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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Nikolaus Lenau und Gustav Schwab

Diese Thatsache ist in den lebensgeschichtlicher Werken Lemnius noch
nirgends genügend betont worden. Man wird sich ihrer aber einigermaßen
bewußt werden, wenn man die Bedeutung kennt, die Gustav Schwab in der
Zeit, wo Lenau ihm näher trat, in dem Stuttgarter Geistesleben genoß, ja
nicht nur hier, sondern weit hinaus über die Grenzen der württembergischen
Hauptstadt. Sein Haus in der Hohenstraße war der Mittelpunkt eines regen
Geisteslebens, dessen Fäden sich von Paris bis Petersburg, von der Ostsee
bis zur Adria, von Europa bis uach Amerika erstreckten. In buntem Gemisch
seien hier die Namen folgender Personen genannt, die sein gastliches Haus
aufgenommen hatte: Ludwig Uhland, Justinus Kerner, Wilhelm Hauff, Gustav
Pfizer, Karl Grüneisen, Jean Paul, August Graf von Platen, Emanuel Geibel,
Ferdinand Freiligrath, Wilhelm Müller, Ludwig Tieck, K. L. Immermann,
Egon Ebert, Anastasius Grün, Grillparzer. Alexander von Sternberg, Rosa
Maria Ussing (Schwester Karl Varnhagen von Ersch), Lamartine, Marmier,
Graf Montalambert, Edgar Quinet, Sulpiz und Melchior Boisseree, Thor-
waldsen, Kreuzer, Graf Thurn, der englische Gesandte Wyem, Graf Winzinge-
rodc, Lord William Rüssel (ebenfalls englischer Gesandter), von Mehendorsf
(russischer Gesandter). Und ein Mann von dieser geistigen Bedeutung, mit
einem so warmen Herzen für junge aufstrebende Talente, ein Charakter von
ehrlicher Gesinnung und Gewissenhaftigkeit, ein Mann von so sicherm Gleich¬
gewicht wird der erste Freund, den Lenau in Schwaben findet. Lenau mußte
dies in der That als eine besondre Gunst des Schicksals preisen, desselben
Schicksals, das ihm so manche Entbehrung auferlegt, so manche Gunst vor¬
enthalten hatte. Und wenn der neu erworbne Freund auch nicht so weit Ein¬
fluß auf das innerste Leben des von Natur aus verschlossenen Lenau gewinnen
konnte, um ihm ein gut Teil von dem belebenden Odem seiner eignen innern
Harmonie und seinem realen Thätigkeitsstnn, der dem magyarischen Dichter so
sehr fehlte, zu verleihen, so ist es doch zweifellos, daß die Einwirkung der
schwäbischen Freunde und Freundinnen auf Lenau den Zusammenbruch seines
Geisteslebens um Jahre hinausgeschoben hat. Es würde weit über den Rahmen
dieser Arbeit hinausgreifen, wollte ich hier den Beweis für diese Behauptung
im einzelnen führen; das muß einer besondern Studie vorbehalten bleiben.

Schwabs warme Kunstbegeisterung, seine liebevolle Herzensgüte lernte
Lenau sofort kennen und schätzen, als er ihn zum erstenmale an jenem denk¬
würdigen 9. August sah. Ich entnehme, der Zeit vorauseilend, einem Familien¬
briefe Sophiens, der Gattin Schwabs, an ihre Freundin Lucie Meier vom
15. September 1831 folgende Stellen: "Vorgestern haben wir einen Gast von
uns entlassen, dem wir recht mit Angst und Sorge nachblicken; denn er reist
gerade aus nach Wien, der Cholera entgegen; es ist ein ungarischer Edelmann,
Niembsch von Strehlenau (wo du aber etwas von ihm liesest, wie z. B. im
Morgenblatt, nennt er sich Lenau), er kam hierher, um meinen l. Mann


Nikolaus Lenau und Gustav Schwab

Diese Thatsache ist in den lebensgeschichtlicher Werken Lemnius noch
nirgends genügend betont worden. Man wird sich ihrer aber einigermaßen
bewußt werden, wenn man die Bedeutung kennt, die Gustav Schwab in der
Zeit, wo Lenau ihm näher trat, in dem Stuttgarter Geistesleben genoß, ja
nicht nur hier, sondern weit hinaus über die Grenzen der württembergischen
Hauptstadt. Sein Haus in der Hohenstraße war der Mittelpunkt eines regen
Geisteslebens, dessen Fäden sich von Paris bis Petersburg, von der Ostsee
bis zur Adria, von Europa bis uach Amerika erstreckten. In buntem Gemisch
seien hier die Namen folgender Personen genannt, die sein gastliches Haus
aufgenommen hatte: Ludwig Uhland, Justinus Kerner, Wilhelm Hauff, Gustav
Pfizer, Karl Grüneisen, Jean Paul, August Graf von Platen, Emanuel Geibel,
Ferdinand Freiligrath, Wilhelm Müller, Ludwig Tieck, K. L. Immermann,
Egon Ebert, Anastasius Grün, Grillparzer. Alexander von Sternberg, Rosa
Maria Ussing (Schwester Karl Varnhagen von Ersch), Lamartine, Marmier,
Graf Montalambert, Edgar Quinet, Sulpiz und Melchior Boisseree, Thor-
waldsen, Kreuzer, Graf Thurn, der englische Gesandte Wyem, Graf Winzinge-
rodc, Lord William Rüssel (ebenfalls englischer Gesandter), von Mehendorsf
(russischer Gesandter). Und ein Mann von dieser geistigen Bedeutung, mit
einem so warmen Herzen für junge aufstrebende Talente, ein Charakter von
ehrlicher Gesinnung und Gewissenhaftigkeit, ein Mann von so sicherm Gleich¬
gewicht wird der erste Freund, den Lenau in Schwaben findet. Lenau mußte
dies in der That als eine besondre Gunst des Schicksals preisen, desselben
Schicksals, das ihm so manche Entbehrung auferlegt, so manche Gunst vor¬
enthalten hatte. Und wenn der neu erworbne Freund auch nicht so weit Ein¬
fluß auf das innerste Leben des von Natur aus verschlossenen Lenau gewinnen
konnte, um ihm ein gut Teil von dem belebenden Odem seiner eignen innern
Harmonie und seinem realen Thätigkeitsstnn, der dem magyarischen Dichter so
sehr fehlte, zu verleihen, so ist es doch zweifellos, daß die Einwirkung der
schwäbischen Freunde und Freundinnen auf Lenau den Zusammenbruch seines
Geisteslebens um Jahre hinausgeschoben hat. Es würde weit über den Rahmen
dieser Arbeit hinausgreifen, wollte ich hier den Beweis für diese Behauptung
im einzelnen führen; das muß einer besondern Studie vorbehalten bleiben.

Schwabs warme Kunstbegeisterung, seine liebevolle Herzensgüte lernte
Lenau sofort kennen und schätzen, als er ihn zum erstenmale an jenem denk¬
würdigen 9. August sah. Ich entnehme, der Zeit vorauseilend, einem Familien¬
briefe Sophiens, der Gattin Schwabs, an ihre Freundin Lucie Meier vom
15. September 1831 folgende Stellen: „Vorgestern haben wir einen Gast von
uns entlassen, dem wir recht mit Angst und Sorge nachblicken; denn er reist
gerade aus nach Wien, der Cholera entgegen; es ist ein ungarischer Edelmann,
Niembsch von Strehlenau (wo du aber etwas von ihm liesest, wie z. B. im
Morgenblatt, nennt er sich Lenau), er kam hierher, um meinen l. Mann


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[0463] Nikolaus Lenau und Gustav Schwab Diese Thatsache ist in den lebensgeschichtlicher Werken Lemnius noch nirgends genügend betont worden. Man wird sich ihrer aber einigermaßen bewußt werden, wenn man die Bedeutung kennt, die Gustav Schwab in der Zeit, wo Lenau ihm näher trat, in dem Stuttgarter Geistesleben genoß, ja nicht nur hier, sondern weit hinaus über die Grenzen der württembergischen Hauptstadt. Sein Haus in der Hohenstraße war der Mittelpunkt eines regen Geisteslebens, dessen Fäden sich von Paris bis Petersburg, von der Ostsee bis zur Adria, von Europa bis uach Amerika erstreckten. In buntem Gemisch seien hier die Namen folgender Personen genannt, die sein gastliches Haus aufgenommen hatte: Ludwig Uhland, Justinus Kerner, Wilhelm Hauff, Gustav Pfizer, Karl Grüneisen, Jean Paul, August Graf von Platen, Emanuel Geibel, Ferdinand Freiligrath, Wilhelm Müller, Ludwig Tieck, K. L. Immermann, Egon Ebert, Anastasius Grün, Grillparzer. Alexander von Sternberg, Rosa Maria Ussing (Schwester Karl Varnhagen von Ersch), Lamartine, Marmier, Graf Montalambert, Edgar Quinet, Sulpiz und Melchior Boisseree, Thor- waldsen, Kreuzer, Graf Thurn, der englische Gesandte Wyem, Graf Winzinge- rodc, Lord William Rüssel (ebenfalls englischer Gesandter), von Mehendorsf (russischer Gesandter). Und ein Mann von dieser geistigen Bedeutung, mit einem so warmen Herzen für junge aufstrebende Talente, ein Charakter von ehrlicher Gesinnung und Gewissenhaftigkeit, ein Mann von so sicherm Gleich¬ gewicht wird der erste Freund, den Lenau in Schwaben findet. Lenau mußte dies in der That als eine besondre Gunst des Schicksals preisen, desselben Schicksals, das ihm so manche Entbehrung auferlegt, so manche Gunst vor¬ enthalten hatte. Und wenn der neu erworbne Freund auch nicht so weit Ein¬ fluß auf das innerste Leben des von Natur aus verschlossenen Lenau gewinnen konnte, um ihm ein gut Teil von dem belebenden Odem seiner eignen innern Harmonie und seinem realen Thätigkeitsstnn, der dem magyarischen Dichter so sehr fehlte, zu verleihen, so ist es doch zweifellos, daß die Einwirkung der schwäbischen Freunde und Freundinnen auf Lenau den Zusammenbruch seines Geisteslebens um Jahre hinausgeschoben hat. Es würde weit über den Rahmen dieser Arbeit hinausgreifen, wollte ich hier den Beweis für diese Behauptung im einzelnen führen; das muß einer besondern Studie vorbehalten bleiben. Schwabs warme Kunstbegeisterung, seine liebevolle Herzensgüte lernte Lenau sofort kennen und schätzen, als er ihn zum erstenmale an jenem denk¬ würdigen 9. August sah. Ich entnehme, der Zeit vorauseilend, einem Familien¬ briefe Sophiens, der Gattin Schwabs, an ihre Freundin Lucie Meier vom 15. September 1831 folgende Stellen: „Vorgestern haben wir einen Gast von uns entlassen, dem wir recht mit Angst und Sorge nachblicken; denn er reist gerade aus nach Wien, der Cholera entgegen; es ist ein ungarischer Edelmann, Niembsch von Strehlenau (wo du aber etwas von ihm liesest, wie z. B. im Morgenblatt, nennt er sich Lenau), er kam hierher, um meinen l. Mann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/463>, abgerufen am 15.01.2025.