im Vordergründe der sezessionistischen Bestrebungen stehn, längere Zeit
behaupten oder gar entwicklungsfähige Keime in die Zukunft hinübertragen
werden, sondern der gemäßigte Realismus, der bei aller technischen Freiheit
doch sest im Gegenständlichen wurzelt. Auf der Berliner Sezessionsausstellung
ist er vornehmlich durch den Landschafts- und Tiermaler Oskar Frenzel ver¬
treten, der die Motive zu seinen mit Rindern staffierten, meist ernstgestimmten
Landschaften im norddeutschen Flachlands sucht, durch Ludwig Dettmann, der
sich in einer Abendmahlsfeier in einer holsteinischen oder friesischen Kirche
wieder an die guten Überlieferungen der deutschen Genremalerei angeschlossen
hat, und durch Franz Skarbiua, dessen Kunst zwar einen vorwiegend inter¬
nationalen Charakter hat, der bisweilen aber auch, namentlich mit seinen
Landschaften, eine poetische Stimmung zu erwecken weiß, die nur ein Deutscher
findet, und die deshalb von Deutschen am tiefsten nachempfunden wird.

Im Übermaß der Freude, daß ihnen endlich der große Wurf mit der Er¬
richtung eines eignen, wenn auch uach Umfang und äußerer Gestaltung sehr
ärmlichen Ausstellungsgebäudes gelungen ist, haben die Sezessionisten den
Mund etwas voll genommen. In dem Vorwort des Katalogs sagt die Aus-
stellungsleitung. daß sie "einen Überblick über den augenblicklichen Stand der
deutschen Kunst" habe geben wollen. Diese Überhebung ist so lächerlich, daß
sie mir einer für bare Münze nehmen kaun, der bisher mit Scheuklappen durch
die Welt gegangen ist und keine andre Kunst gesehen hat als die, die von den
sezessionistischen Ausstellungen in Gnaden aufgenommen wird.

Man kann den Spieß sehr leicht umdrehen. Nicht die große Kunstaus¬
stellung, sondern die der Sezession zeigt uns in ihrer ausschließlichen Einseitig¬
keit das größere Maß von Unduldsamkeit, Engherzigkeit und "Chinesentum."'

Von den Sammelausstellungen, die wir im Glaspalast in Moabit zu
sehen bekommen, sind zwei dem Gedächtnis Verstorbner gewidmet. Die eine ge¬
währt einen Überblick über das rastlose, ungemein fruchtbare Schaffen des
1898 an geistiger Erschöpfung verstorbnen Düsseldorfers Karl Gehrts, dessen
Name durch seine zahllosen, aber immer lebens- und geschmackvollen, von Heller
Schönheitsfreude und erquicklichen Humor durchdrungnen Illustrationen allen
Kunstfreunden bekannt und vertraut geworden ist. Viele Jahre laug hatte der
Künstler, der von Jugend auf den Drang, ins Große zu gehn, in sich fühlte,
sein schönes Talent, durch die Not des Lebens gezwungen, in kleiner Münze
ausgegeben. Als er dann endlich sein heißes Begehren durch die Ausmalung
des Treppenhauses in der Düsseldorfer Kunsthalle gestillt hatte und ihm ein
neuer Austrag, die Ausmalung des Nathaussaciles'in seiner Vaterstadt Ham¬
burg winkte, brach er zusammen. Aber er hat doch die Genugthuung erlebt,
daß seine monumentalen Malereien in Düsseldorf Dank und Anerkennung fanden.
Dem andern Toten, dessen Hauptwerke uns in einer Sonderausstellung vor¬
geführt werden, ist es viel schlechter ergangen. Der Name des Tier- und
Landschaftsmalers Teutwart Schmitson war wohl der Mehrzahl der Kunst¬
freunde unsrer Zeit unbekannt. Nur wenige erinnerten sich noch des genialen
Mannes, der zu Ende der fünfziger Jahre in Berlin auftauchte und damals
durch seinen für jene Zeit kühnen Realismus bei den streng ästhetisch geschulten
Kunstrichtern und den Laien, die in ihrem Banne standen, mehr Entsetzen als
Bewunderung erregte. Später siedelte er -- er war der Sohn eines öster¬
reichischen Offiziers und in Frankfurt a. M gehöre" - nach Wien über, wo


Die großen Berliner Aunstausstellungen

Uns will es scheinen, daß sich nicht die extremen Richtungen, die gegen¬
wärtig im Vordergründe der sezessionistischen Bestrebungen stehn, längere Zeit
behaupten oder gar entwicklungsfähige Keime in die Zukunft hinübertragen
werden, sondern der gemäßigte Realismus, der bei aller technischen Freiheit
doch sest im Gegenständlichen wurzelt. Auf der Berliner Sezessionsausstellung
ist er vornehmlich durch den Landschafts- und Tiermaler Oskar Frenzel ver¬
treten, der die Motive zu seinen mit Rindern staffierten, meist ernstgestimmten
Landschaften im norddeutschen Flachlands sucht, durch Ludwig Dettmann, der
sich in einer Abendmahlsfeier in einer holsteinischen oder friesischen Kirche
wieder an die guten Überlieferungen der deutschen Genremalerei angeschlossen
hat, und durch Franz Skarbiua, dessen Kunst zwar einen vorwiegend inter¬
nationalen Charakter hat, der bisweilen aber auch, namentlich mit seinen
Landschaften, eine poetische Stimmung zu erwecken weiß, die nur ein Deutscher
findet, und die deshalb von Deutschen am tiefsten nachempfunden wird.

Im Übermaß der Freude, daß ihnen endlich der große Wurf mit der Er¬
richtung eines eignen, wenn auch uach Umfang und äußerer Gestaltung sehr
ärmlichen Ausstellungsgebäudes gelungen ist, haben die Sezessionisten den
Mund etwas voll genommen. In dem Vorwort des Katalogs sagt die Aus-
stellungsleitung. daß sie „einen Überblick über den augenblicklichen Stand der
deutschen Kunst" habe geben wollen. Diese Überhebung ist so lächerlich, daß
sie mir einer für bare Münze nehmen kaun, der bisher mit Scheuklappen durch
die Welt gegangen ist und keine andre Kunst gesehen hat als die, die von den
sezessionistischen Ausstellungen in Gnaden aufgenommen wird.

Man kann den Spieß sehr leicht umdrehen. Nicht die große Kunstaus¬
stellung, sondern die der Sezession zeigt uns in ihrer ausschließlichen Einseitig¬
keit das größere Maß von Unduldsamkeit, Engherzigkeit und „Chinesentum."'

Von den Sammelausstellungen, die wir im Glaspalast in Moabit zu
sehen bekommen, sind zwei dem Gedächtnis Verstorbner gewidmet. Die eine ge¬
währt einen Überblick über das rastlose, ungemein fruchtbare Schaffen des
1898 an geistiger Erschöpfung verstorbnen Düsseldorfers Karl Gehrts, dessen
Name durch seine zahllosen, aber immer lebens- und geschmackvollen, von Heller
Schönheitsfreude und erquicklichen Humor durchdrungnen Illustrationen allen
Kunstfreunden bekannt und vertraut geworden ist. Viele Jahre laug hatte der
Künstler, der von Jugend auf den Drang, ins Große zu gehn, in sich fühlte,
sein schönes Talent, durch die Not des Lebens gezwungen, in kleiner Münze
ausgegeben. Als er dann endlich sein heißes Begehren durch die Ausmalung
des Treppenhauses in der Düsseldorfer Kunsthalle gestillt hatte und ihm ein
neuer Austrag, die Ausmalung des Nathaussaciles'in seiner Vaterstadt Ham¬
burg winkte, brach er zusammen. Aber er hat doch die Genugthuung erlebt,
daß seine monumentalen Malereien in Düsseldorf Dank und Anerkennung fanden.
Dem andern Toten, dessen Hauptwerke uns in einer Sonderausstellung vor¬
geführt werden, ist es viel schlechter ergangen. Der Name des Tier- und
Landschaftsmalers Teutwart Schmitson war wohl der Mehrzahl der Kunst¬
freunde unsrer Zeit unbekannt. Nur wenige erinnerten sich noch des genialen
Mannes, der zu Ende der fünfziger Jahre in Berlin auftauchte und damals
durch seinen für jene Zeit kühnen Realismus bei den streng ästhetisch geschulten
Kunstrichtern und den Laien, die in ihrem Banne standen, mehr Entsetzen als
Bewunderung erregte. Später siedelte er — er war der Sohn eines öster¬
reichischen Offiziers und in Frankfurt a. M gehöre» - nach Wien über, wo


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[0477] Die großen Berliner Aunstausstellungen Uns will es scheinen, daß sich nicht die extremen Richtungen, die gegen¬ wärtig im Vordergründe der sezessionistischen Bestrebungen stehn, längere Zeit behaupten oder gar entwicklungsfähige Keime in die Zukunft hinübertragen werden, sondern der gemäßigte Realismus, der bei aller technischen Freiheit doch sest im Gegenständlichen wurzelt. Auf der Berliner Sezessionsausstellung ist er vornehmlich durch den Landschafts- und Tiermaler Oskar Frenzel ver¬ treten, der die Motive zu seinen mit Rindern staffierten, meist ernstgestimmten Landschaften im norddeutschen Flachlands sucht, durch Ludwig Dettmann, der sich in einer Abendmahlsfeier in einer holsteinischen oder friesischen Kirche wieder an die guten Überlieferungen der deutschen Genremalerei angeschlossen hat, und durch Franz Skarbiua, dessen Kunst zwar einen vorwiegend inter¬ nationalen Charakter hat, der bisweilen aber auch, namentlich mit seinen Landschaften, eine poetische Stimmung zu erwecken weiß, die nur ein Deutscher findet, und die deshalb von Deutschen am tiefsten nachempfunden wird. Im Übermaß der Freude, daß ihnen endlich der große Wurf mit der Er¬ richtung eines eignen, wenn auch uach Umfang und äußerer Gestaltung sehr ärmlichen Ausstellungsgebäudes gelungen ist, haben die Sezessionisten den Mund etwas voll genommen. In dem Vorwort des Katalogs sagt die Aus- stellungsleitung. daß sie „einen Überblick über den augenblicklichen Stand der deutschen Kunst" habe geben wollen. Diese Überhebung ist so lächerlich, daß sie mir einer für bare Münze nehmen kaun, der bisher mit Scheuklappen durch die Welt gegangen ist und keine andre Kunst gesehen hat als die, die von den sezessionistischen Ausstellungen in Gnaden aufgenommen wird. Man kann den Spieß sehr leicht umdrehen. Nicht die große Kunstaus¬ stellung, sondern die der Sezession zeigt uns in ihrer ausschließlichen Einseitig¬ keit das größere Maß von Unduldsamkeit, Engherzigkeit und „Chinesentum."' Von den Sammelausstellungen, die wir im Glaspalast in Moabit zu sehen bekommen, sind zwei dem Gedächtnis Verstorbner gewidmet. Die eine ge¬ währt einen Überblick über das rastlose, ungemein fruchtbare Schaffen des 1898 an geistiger Erschöpfung verstorbnen Düsseldorfers Karl Gehrts, dessen Name durch seine zahllosen, aber immer lebens- und geschmackvollen, von Heller Schönheitsfreude und erquicklichen Humor durchdrungnen Illustrationen allen Kunstfreunden bekannt und vertraut geworden ist. Viele Jahre laug hatte der Künstler, der von Jugend auf den Drang, ins Große zu gehn, in sich fühlte, sein schönes Talent, durch die Not des Lebens gezwungen, in kleiner Münze ausgegeben. Als er dann endlich sein heißes Begehren durch die Ausmalung des Treppenhauses in der Düsseldorfer Kunsthalle gestillt hatte und ihm ein neuer Austrag, die Ausmalung des Nathaussaciles'in seiner Vaterstadt Ham¬ burg winkte, brach er zusammen. Aber er hat doch die Genugthuung erlebt, daß seine monumentalen Malereien in Düsseldorf Dank und Anerkennung fanden. Dem andern Toten, dessen Hauptwerke uns in einer Sonderausstellung vor¬ geführt werden, ist es viel schlechter ergangen. Der Name des Tier- und Landschaftsmalers Teutwart Schmitson war wohl der Mehrzahl der Kunst¬ freunde unsrer Zeit unbekannt. Nur wenige erinnerten sich noch des genialen Mannes, der zu Ende der fünfziger Jahre in Berlin auftauchte und damals durch seinen für jene Zeit kühnen Realismus bei den streng ästhetisch geschulten Kunstrichtern und den Laien, die in ihrem Banne standen, mehr Entsetzen als Bewunderung erregte. Später siedelte er — er war der Sohn eines öster¬ reichischen Offiziers und in Frankfurt a. M gehöre» - nach Wien über, wo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/477>, abgerufen am 15.01.2025.