Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Nikolaus Lenau und Gustav Schwab

kennen zu lernen; es blieb aber bei beiden einige Entfernung bis zum letzten
Abend seiner ersten Abreise; erst da lernte er meinen l. Mann und den jüngern
Pfizer genauer kennen, teilte ihnen seine Gedichte mit, und diese beiden waren
so entzückt davon, daß mein l. Mann nachts um zwölf Uhr wie berauscht vor
Freude heimkam über diesen Menschen und Dichter; noch unter dem Hause machten
sie Brüderschaft und beklagten nur, daß er den andern Morgen in aller Frühe
abreise. Nach einigen Tagen kommt ein Brief von ihm aus München, worin
er schreibt, daß er dort gute Nachrichten von den Seinigen und neue Wechsel
getroffen hätte, und nun nichts besseres zu thun wüßte, als umzukehren, und
die Freundschaft, die er mit Pfizer und meinem l. Mann geschlossen, noch
einige Tage in ihrem Umgang zu genießen. So war er denn seit einem
Monat bei uns hier, und ich kann dir nicht beschreiben, welche genußreiche Zeit
dies für uns war; wir gewannen ihn täglich lieber, und auch er hat sich so
innig an uns angeschlossen, daß der Abschied recht schmerzlich für uns war.
Während dieser ganzen Zeit war in meinem Hause ein ordentlicher Strudel;
denn jedermann wollte ihn kennen lernen und nahm es uns übel, wenn wir
keine Gelegenheit dazu machten, und doch waren ihm alle Einladungen und
dergleichen sehr unwillkommen; er war am liebsten mit uns allein oder wenigen
Freunden, und dies waren auch sür uns die schönsten Stunden. Er ist sehr
musikalisch, spielt Klavier und Guitarre, und dies hat mir sehr viele Freude
gemacht. Wir haben seit kurzem ein neues Instrument von Schiedmayer, und
da war beinahe jeden Abend eine kleine musikalische Unterhaltung. Eine meiner
Nichten, Lotte Gmelin, hat eine sehr schöne Stimme, die, wie ich glaube,
großen Eindruck auf ihn gemacht hat. Überhaupt war er von dem Lob der
hiesigen Frauen und Mädchen voll, er wollte uns glauben machen, daß wir
hiesigen Frauen den Wienerinnen an Bildung und Bescheidenheit vorgingen.
Da, wirst du denken, kommt es heraus, die liebe Eitelkeit -- aber ich kann
dich versichern, die Männer hatten ihn ebenso lieb wie wir Frauen; Graf
Alexander (der Sohn vom Herzog Wilhelm) war so von ihm entzückt, daß er
alle paar Tage zu uns kam und gar nicht von ihm lassen wollte, noch am
letzten Tage hatte er eine große Jagd für ihn angestellt, wo ihn die andern
Prinzen auch kennen lernen wollten, er ließ sich aber nicht mehr halten, er
hatte keine Nachrichten aus Wien von seiner Schwester und war voller Unruhe
darüber. Wenn er vorlas mit seiner innigen, gefühlvollen Stimme, so wurde
alles hingerissen, wenn er uns manchmal von meines l. Mannes Gedichten
vorlas, so wurden wir ganz gerührt, und mein l. Mann rief aus: Jetzt gefallen
sie mir erst! Er hingegen hatte großes Wohlgefallen an unserm häuslichen
Leben und äußerte manchmal, hier müsse man Lust zum Heiraten bekommen;
er hat alle unsre schwäbischen Dichter besucht, war bei Uhland, bei Kerner und
Mayer. Je nachdem es in seinem Vaterlande geht, denkt er vielleicht darauf,
sich bei uns anzukaufen, Denke dir, welch schauderhaften Akkord ich mit ihm


Nikolaus Lenau und Gustav Schwab

kennen zu lernen; es blieb aber bei beiden einige Entfernung bis zum letzten
Abend seiner ersten Abreise; erst da lernte er meinen l. Mann und den jüngern
Pfizer genauer kennen, teilte ihnen seine Gedichte mit, und diese beiden waren
so entzückt davon, daß mein l. Mann nachts um zwölf Uhr wie berauscht vor
Freude heimkam über diesen Menschen und Dichter; noch unter dem Hause machten
sie Brüderschaft und beklagten nur, daß er den andern Morgen in aller Frühe
abreise. Nach einigen Tagen kommt ein Brief von ihm aus München, worin
er schreibt, daß er dort gute Nachrichten von den Seinigen und neue Wechsel
getroffen hätte, und nun nichts besseres zu thun wüßte, als umzukehren, und
die Freundschaft, die er mit Pfizer und meinem l. Mann geschlossen, noch
einige Tage in ihrem Umgang zu genießen. So war er denn seit einem
Monat bei uns hier, und ich kann dir nicht beschreiben, welche genußreiche Zeit
dies für uns war; wir gewannen ihn täglich lieber, und auch er hat sich so
innig an uns angeschlossen, daß der Abschied recht schmerzlich für uns war.
Während dieser ganzen Zeit war in meinem Hause ein ordentlicher Strudel;
denn jedermann wollte ihn kennen lernen und nahm es uns übel, wenn wir
keine Gelegenheit dazu machten, und doch waren ihm alle Einladungen und
dergleichen sehr unwillkommen; er war am liebsten mit uns allein oder wenigen
Freunden, und dies waren auch sür uns die schönsten Stunden. Er ist sehr
musikalisch, spielt Klavier und Guitarre, und dies hat mir sehr viele Freude
gemacht. Wir haben seit kurzem ein neues Instrument von Schiedmayer, und
da war beinahe jeden Abend eine kleine musikalische Unterhaltung. Eine meiner
Nichten, Lotte Gmelin, hat eine sehr schöne Stimme, die, wie ich glaube,
großen Eindruck auf ihn gemacht hat. Überhaupt war er von dem Lob der
hiesigen Frauen und Mädchen voll, er wollte uns glauben machen, daß wir
hiesigen Frauen den Wienerinnen an Bildung und Bescheidenheit vorgingen.
Da, wirst du denken, kommt es heraus, die liebe Eitelkeit — aber ich kann
dich versichern, die Männer hatten ihn ebenso lieb wie wir Frauen; Graf
Alexander (der Sohn vom Herzog Wilhelm) war so von ihm entzückt, daß er
alle paar Tage zu uns kam und gar nicht von ihm lassen wollte, noch am
letzten Tage hatte er eine große Jagd für ihn angestellt, wo ihn die andern
Prinzen auch kennen lernen wollten, er ließ sich aber nicht mehr halten, er
hatte keine Nachrichten aus Wien von seiner Schwester und war voller Unruhe
darüber. Wenn er vorlas mit seiner innigen, gefühlvollen Stimme, so wurde
alles hingerissen, wenn er uns manchmal von meines l. Mannes Gedichten
vorlas, so wurden wir ganz gerührt, und mein l. Mann rief aus: Jetzt gefallen
sie mir erst! Er hingegen hatte großes Wohlgefallen an unserm häuslichen
Leben und äußerte manchmal, hier müsse man Lust zum Heiraten bekommen;
er hat alle unsre schwäbischen Dichter besucht, war bei Uhland, bei Kerner und
Mayer. Je nachdem es in seinem Vaterlande geht, denkt er vielleicht darauf,
sich bei uns anzukaufen, Denke dir, welch schauderhaften Akkord ich mit ihm


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0464" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231634"/>
          <fw type="header" place="top"> Nikolaus Lenau und Gustav Schwab</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1530" prev="#ID_1529" next="#ID_1531"> kennen zu lernen; es blieb aber bei beiden einige Entfernung bis zum letzten<lb/>
Abend seiner ersten Abreise; erst da lernte er meinen l. Mann und den jüngern<lb/>
Pfizer genauer kennen, teilte ihnen seine Gedichte mit, und diese beiden waren<lb/>
so entzückt davon, daß mein l. Mann nachts um zwölf Uhr wie berauscht vor<lb/>
Freude heimkam über diesen Menschen und Dichter; noch unter dem Hause machten<lb/>
sie Brüderschaft und beklagten nur, daß er den andern Morgen in aller Frühe<lb/>
abreise. Nach einigen Tagen kommt ein Brief von ihm aus München, worin<lb/>
er schreibt, daß er dort gute Nachrichten von den Seinigen und neue Wechsel<lb/>
getroffen hätte, und nun nichts besseres zu thun wüßte, als umzukehren, und<lb/>
die Freundschaft, die er mit Pfizer und meinem l. Mann geschlossen, noch<lb/>
einige Tage in ihrem Umgang zu genießen. So war er denn seit einem<lb/>
Monat bei uns hier, und ich kann dir nicht beschreiben, welche genußreiche Zeit<lb/>
dies für uns war; wir gewannen ihn täglich lieber, und auch er hat sich so<lb/>
innig an uns angeschlossen, daß der Abschied recht schmerzlich für uns war.<lb/>
Während dieser ganzen Zeit war in meinem Hause ein ordentlicher Strudel;<lb/>
denn jedermann wollte ihn kennen lernen und nahm es uns übel, wenn wir<lb/>
keine Gelegenheit dazu machten, und doch waren ihm alle Einladungen und<lb/>
dergleichen sehr unwillkommen; er war am liebsten mit uns allein oder wenigen<lb/>
Freunden, und dies waren auch sür uns die schönsten Stunden. Er ist sehr<lb/>
musikalisch, spielt Klavier und Guitarre, und dies hat mir sehr viele Freude<lb/>
gemacht. Wir haben seit kurzem ein neues Instrument von Schiedmayer, und<lb/>
da war beinahe jeden Abend eine kleine musikalische Unterhaltung. Eine meiner<lb/>
Nichten, Lotte Gmelin, hat eine sehr schöne Stimme, die, wie ich glaube,<lb/>
großen Eindruck auf ihn gemacht hat. Überhaupt war er von dem Lob der<lb/>
hiesigen Frauen und Mädchen voll, er wollte uns glauben machen, daß wir<lb/>
hiesigen Frauen den Wienerinnen an Bildung und Bescheidenheit vorgingen.<lb/>
Da, wirst du denken, kommt es heraus, die liebe Eitelkeit &#x2014; aber ich kann<lb/>
dich versichern, die Männer hatten ihn ebenso lieb wie wir Frauen; Graf<lb/>
Alexander (der Sohn vom Herzog Wilhelm) war so von ihm entzückt, daß er<lb/>
alle paar Tage zu uns kam und gar nicht von ihm lassen wollte, noch am<lb/>
letzten Tage hatte er eine große Jagd für ihn angestellt, wo ihn die andern<lb/>
Prinzen auch kennen lernen wollten, er ließ sich aber nicht mehr halten, er<lb/>
hatte keine Nachrichten aus Wien von seiner Schwester und war voller Unruhe<lb/>
darüber. Wenn er vorlas mit seiner innigen, gefühlvollen Stimme, so wurde<lb/>
alles hingerissen, wenn er uns manchmal von meines l. Mannes Gedichten<lb/>
vorlas, so wurden wir ganz gerührt, und mein l. Mann rief aus: Jetzt gefallen<lb/>
sie mir erst! Er hingegen hatte großes Wohlgefallen an unserm häuslichen<lb/>
Leben und äußerte manchmal, hier müsse man Lust zum Heiraten bekommen;<lb/>
er hat alle unsre schwäbischen Dichter besucht, war bei Uhland, bei Kerner und<lb/>
Mayer. Je nachdem es in seinem Vaterlande geht, denkt er vielleicht darauf,<lb/>
sich bei uns anzukaufen,  Denke dir, welch schauderhaften Akkord ich mit ihm</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0464] Nikolaus Lenau und Gustav Schwab kennen zu lernen; es blieb aber bei beiden einige Entfernung bis zum letzten Abend seiner ersten Abreise; erst da lernte er meinen l. Mann und den jüngern Pfizer genauer kennen, teilte ihnen seine Gedichte mit, und diese beiden waren so entzückt davon, daß mein l. Mann nachts um zwölf Uhr wie berauscht vor Freude heimkam über diesen Menschen und Dichter; noch unter dem Hause machten sie Brüderschaft und beklagten nur, daß er den andern Morgen in aller Frühe abreise. Nach einigen Tagen kommt ein Brief von ihm aus München, worin er schreibt, daß er dort gute Nachrichten von den Seinigen und neue Wechsel getroffen hätte, und nun nichts besseres zu thun wüßte, als umzukehren, und die Freundschaft, die er mit Pfizer und meinem l. Mann geschlossen, noch einige Tage in ihrem Umgang zu genießen. So war er denn seit einem Monat bei uns hier, und ich kann dir nicht beschreiben, welche genußreiche Zeit dies für uns war; wir gewannen ihn täglich lieber, und auch er hat sich so innig an uns angeschlossen, daß der Abschied recht schmerzlich für uns war. Während dieser ganzen Zeit war in meinem Hause ein ordentlicher Strudel; denn jedermann wollte ihn kennen lernen und nahm es uns übel, wenn wir keine Gelegenheit dazu machten, und doch waren ihm alle Einladungen und dergleichen sehr unwillkommen; er war am liebsten mit uns allein oder wenigen Freunden, und dies waren auch sür uns die schönsten Stunden. Er ist sehr musikalisch, spielt Klavier und Guitarre, und dies hat mir sehr viele Freude gemacht. Wir haben seit kurzem ein neues Instrument von Schiedmayer, und da war beinahe jeden Abend eine kleine musikalische Unterhaltung. Eine meiner Nichten, Lotte Gmelin, hat eine sehr schöne Stimme, die, wie ich glaube, großen Eindruck auf ihn gemacht hat. Überhaupt war er von dem Lob der hiesigen Frauen und Mädchen voll, er wollte uns glauben machen, daß wir hiesigen Frauen den Wienerinnen an Bildung und Bescheidenheit vorgingen. Da, wirst du denken, kommt es heraus, die liebe Eitelkeit — aber ich kann dich versichern, die Männer hatten ihn ebenso lieb wie wir Frauen; Graf Alexander (der Sohn vom Herzog Wilhelm) war so von ihm entzückt, daß er alle paar Tage zu uns kam und gar nicht von ihm lassen wollte, noch am letzten Tage hatte er eine große Jagd für ihn angestellt, wo ihn die andern Prinzen auch kennen lernen wollten, er ließ sich aber nicht mehr halten, er hatte keine Nachrichten aus Wien von seiner Schwester und war voller Unruhe darüber. Wenn er vorlas mit seiner innigen, gefühlvollen Stimme, so wurde alles hingerissen, wenn er uns manchmal von meines l. Mannes Gedichten vorlas, so wurden wir ganz gerührt, und mein l. Mann rief aus: Jetzt gefallen sie mir erst! Er hingegen hatte großes Wohlgefallen an unserm häuslichen Leben und äußerte manchmal, hier müsse man Lust zum Heiraten bekommen; er hat alle unsre schwäbischen Dichter besucht, war bei Uhland, bei Kerner und Mayer. Je nachdem es in seinem Vaterlande geht, denkt er vielleicht darauf, sich bei uns anzukaufen, Denke dir, welch schauderhaften Akkord ich mit ihm

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/464
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/464>, abgerufen am 15.01.2025.