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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Nikolaus Lenau und Gustav Schwab

gemacht habe, wenn mein l. Mann und ich an der Cholera sterben müßten,
so will er unsern Ludwig an Kindesstatt annehmen, und dann ihm zu Liebe
heiraten. Dies wurde auf der Kuppel auf der solitude. an einem herrlichen
Abend, als wir alle mit Betrübnis an unsern Abschied und die jetzige Zeit
dachten, ausgemacht."

So hatten sich denn Ungarn und Schwaben in schöner Freundschaft ver¬
einigt. Der von Schwab förmlich berauschte Lenau schrieb am 13. August 1831,
also vier Tage nach seiner ersten Bekanntschaft mit dem Redakteur des "Morgen¬
blattes" aus München:


Geliebter, verehrter Freund!

In großer Eile (die Post geht in einer halben Stunde ab) schreib ich dir
diese Zeilen.

Ich habe in München Wechsel getroffen, die mir noch ein längeres Reisen
möglich machen. Es versteht sich also von selbst, daß ich wieder nach Stuttgart
komme, um dich und meinen Pfizer noch einmal zu sehen, und wenn es Euch
möglich ist. in Eurer Gesellschaft Uhland zu besuche".

O mein tief geliebter Freund! Wie selig war der Abend aller Abende! Ich
danke den Göttern, daß sie mir einen Hauch von Poesie in die Brust geweht: der
hat mir dein Herz gewonnen und das meines geliebten Pfizer. Ich glaube, wir
werden uns ewig lieben. Wie träge sind dagegen die Entwürfe der Freundschaft
im gewöhnlichen Menschenleben. Wir haben uns in wenigen Stunden erfaßt.
Segenvoll wird mir jener Abend sein fürs ganze Leben, und wenn ich je etwas
in der Dichtkunst leiste, ich werde nie vergessen, welchen Anteil du hast an meinem
Gedeihen durch die väterliche Huld, die du meiner Muse erwiese", durch das Selbst¬
vertrauen, das du meiner Seele gegeben. Von solchen Männern ermuntert z"
werden ist wohlthätig für den Beginnenden. Dein Wort ging wie ein milder
Frühlingshauch über die keimende Saat meiner Gefühle, meiner Gedanken.


Lebt wohl, meine Geliebten! Donnerstag sehen wir uns.
Euer Freund Niembsch.

Ich ersuche dich, nichts nach Gmunden zu schicken, doch das weißt du nun
ohnedies.

Lenau weilte nicht lange in München: das Herz zog ihn wieder nach
Stuttgart, zu Gustav Schwab, der den Dichter herzlich und dringend einlud.
Mehrere Monate -- kleine Unterbrechungen abgerechnet -- weilte er an dem
gastlichen Herde des Freundes und lebte sich innig in den Kreis edler Menschen
ein, von denen er namentlich Gustav Schwabs Gattin verehrte. Diese, Sophie
Karoline, geboren am 17. Februar 1795, war die Tochter Christian Gottlieb
Gmelins (3. November 1749 -- 6. März 1818), Professors des Kriminal¬
rechts und der juridischen Praxis an der Universität Tübingen, "sie war
seit dem 24. März 1818 mit Gustav Schwab verheiratet. Ihre in dem Briefe
Sophiens vom 15. September 1831 erwähnte Nichte Lotte ist jenes durch die
..Schilflieder" Lenaus berühmt gewordne liebliche Mädchen Charlotte Henriette
Gmelin (10. Dezember 1812 -- 15. September 1889), die in dem Freund-


Grenzboten III. 1899 ^
Nikolaus Lenau und Gustav Schwab

gemacht habe, wenn mein l. Mann und ich an der Cholera sterben müßten,
so will er unsern Ludwig an Kindesstatt annehmen, und dann ihm zu Liebe
heiraten. Dies wurde auf der Kuppel auf der solitude. an einem herrlichen
Abend, als wir alle mit Betrübnis an unsern Abschied und die jetzige Zeit
dachten, ausgemacht."

So hatten sich denn Ungarn und Schwaben in schöner Freundschaft ver¬
einigt. Der von Schwab förmlich berauschte Lenau schrieb am 13. August 1831,
also vier Tage nach seiner ersten Bekanntschaft mit dem Redakteur des „Morgen¬
blattes" aus München:


Geliebter, verehrter Freund!

In großer Eile (die Post geht in einer halben Stunde ab) schreib ich dir
diese Zeilen.

Ich habe in München Wechsel getroffen, die mir noch ein längeres Reisen
möglich machen. Es versteht sich also von selbst, daß ich wieder nach Stuttgart
komme, um dich und meinen Pfizer noch einmal zu sehen, und wenn es Euch
möglich ist. in Eurer Gesellschaft Uhland zu besuche».

O mein tief geliebter Freund! Wie selig war der Abend aller Abende! Ich
danke den Göttern, daß sie mir einen Hauch von Poesie in die Brust geweht: der
hat mir dein Herz gewonnen und das meines geliebten Pfizer. Ich glaube, wir
werden uns ewig lieben. Wie träge sind dagegen die Entwürfe der Freundschaft
im gewöhnlichen Menschenleben. Wir haben uns in wenigen Stunden erfaßt.
Segenvoll wird mir jener Abend sein fürs ganze Leben, und wenn ich je etwas
in der Dichtkunst leiste, ich werde nie vergessen, welchen Anteil du hast an meinem
Gedeihen durch die väterliche Huld, die du meiner Muse erwiese», durch das Selbst¬
vertrauen, das du meiner Seele gegeben. Von solchen Männern ermuntert z»
werden ist wohlthätig für den Beginnenden. Dein Wort ging wie ein milder
Frühlingshauch über die keimende Saat meiner Gefühle, meiner Gedanken.


Lebt wohl, meine Geliebten! Donnerstag sehen wir uns.
Euer Freund Niembsch.

Ich ersuche dich, nichts nach Gmunden zu schicken, doch das weißt du nun
ohnedies.

Lenau weilte nicht lange in München: das Herz zog ihn wieder nach
Stuttgart, zu Gustav Schwab, der den Dichter herzlich und dringend einlud.
Mehrere Monate — kleine Unterbrechungen abgerechnet — weilte er an dem
gastlichen Herde des Freundes und lebte sich innig in den Kreis edler Menschen
ein, von denen er namentlich Gustav Schwabs Gattin verehrte. Diese, Sophie
Karoline, geboren am 17. Februar 1795, war die Tochter Christian Gottlieb
Gmelins (3. November 1749 — 6. März 1818), Professors des Kriminal¬
rechts und der juridischen Praxis an der Universität Tübingen, «sie war
seit dem 24. März 1818 mit Gustav Schwab verheiratet. Ihre in dem Briefe
Sophiens vom 15. September 1831 erwähnte Nichte Lotte ist jenes durch die
..Schilflieder" Lenaus berühmt gewordne liebliche Mädchen Charlotte Henriette
Gmelin (10. Dezember 1812 — 15. September 1889), die in dem Freund-


Grenzboten III. 1899 ^
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[0465] Nikolaus Lenau und Gustav Schwab gemacht habe, wenn mein l. Mann und ich an der Cholera sterben müßten, so will er unsern Ludwig an Kindesstatt annehmen, und dann ihm zu Liebe heiraten. Dies wurde auf der Kuppel auf der solitude. an einem herrlichen Abend, als wir alle mit Betrübnis an unsern Abschied und die jetzige Zeit dachten, ausgemacht." So hatten sich denn Ungarn und Schwaben in schöner Freundschaft ver¬ einigt. Der von Schwab förmlich berauschte Lenau schrieb am 13. August 1831, also vier Tage nach seiner ersten Bekanntschaft mit dem Redakteur des „Morgen¬ blattes" aus München: Geliebter, verehrter Freund! In großer Eile (die Post geht in einer halben Stunde ab) schreib ich dir diese Zeilen. Ich habe in München Wechsel getroffen, die mir noch ein längeres Reisen möglich machen. Es versteht sich also von selbst, daß ich wieder nach Stuttgart komme, um dich und meinen Pfizer noch einmal zu sehen, und wenn es Euch möglich ist. in Eurer Gesellschaft Uhland zu besuche». O mein tief geliebter Freund! Wie selig war der Abend aller Abende! Ich danke den Göttern, daß sie mir einen Hauch von Poesie in die Brust geweht: der hat mir dein Herz gewonnen und das meines geliebten Pfizer. Ich glaube, wir werden uns ewig lieben. Wie träge sind dagegen die Entwürfe der Freundschaft im gewöhnlichen Menschenleben. Wir haben uns in wenigen Stunden erfaßt. Segenvoll wird mir jener Abend sein fürs ganze Leben, und wenn ich je etwas in der Dichtkunst leiste, ich werde nie vergessen, welchen Anteil du hast an meinem Gedeihen durch die väterliche Huld, die du meiner Muse erwiese», durch das Selbst¬ vertrauen, das du meiner Seele gegeben. Von solchen Männern ermuntert z» werden ist wohlthätig für den Beginnenden. Dein Wort ging wie ein milder Frühlingshauch über die keimende Saat meiner Gefühle, meiner Gedanken. Lebt wohl, meine Geliebten! Donnerstag sehen wir uns. Euer Freund Niembsch. Ich ersuche dich, nichts nach Gmunden zu schicken, doch das weißt du nun ohnedies. Lenau weilte nicht lange in München: das Herz zog ihn wieder nach Stuttgart, zu Gustav Schwab, der den Dichter herzlich und dringend einlud. Mehrere Monate — kleine Unterbrechungen abgerechnet — weilte er an dem gastlichen Herde des Freundes und lebte sich innig in den Kreis edler Menschen ein, von denen er namentlich Gustav Schwabs Gattin verehrte. Diese, Sophie Karoline, geboren am 17. Februar 1795, war die Tochter Christian Gottlieb Gmelins (3. November 1749 — 6. März 1818), Professors des Kriminal¬ rechts und der juridischen Praxis an der Universität Tübingen, «sie war seit dem 24. März 1818 mit Gustav Schwab verheiratet. Ihre in dem Briefe Sophiens vom 15. September 1831 erwähnte Nichte Lotte ist jenes durch die ..Schilflieder" Lenaus berühmt gewordne liebliche Mädchen Charlotte Henriette Gmelin (10. Dezember 1812 — 15. September 1889), die in dem Freund- Grenzboten III. 1899 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/465>, abgerufen am 15.01.2025.