Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Nikolaus Lerain und Gustav Schwab freie selbständige Studieren sage ihm besser zu als das zwangmäßige. Überdies Mit seinem Freunde Schwab blieb er im Verkehre. Bezeichnend für seineu Heidelberg, Samstag Nov. 1831j. Herzliebster Freund! Soeben bin ich nach Hause gekommen aus einer Vorlesung über die Cholera. Heidelberg will mir nicht recht heimisch werden. Das laute bunte Treiben ") Lotte Gmelin,
Nikolaus Lerain und Gustav Schwab freie selbständige Studieren sage ihm besser zu als das zwangmäßige. Überdies Mit seinem Freunde Schwab blieb er im Verkehre. Bezeichnend für seineu Heidelberg, Samstag Nov. 1831j. Herzliebster Freund! Soeben bin ich nach Hause gekommen aus einer Vorlesung über die Cholera. Heidelberg will mir nicht recht heimisch werden. Das laute bunte Treiben ") Lotte Gmelin,
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231639"/> <fw type="header" place="top"> Nikolaus Lerain und Gustav Schwab</fw><lb/> <p xml:id="ID_1548" prev="#ID_1547"> freie selbständige Studieren sage ihm besser zu als das zwangmäßige. Überdies<lb/> falle in Heidelberg ein großer Teil des Gedächtniskrams, z. B, Mineralogie,<lb/> Zoologie usw. weg.</p><lb/> <p xml:id="ID_1549"> Mit seinem Freunde Schwab blieb er im Verkehre. Bezeichnend für seineu<lb/> Aufenthalt in der Neckarstadt, wie auch sür sein inniges Verhältnis zu Gustav<lb/> Schwab ist der folgende Brief Leuaus. Der Dichter beleuchtet in diesem<lb/> Schreiben zugleich in sehr charakteristischer Weise sich selbst.</p><lb/> <p xml:id="ID_1550"> Heidelberg, Samstag Nov. 1831j.</p><lb/> <note type="salute"> Herzliebster Freund!</note><lb/> <p xml:id="ID_1551"> Soeben bin ich nach Hause gekommen aus einer Vorlesung über die Cholera.<lb/> Professor Puchelt, ein ausgezeichneter Arzt, hält nämlich eine Reihe von Vortrügen<lb/> über diese Pest. Das ist gut: werden die Kandidaten der Medizin heut oder<lb/> morgen requiriert, so haben sie doch wenigstens eine Ahnung von der Krankheit,<lb/> gegen die sie ihre leichten Waffen kehren sollen. Der König von Beidem soll<lb/> bereits solche Requisition gemacht haben für den Fall der Not. Außer dieser<lb/> Cholernvorlesung hab ich von heute her noch eine über Geburtshilfe, eine über<lb/> Anatomie im Leibe sowie ein doppeltes Klinikum. Ich lasse mich gerne recht<lb/> hineinsetzen in das Labyrinth der Medizin; hier begegnet mir wenigstens auf eine<lb/> Zeit das Gegenteil von dem, was jenem empfindsamen Frauenzimmer im Thale<lb/> bei Tübingen widerfuhr, wo ihr ihr Schmerz, ein verlaufner, doch treuer Pudel,<lb/> immer wieder an die Brust sprang. Wenn nur mein Pudel an der Spitalluft<lb/> krepierte! Aber der ist zäh und hartnäckig; wenn ich mich einst in Amerika um¬<lb/> sehe, wird er hinter mir her sein; pust oquitom soclot g.tiÄ cura. „Wieder ein<lb/> lateinisches Sprüchlein!" wird deine Frau halbärgerlich ausrufen, wenn du ihr<lb/> vielleicht meinen Brief vorliesest. Deine liebe, liebe Frau! O Freund, das ist<lb/> eine Frau! Du weißt es ja, doch ich muß dirs immer wieder sagen. Meine<lb/> verstorbne Mutter, meine Schwester Therese, deine Frau und Lentula") sind mir<lb/> die liebsten Frauen auf und leider! unter der Erde. O könnte ich meine Mutter<lb/> und meine Schwester am Christabend nach Stuttgart mitbringen, und könnte ich<lb/> alle vier sitzen sehen an deinem Tische. Die eine aber setzt sich an keinen Tisch<lb/> mehr, und die drei andern werden Wohl nie zusammenkommen. Sei es denn!<lb/> Das Schicksal muß auch seinen Willen haben, oder vielmehr: es hat allein seinen<lb/> Willen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1552" next="#ID_1553"> Heidelberg will mir nicht recht heimisch werden. Das laute bunte Treiben<lb/> in einer kleinen Universitätsstadt kann mir nicht recht behagen, ist wie ein littera¬<lb/> rischer Jahrmarkt. Ich weiß aber auch keinen Ort in der weiten Welt, wo ich<lb/> jetzt gerne sein möchte nach den schönen Tagen in Stuttgart. Dort war mein<lb/> ganzes Leben ein Freudenfest. So gut wird mirs nimmer. Ganz niederdrückend<lb/> ist das Gefühl meiner Ohnmacht, Euch je zu vergelten, was Ihr mir Liebes und<lb/> Gutes erzeigt. Ich habe das alles nicht verdient, kauu es nie verdienen. Eure<lb/> Güte hat etwas so Überwältigendes, daß ich verzagen muß an jedem Wort des<lb/> Dankes, worin mein Herz ausströmen möchte. O, meine Freunde, ich liebe Euch!<lb/> Mehr kann ich nicht sagen. — Gestern abend war ich bei Kostim. Er spielte mir<lb/> Beethvvensche Sonaten. Da lag ich auf dem Sofa mit geschlossenen Augen und<lb/> ließ auf dem gewaltigen Strom der Töne an mir vorbeischwimmen alle Freuden,</p><lb/> <note xml:id="FID_202" place="foot"> ") Lotte Gmelin,</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0469]
Nikolaus Lerain und Gustav Schwab
freie selbständige Studieren sage ihm besser zu als das zwangmäßige. Überdies
falle in Heidelberg ein großer Teil des Gedächtniskrams, z. B, Mineralogie,
Zoologie usw. weg.
Mit seinem Freunde Schwab blieb er im Verkehre. Bezeichnend für seineu
Aufenthalt in der Neckarstadt, wie auch sür sein inniges Verhältnis zu Gustav
Schwab ist der folgende Brief Leuaus. Der Dichter beleuchtet in diesem
Schreiben zugleich in sehr charakteristischer Weise sich selbst.
Heidelberg, Samstag Nov. 1831j.
Herzliebster Freund!
Soeben bin ich nach Hause gekommen aus einer Vorlesung über die Cholera.
Professor Puchelt, ein ausgezeichneter Arzt, hält nämlich eine Reihe von Vortrügen
über diese Pest. Das ist gut: werden die Kandidaten der Medizin heut oder
morgen requiriert, so haben sie doch wenigstens eine Ahnung von der Krankheit,
gegen die sie ihre leichten Waffen kehren sollen. Der König von Beidem soll
bereits solche Requisition gemacht haben für den Fall der Not. Außer dieser
Cholernvorlesung hab ich von heute her noch eine über Geburtshilfe, eine über
Anatomie im Leibe sowie ein doppeltes Klinikum. Ich lasse mich gerne recht
hineinsetzen in das Labyrinth der Medizin; hier begegnet mir wenigstens auf eine
Zeit das Gegenteil von dem, was jenem empfindsamen Frauenzimmer im Thale
bei Tübingen widerfuhr, wo ihr ihr Schmerz, ein verlaufner, doch treuer Pudel,
immer wieder an die Brust sprang. Wenn nur mein Pudel an der Spitalluft
krepierte! Aber der ist zäh und hartnäckig; wenn ich mich einst in Amerika um¬
sehe, wird er hinter mir her sein; pust oquitom soclot g.tiÄ cura. „Wieder ein
lateinisches Sprüchlein!" wird deine Frau halbärgerlich ausrufen, wenn du ihr
vielleicht meinen Brief vorliesest. Deine liebe, liebe Frau! O Freund, das ist
eine Frau! Du weißt es ja, doch ich muß dirs immer wieder sagen. Meine
verstorbne Mutter, meine Schwester Therese, deine Frau und Lentula") sind mir
die liebsten Frauen auf und leider! unter der Erde. O könnte ich meine Mutter
und meine Schwester am Christabend nach Stuttgart mitbringen, und könnte ich
alle vier sitzen sehen an deinem Tische. Die eine aber setzt sich an keinen Tisch
mehr, und die drei andern werden Wohl nie zusammenkommen. Sei es denn!
Das Schicksal muß auch seinen Willen haben, oder vielmehr: es hat allein seinen
Willen.
Heidelberg will mir nicht recht heimisch werden. Das laute bunte Treiben
in einer kleinen Universitätsstadt kann mir nicht recht behagen, ist wie ein littera¬
rischer Jahrmarkt. Ich weiß aber auch keinen Ort in der weiten Welt, wo ich
jetzt gerne sein möchte nach den schönen Tagen in Stuttgart. Dort war mein
ganzes Leben ein Freudenfest. So gut wird mirs nimmer. Ganz niederdrückend
ist das Gefühl meiner Ohnmacht, Euch je zu vergelten, was Ihr mir Liebes und
Gutes erzeigt. Ich habe das alles nicht verdient, kauu es nie verdienen. Eure
Güte hat etwas so Überwältigendes, daß ich verzagen muß an jedem Wort des
Dankes, worin mein Herz ausströmen möchte. O, meine Freunde, ich liebe Euch!
Mehr kann ich nicht sagen. — Gestern abend war ich bei Kostim. Er spielte mir
Beethvvensche Sonaten. Da lag ich auf dem Sofa mit geschlossenen Augen und
ließ auf dem gewaltigen Strom der Töne an mir vorbeischwimmen alle Freuden,
") Lotte Gmelin,
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