Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Nikolaus Lenau und Gustav Schwab er sein Schicksal preise, so wurde er bald bitter enttäuscht. Die schrecklichen Das waren die treibenden Mächte seines Lebens, als Lenau den Wander¬ Nikolaus Lenau und Gustav Schwab er sein Schicksal preise, so wurde er bald bitter enttäuscht. Die schrecklichen Das waren die treibenden Mächte seines Lebens, als Lenau den Wander¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0460" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231630"/> <fw type="header" place="top"> Nikolaus Lenau und Gustav Schwab</fw><lb/> <p xml:id="ID_1519" prev="#ID_1518"> er sein Schicksal preise, so wurde er bald bitter enttäuscht. Die schrecklichen<lb/> Dämonen der Unrast und Zweifelsucht nisteten sich in seine Seele ein und<lb/> verschütteten ihm seine Lebensbahn. Dazu kam ferner der Tod seiner hei߬<lb/> geliebten Mutter am 24. Oktober 1829, die der schrecklichsten der Krankheiten,<lb/> einem Gebärmutterkrebs, unter unsäglichen Leiden zum Opfer gefallen war.<lb/> Groß war die Liebe zu der Lebenden gewesen, groß war der Schmerz um die<lb/> Verlorne. Am Totenbette seiner Mutter mußte er, nach seinem eignen Zeugnis,<lb/> mühsam die Trümmer seiner Religion zusammenraffen. Als drittes Glied in<lb/> dieser Kette der Unrast ist seine Wanderlust zu nennen: das unruhige elterliche<lb/> Vink regte sich in ihm, ein unbezähmbarer Trieb in die Ferne ergriff ihn.<lb/> In dieser Zeit, in deren bittern Erfahrungen und Schicksalsschlägen Lenau um<lb/> Jahre reifte, entwarf er den Plan zu seiner später ausgeführten verunglückten<lb/> Reise nach Amerika. Höchst wahrscheinlich hatte er die erste Anregung zu<lb/> diesem Plane von seinem frühern Hauslehrer Joseph von Kövesdy (geht. 1819)<lb/> empfangen, dem ehemaligen Verlobten Theresens, Lenaus Lieblingsschwester.<lb/> Kövesdy hatte, vom Reisefieber heimgesucht, schon als dreizehnjähriger Knabe<lb/> nach Amerika entfliehen wollen. Seine Flucht fand aber ein jähes Ende: in<lb/> Salzburg nahm ihn die Polizei in ihren fürsorglichen Schutz und brachte ihn<lb/> zurück. Endlich war, als Lenau Wien verließ, auch der Dichter in ihm er¬<lb/> wacht, der Dichter, der seine Lieder in die Welt schicken will. Er suchte schon<lb/> seit einiger Zeit nach einem Verleger für seine Gedichte. Es ging ihm hierbei,<lb/> wie es einst Goethe, Schiller und so manchem andern hervorragenden dich¬<lb/> tenden Geiste am Anfange ihrer poetischen Laufbahn ergangen ist: seine Be¬<lb/> mühungen blieben erfolglos. Vergebens hatte sich sein Freund Karl Johann<lb/> Braun von Braunthal in Berlin nach einem Verleger für die zerstreuten Kinder<lb/> der Lenauschen Muse umgesehen. In Osterreich, das den Segen einer scharf¬<lb/> äugigen Preßzensur genoß, konnte er seine Gedichte unmöglich herausgeben.<lb/> Lenau hoffte nun, seinen Gedichten ein annehmbares Unterkommen bei dem<lb/> weltberühmten Vücherkönig Baron Cotta in Stuttgart verschaffen zu können.</p><lb/> <p xml:id="ID_1520" next="#ID_1521"> Das waren die treibenden Mächte seines Lebens, als Lenau den Wander¬<lb/> stab ergriff und den Boden seines Heimatlandes verließ. Allerdings erwähnt<lb/> er in seinen Briefen an seine Verwandten und Freunde noch einen fünften<lb/> Grund, der für seine Abreise ausschlaggebend gewesen sein soll. Er hatte sich<lb/> nämlich nach mancherlei unsicheren Tappen und Tasten in seinem Studieugange<lb/> der Medizin zugewandt und diese Wissenschaft schon in Wien vier Jahre<lb/> (1827 bis 1830) studiert. Da starb am 26. September 1830 seine Gro߬<lb/> mutter, eine geborne Freiin von Kellersberg. Weil kein rechtskräftiger letzter<lb/> Wille vorhanden war, so fiel das hinterlassene großmütterliche Vermögen<lb/> von 30000 Silbergulden zu gleichen Teilen den drei Enkelkindern zu. Als<lb/> Lenau in den Besitz dieses Vermögens kam, brach er sein Brotstudium jäh<lb/> ab, obgleich er es durch die vorgeschriebne Prüfung zu einem baldigen Ab-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0460]
Nikolaus Lenau und Gustav Schwab
er sein Schicksal preise, so wurde er bald bitter enttäuscht. Die schrecklichen
Dämonen der Unrast und Zweifelsucht nisteten sich in seine Seele ein und
verschütteten ihm seine Lebensbahn. Dazu kam ferner der Tod seiner hei߬
geliebten Mutter am 24. Oktober 1829, die der schrecklichsten der Krankheiten,
einem Gebärmutterkrebs, unter unsäglichen Leiden zum Opfer gefallen war.
Groß war die Liebe zu der Lebenden gewesen, groß war der Schmerz um die
Verlorne. Am Totenbette seiner Mutter mußte er, nach seinem eignen Zeugnis,
mühsam die Trümmer seiner Religion zusammenraffen. Als drittes Glied in
dieser Kette der Unrast ist seine Wanderlust zu nennen: das unruhige elterliche
Vink regte sich in ihm, ein unbezähmbarer Trieb in die Ferne ergriff ihn.
In dieser Zeit, in deren bittern Erfahrungen und Schicksalsschlägen Lenau um
Jahre reifte, entwarf er den Plan zu seiner später ausgeführten verunglückten
Reise nach Amerika. Höchst wahrscheinlich hatte er die erste Anregung zu
diesem Plane von seinem frühern Hauslehrer Joseph von Kövesdy (geht. 1819)
empfangen, dem ehemaligen Verlobten Theresens, Lenaus Lieblingsschwester.
Kövesdy hatte, vom Reisefieber heimgesucht, schon als dreizehnjähriger Knabe
nach Amerika entfliehen wollen. Seine Flucht fand aber ein jähes Ende: in
Salzburg nahm ihn die Polizei in ihren fürsorglichen Schutz und brachte ihn
zurück. Endlich war, als Lenau Wien verließ, auch der Dichter in ihm er¬
wacht, der Dichter, der seine Lieder in die Welt schicken will. Er suchte schon
seit einiger Zeit nach einem Verleger für seine Gedichte. Es ging ihm hierbei,
wie es einst Goethe, Schiller und so manchem andern hervorragenden dich¬
tenden Geiste am Anfange ihrer poetischen Laufbahn ergangen ist: seine Be¬
mühungen blieben erfolglos. Vergebens hatte sich sein Freund Karl Johann
Braun von Braunthal in Berlin nach einem Verleger für die zerstreuten Kinder
der Lenauschen Muse umgesehen. In Osterreich, das den Segen einer scharf¬
äugigen Preßzensur genoß, konnte er seine Gedichte unmöglich herausgeben.
Lenau hoffte nun, seinen Gedichten ein annehmbares Unterkommen bei dem
weltberühmten Vücherkönig Baron Cotta in Stuttgart verschaffen zu können.
Das waren die treibenden Mächte seines Lebens, als Lenau den Wander¬
stab ergriff und den Boden seines Heimatlandes verließ. Allerdings erwähnt
er in seinen Briefen an seine Verwandten und Freunde noch einen fünften
Grund, der für seine Abreise ausschlaggebend gewesen sein soll. Er hatte sich
nämlich nach mancherlei unsicheren Tappen und Tasten in seinem Studieugange
der Medizin zugewandt und diese Wissenschaft schon in Wien vier Jahre
(1827 bis 1830) studiert. Da starb am 26. September 1830 seine Gro߬
mutter, eine geborne Freiin von Kellersberg. Weil kein rechtskräftiger letzter
Wille vorhanden war, so fiel das hinterlassene großmütterliche Vermögen
von 30000 Silbergulden zu gleichen Teilen den drei Enkelkindern zu. Als
Lenau in den Besitz dieses Vermögens kam, brach er sein Brotstudium jäh
ab, obgleich er es durch die vorgeschriebne Prüfung zu einem baldigen Ab-
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