Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Wirkungen der Polizeiaufsicht Vaterlande. Solange aber ein Mensch noch im Vaterlande bleiben darf, gehört Denn zwischen Zuhälter und Zuhälter ist ein großer Unterschied. Man Wirkungen der Polizeiaufsicht Vaterlande. Solange aber ein Mensch noch im Vaterlande bleiben darf, gehört Denn zwischen Zuhälter und Zuhälter ist ein großer Unterschied. Man <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0456" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231626"/> <fw type="header" place="top"> Wirkungen der Polizeiaufsicht</fw><lb/> <p xml:id="ID_1510" prev="#ID_1509"> Vaterlande. Solange aber ein Mensch noch im Vaterlande bleiben darf, gehört<lb/> ihm auch das Recht auf die Heimat. Der jetzige Zustand hat zur Folge, daß<lb/> die Kuppler aller deutschen Großstädte ebenso wie ihre Dirnen überall zu<lb/> Hause sind. Auch mit der Ausweisung wissen routinierte Zuhälter fertig zu<lb/> werden. Ist ihnen der Boden an einem Orte zu heiß geworden, dann schlagen<lb/> sie ihre Zelte an einem andern Orte auf. stehn die großstädtischen Polizei-<lb/> Verwaltungen unter einander in geschäftlichem Kartell, diese „Brüder" sind<lb/> durch ein noch engeres Kartell in allen großstädtischen Verbrechervierteln mit<lb/> noch viel engern Banden verknüpft, und irgendwo findet sich doch noch ein<lb/> behagliches Plätzchen. Nur der ungeschickte Zuhälter wird wirtschaftlich durch<lb/> die Ausweisung ruiniert.</p><lb/> <p xml:id="ID_1511" next="#ID_1512"> Denn zwischen Zuhälter und Zuhälter ist ein großer Unterschied. Man<lb/> muß scharf unterscheiden zwischen dem gewerbmäßigen Kuppler und dem ge¬<lb/> legentlichen Zuhälter. Der gelegentliche Zuhälter arbeitet gewöhnlich, spielt<lb/> aber bei Gelegenheit, da er sittlich indifferent geworden ist, den Aufpasser und<lb/> Beschützer der Dirnen gegen die Polizei. Unter dem sonst so strebsamen<lb/> Stande der Kellner trifft man nicht allzuselten solche Existenzen, die sich ein<lb/> gelegentliches Kupplergcschäft gut bezahlen lassen, ebenso unter den Droschkeu-<lb/> kntschern, noch mehr unter niedern Arbeitsklassen. Von diesen unterscheiden<lb/> sich die gewerbmäßigen Kuppler. Die Aristokraten werden infolge ihrer Ge¬<lb/> wandtheit und Verschlagenheit sehr selten von der Polizei gefaßt, dienen der<lb/> Polizei nicht gerade selten als Denunzianten und Spione gegen ihre pro¬<lb/> letarischen Brüder; die Proletarier dagegen leben teilweise mit der Polizei auf<lb/> sehr gespanntem Fuße, teilweise aber auch befleißigen sie sich einem äußerlichen<lb/> Anstande, bei dem sie ihrem Gewerbe in größerer Behaglichkeit nachgehn können.<lb/> Jahrelang bleiben sie oft vor allen Belästigungen der Polizei verschont, weil<lb/> ihnen die Polizei ohne irgend einen Rechtstitel nichts anhaben kann. Auch<lb/> Stammesunterschiede kann man an diesen Existenzen noch verfolgen. In Frank¬<lb/> furt rekrutiert sich der weitaus größte und wohl gefährlichste, aber durchaus<lb/> nicht am meisten bestrafte Teil des Zuhältertums aus Bayern. Diese sind<lb/> sehr exklusiv und haben auch so eine Art Stammesstolz. Diese gewerbmäßigen<lb/> Zuhälter treffen die gerichtlichen Strafen und polizeilichen Maßregeln lange<lb/> nicht so schwer als die gelegentlichen. Manche der letzten Kategorie, aller¬<lb/> dings nur seltne Ausnahmen, arbeiten sich nach wiedererlangter Freiheit empor.<lb/> Verfallen diese z. V. einmal wegen Kuppelei bestraften Individuen der<lb/> Polizeiaufsicht, so werden sie allerdings dnrch ihre Wirkungen dem gewerb¬<lb/> mäßigen Verbrechertum geradezu in die Arme getrieben. Sehr instruktiv ist in<lb/> dieser Beziehung ein Brief, den die Mutter eiues solchen jungen Burschen ge¬<lb/> schrieben hat, als dieser durch einen Mißgriff der Polizei aus seiner Arbeit<lb/> herausgerissen worden zu sein scheint. Der Brief lautet: „Im Namen der<lb/> Frau K. bitte ich Sie gütigst Auskunft zu geben über ihren Sohn Hermami</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0456]
Wirkungen der Polizeiaufsicht
Vaterlande. Solange aber ein Mensch noch im Vaterlande bleiben darf, gehört
ihm auch das Recht auf die Heimat. Der jetzige Zustand hat zur Folge, daß
die Kuppler aller deutschen Großstädte ebenso wie ihre Dirnen überall zu
Hause sind. Auch mit der Ausweisung wissen routinierte Zuhälter fertig zu
werden. Ist ihnen der Boden an einem Orte zu heiß geworden, dann schlagen
sie ihre Zelte an einem andern Orte auf. stehn die großstädtischen Polizei-
Verwaltungen unter einander in geschäftlichem Kartell, diese „Brüder" sind
durch ein noch engeres Kartell in allen großstädtischen Verbrechervierteln mit
noch viel engern Banden verknüpft, und irgendwo findet sich doch noch ein
behagliches Plätzchen. Nur der ungeschickte Zuhälter wird wirtschaftlich durch
die Ausweisung ruiniert.
Denn zwischen Zuhälter und Zuhälter ist ein großer Unterschied. Man
muß scharf unterscheiden zwischen dem gewerbmäßigen Kuppler und dem ge¬
legentlichen Zuhälter. Der gelegentliche Zuhälter arbeitet gewöhnlich, spielt
aber bei Gelegenheit, da er sittlich indifferent geworden ist, den Aufpasser und
Beschützer der Dirnen gegen die Polizei. Unter dem sonst so strebsamen
Stande der Kellner trifft man nicht allzuselten solche Existenzen, die sich ein
gelegentliches Kupplergcschäft gut bezahlen lassen, ebenso unter den Droschkeu-
kntschern, noch mehr unter niedern Arbeitsklassen. Von diesen unterscheiden
sich die gewerbmäßigen Kuppler. Die Aristokraten werden infolge ihrer Ge¬
wandtheit und Verschlagenheit sehr selten von der Polizei gefaßt, dienen der
Polizei nicht gerade selten als Denunzianten und Spione gegen ihre pro¬
letarischen Brüder; die Proletarier dagegen leben teilweise mit der Polizei auf
sehr gespanntem Fuße, teilweise aber auch befleißigen sie sich einem äußerlichen
Anstande, bei dem sie ihrem Gewerbe in größerer Behaglichkeit nachgehn können.
Jahrelang bleiben sie oft vor allen Belästigungen der Polizei verschont, weil
ihnen die Polizei ohne irgend einen Rechtstitel nichts anhaben kann. Auch
Stammesunterschiede kann man an diesen Existenzen noch verfolgen. In Frank¬
furt rekrutiert sich der weitaus größte und wohl gefährlichste, aber durchaus
nicht am meisten bestrafte Teil des Zuhältertums aus Bayern. Diese sind
sehr exklusiv und haben auch so eine Art Stammesstolz. Diese gewerbmäßigen
Zuhälter treffen die gerichtlichen Strafen und polizeilichen Maßregeln lange
nicht so schwer als die gelegentlichen. Manche der letzten Kategorie, aller¬
dings nur seltne Ausnahmen, arbeiten sich nach wiedererlangter Freiheit empor.
Verfallen diese z. V. einmal wegen Kuppelei bestraften Individuen der
Polizeiaufsicht, so werden sie allerdings dnrch ihre Wirkungen dem gewerb¬
mäßigen Verbrechertum geradezu in die Arme getrieben. Sehr instruktiv ist in
dieser Beziehung ein Brief, den die Mutter eiues solchen jungen Burschen ge¬
schrieben hat, als dieser durch einen Mißgriff der Polizei aus seiner Arbeit
herausgerissen worden zu sein scheint. Der Brief lautet: „Im Namen der
Frau K. bitte ich Sie gütigst Auskunft zu geben über ihren Sohn Hermami
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |