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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Wirkungen der Polizeiaufsicht

richtskosten von ihm einzuziehn. Zum Glück genoß dieser Mann das unbe¬
dingte Vertrauen seines Prinzipals, der um den einen dunkeln Punkt seiner
V"rgangenheit wußte. Solche Prinzipale aber wachsen nicht wild.

Diese taktlosen Ungeschicklichkeiten untergeordneter Subalterner Organe
wirken schädlicher, als man gemeinhin annimmt, und lassen das Vorurteil gegen
die Polizeiaufsicht oft so begründet erscheinen, obgleich die Polizei ohne diese
Befugnis mit diesen verbrecherischen Elementen gar nicht fertig werden kann.
Es ist eine Sache des Pflichtgefühls und des Tales, mit dem Schamgefühl
eines Arbeiters ebenso behutsam und rücksichtsvoll umzugehn, wie mit dem
eines Kaufmanns oder Juristen. Wie viel das Gefühl für die Individualität
eines Menschen gut macheu kann, dafür diene folgende Erfahrung. Ein be¬
rüchtigter Wilddieb, dessen Heimat im Kreise Wetzlar liegt, und der wegen
Wilddieberei in seiner Heimat schon oft bestraft ist, wird nach einer recht
langen, empfindlichen Strafe unter Polizeiaufsicht gestellt. Bei seiner Ent¬
lassung wird ihm der Rat gegeben, seine Heimat, wo er als Maurer zur
Winterszeit keine Arbeit findet, nicht aufzusuchen, da er sonst wieder seiner
Leidenschaft erliegen würde. Er folgt dem Rate und findet in Frankfurt
dauernde, auch den Winter über währende Arbeitsgelegenheit. Kaum ist er
dort warm geworden, so wird ihm eröffnet, daß er binnen achtundvierzig
Stunden die Stadt zu verlassen habe. Da sich dieser Mann mit der Feder
nicht helfen kann, so verwenden sich andre Leute für ihn, die der Regierung
in Wiesbaden vorstellen, daß er, abgesehen von seiner Leidenschaft als Wilderer,
ein relativ harmloser Mensch ist, der in der Stadt eher gut thut als auf dem
Lande. Die Ausweisung wird demgemäß suspendiert, ihm aber bekannt ge¬
geben, daß er sie augenblicklich zu erwarten habe, wenn er lustig falle oder
verdächtigen Schein auf sich lade. Darüber ist schon längere Zeit hingegangen,
der Mann geht unbelüstigt vom Morgen bis zum Abend seiner Arbeit nach.
Wäre aber dieser Mann infolge der Stellung unter Polizeiaufsicht nach
Schema ? wie alle andern ausgewiesen worden, dann wäre er notgedrungen
durch sein unstetes Leben sehr bald wieder mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt
gekommen, denn der hatte keine Routine.

In den Ruf: "Weg mit der Polizeiaufsicht" kann man deshalb nur
dann miteinstimmen, wenn man nicht über die Verpflichtung nachdenkt, was
an ihre Stelle zu setzen ist. Ein solcher Ruf macht populär, trägt einem in
unserm heutigen Reichstag anch wohl einmal die Quittung sozialdemokratischer
Agitatoren ein, was für ein humaner, moderner Beamter man sei, aber gelöst
werden die ernsten Schwierigkeiten des täglichen Lebens damit nicht. Daß
unsre jetzige Polizeiaufsicht nur eine halbe Maßregel ist, liegt klar auf der
Hand. Aber zu entbehren ist sie nicht, solange sich die Gesellschaft gemein¬
gefährlicher Diebe, Einbrecher, Zuhälter, Lustmörder und dergleichen erwehren
muß. Daß die schemamäßige Verweisung und Abschiebung über die erste beste


Wirkungen der Polizeiaufsicht

richtskosten von ihm einzuziehn. Zum Glück genoß dieser Mann das unbe¬
dingte Vertrauen seines Prinzipals, der um den einen dunkeln Punkt seiner
V»rgangenheit wußte. Solche Prinzipale aber wachsen nicht wild.

Diese taktlosen Ungeschicklichkeiten untergeordneter Subalterner Organe
wirken schädlicher, als man gemeinhin annimmt, und lassen das Vorurteil gegen
die Polizeiaufsicht oft so begründet erscheinen, obgleich die Polizei ohne diese
Befugnis mit diesen verbrecherischen Elementen gar nicht fertig werden kann.
Es ist eine Sache des Pflichtgefühls und des Tales, mit dem Schamgefühl
eines Arbeiters ebenso behutsam und rücksichtsvoll umzugehn, wie mit dem
eines Kaufmanns oder Juristen. Wie viel das Gefühl für die Individualität
eines Menschen gut macheu kann, dafür diene folgende Erfahrung. Ein be¬
rüchtigter Wilddieb, dessen Heimat im Kreise Wetzlar liegt, und der wegen
Wilddieberei in seiner Heimat schon oft bestraft ist, wird nach einer recht
langen, empfindlichen Strafe unter Polizeiaufsicht gestellt. Bei seiner Ent¬
lassung wird ihm der Rat gegeben, seine Heimat, wo er als Maurer zur
Winterszeit keine Arbeit findet, nicht aufzusuchen, da er sonst wieder seiner
Leidenschaft erliegen würde. Er folgt dem Rate und findet in Frankfurt
dauernde, auch den Winter über währende Arbeitsgelegenheit. Kaum ist er
dort warm geworden, so wird ihm eröffnet, daß er binnen achtundvierzig
Stunden die Stadt zu verlassen habe. Da sich dieser Mann mit der Feder
nicht helfen kann, so verwenden sich andre Leute für ihn, die der Regierung
in Wiesbaden vorstellen, daß er, abgesehen von seiner Leidenschaft als Wilderer,
ein relativ harmloser Mensch ist, der in der Stadt eher gut thut als auf dem
Lande. Die Ausweisung wird demgemäß suspendiert, ihm aber bekannt ge¬
geben, daß er sie augenblicklich zu erwarten habe, wenn er lustig falle oder
verdächtigen Schein auf sich lade. Darüber ist schon längere Zeit hingegangen,
der Mann geht unbelüstigt vom Morgen bis zum Abend seiner Arbeit nach.
Wäre aber dieser Mann infolge der Stellung unter Polizeiaufsicht nach
Schema ? wie alle andern ausgewiesen worden, dann wäre er notgedrungen
durch sein unstetes Leben sehr bald wieder mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt
gekommen, denn der hatte keine Routine.

In den Ruf: „Weg mit der Polizeiaufsicht" kann man deshalb nur
dann miteinstimmen, wenn man nicht über die Verpflichtung nachdenkt, was
an ihre Stelle zu setzen ist. Ein solcher Ruf macht populär, trägt einem in
unserm heutigen Reichstag anch wohl einmal die Quittung sozialdemokratischer
Agitatoren ein, was für ein humaner, moderner Beamter man sei, aber gelöst
werden die ernsten Schwierigkeiten des täglichen Lebens damit nicht. Daß
unsre jetzige Polizeiaufsicht nur eine halbe Maßregel ist, liegt klar auf der
Hand. Aber zu entbehren ist sie nicht, solange sich die Gesellschaft gemein¬
gefährlicher Diebe, Einbrecher, Zuhälter, Lustmörder und dergleichen erwehren
muß. Daß die schemamäßige Verweisung und Abschiebung über die erste beste


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[0458] Wirkungen der Polizeiaufsicht richtskosten von ihm einzuziehn. Zum Glück genoß dieser Mann das unbe¬ dingte Vertrauen seines Prinzipals, der um den einen dunkeln Punkt seiner V»rgangenheit wußte. Solche Prinzipale aber wachsen nicht wild. Diese taktlosen Ungeschicklichkeiten untergeordneter Subalterner Organe wirken schädlicher, als man gemeinhin annimmt, und lassen das Vorurteil gegen die Polizeiaufsicht oft so begründet erscheinen, obgleich die Polizei ohne diese Befugnis mit diesen verbrecherischen Elementen gar nicht fertig werden kann. Es ist eine Sache des Pflichtgefühls und des Tales, mit dem Schamgefühl eines Arbeiters ebenso behutsam und rücksichtsvoll umzugehn, wie mit dem eines Kaufmanns oder Juristen. Wie viel das Gefühl für die Individualität eines Menschen gut macheu kann, dafür diene folgende Erfahrung. Ein be¬ rüchtigter Wilddieb, dessen Heimat im Kreise Wetzlar liegt, und der wegen Wilddieberei in seiner Heimat schon oft bestraft ist, wird nach einer recht langen, empfindlichen Strafe unter Polizeiaufsicht gestellt. Bei seiner Ent¬ lassung wird ihm der Rat gegeben, seine Heimat, wo er als Maurer zur Winterszeit keine Arbeit findet, nicht aufzusuchen, da er sonst wieder seiner Leidenschaft erliegen würde. Er folgt dem Rate und findet in Frankfurt dauernde, auch den Winter über währende Arbeitsgelegenheit. Kaum ist er dort warm geworden, so wird ihm eröffnet, daß er binnen achtundvierzig Stunden die Stadt zu verlassen habe. Da sich dieser Mann mit der Feder nicht helfen kann, so verwenden sich andre Leute für ihn, die der Regierung in Wiesbaden vorstellen, daß er, abgesehen von seiner Leidenschaft als Wilderer, ein relativ harmloser Mensch ist, der in der Stadt eher gut thut als auf dem Lande. Die Ausweisung wird demgemäß suspendiert, ihm aber bekannt ge¬ geben, daß er sie augenblicklich zu erwarten habe, wenn er lustig falle oder verdächtigen Schein auf sich lade. Darüber ist schon längere Zeit hingegangen, der Mann geht unbelüstigt vom Morgen bis zum Abend seiner Arbeit nach. Wäre aber dieser Mann infolge der Stellung unter Polizeiaufsicht nach Schema ? wie alle andern ausgewiesen worden, dann wäre er notgedrungen durch sein unstetes Leben sehr bald wieder mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt gekommen, denn der hatte keine Routine. In den Ruf: „Weg mit der Polizeiaufsicht" kann man deshalb nur dann miteinstimmen, wenn man nicht über die Verpflichtung nachdenkt, was an ihre Stelle zu setzen ist. Ein solcher Ruf macht populär, trägt einem in unserm heutigen Reichstag anch wohl einmal die Quittung sozialdemokratischer Agitatoren ein, was für ein humaner, moderner Beamter man sei, aber gelöst werden die ernsten Schwierigkeiten des täglichen Lebens damit nicht. Daß unsre jetzige Polizeiaufsicht nur eine halbe Maßregel ist, liegt klar auf der Hand. Aber zu entbehren ist sie nicht, solange sich die Gesellschaft gemein¬ gefährlicher Diebe, Einbrecher, Zuhälter, Lustmörder und dergleichen erwehren muß. Daß die schemamäßige Verweisung und Abschiebung über die erste beste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/458>, abgerufen am 15.01.2025.