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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Wirkungen der Polizeiaufsicht

Staatsangehörigen einem fremden Staate zuweisen kann, so wenig man es sich
selbst würde gefallen lassen, daß ein fremder Staat sein Gesindel in unsre
Grenzen abschieben würde, ebenso wenig ist es berechtigt, von Staats wegen
großstädtischen Janhagel auf solche bequeme Weise aus einer Großstadt in die
andre, aus einem Vundesstaat in den andern, aus der Stadt auf das Land
abzuschieben und ihn nun dort seinem Schicksal solange zu überlassen, bis sich
dieser oireulus vitiosus wiederholt und der gegenseitige Abschiebungsprozeß von
neuem beginnt. So pflegt man lästig gewordne Ausländer und Inländer
von Frankfurt aus durch Ziviltrausporteure nach Vilbel oder Offenbach in
das Gebiet des Großherzogtnms Hessen oder nach Aschaffenburg in das König¬
reich Bayern geleiten zu lassen. Bayern pflegt derartige Gäste freundnachbar¬
lich auf der Elm-Gemündner Bahn bis Jossa oder bis nach Hanau abzu¬
schieben. Dort nun mögen sich diese Russen, Schweden, Böhmen, Galizier usw.,
aber auch die bayrischen, hessischen, preußischen Zuhälter ein neues Wirkungs¬
feld ihrer Thätigkeit aussuchen.

Daß man lästige Ausländer ohne viel Federlesens abschiebt, ist billig, aber
dann schiebe man sie auch wirklich bis über die Grenze des Reichs und liefere
sie an die Polizei ihres Hcimatstaats ab, damit diese Leute auch von dem
sittlichen Ernste dieser Maßregel etwas zu spüren bekommen und nicht über
die schemamüßige Planlosigkeit des jetzigen Verfahrens lachen können. Staats¬
angehörige aber nur heimatlos zu machen, hat solange keinen Sinn, als man
an die Stelle der Heimat, wo sie unbeaufsichtigt bleiben müssen, nicht etwas
zu setzen hat, was sie den Ernst und die Wucht der Aufsicht spüren läßt,
d. h. solche inländischen verpesteten Elemente macht man unschädlich, indem
man sie zu Zwangsarbeiten unter staatlicher Aufsicht deportiert. Der Gedanke,
eine solche Person wie die oben genannte Frau als ein gemeinschädliches
Wesen aus der Stadt auszuweisen, ist an und für sich richtig. Aber was zum
Schutze der bürgerlichen Moral einer Kommune recht ist, ist dem kleinsten un¬
scheinbarsten Dorfe erst recht billig. Ein sittlich neutrales Gebiet muß deshalb
geschaffen werden, wohin solche der bürgerlichen Gemeinschaft unwürdigen
Elemente abgeschoben werden können.

Zu demselben Resultat führen uns folgende Fälle. Die Strafgefnngnen
August sah., Hermann G., Konrad R. sind geborne Frankfurter, der Straf¬
gefangne Ferdinand K. stammt aus N. und der Strafgefaugne Wilh. A. ans N.,
zwei Vororten von Frankfurt a. M. Die Gefangnen sind mit sehr empfindlichen
Strafen wegen Kuppelei belegt -- der Verbrecherjargon nannte die Strafkammer,
die vor einigen Jahren so kräftig mit den Zuhältern aufräumte, die Toten¬
kammer. Nach verbüßter Strafe wurden sie aus dem Bannkreise der Stadt
verwiesen. Die Staatsangehörigkeit kann diesen Leuten nicht abgesprochen
werden, aber die Gemeindeangehörigkeit und das Recht auf ihre Heimat wird
ihnen durch diese Ausweisung genommen. Was das aber bei einem Frank-


Wirkungen der Polizeiaufsicht

Staatsangehörigen einem fremden Staate zuweisen kann, so wenig man es sich
selbst würde gefallen lassen, daß ein fremder Staat sein Gesindel in unsre
Grenzen abschieben würde, ebenso wenig ist es berechtigt, von Staats wegen
großstädtischen Janhagel auf solche bequeme Weise aus einer Großstadt in die
andre, aus einem Vundesstaat in den andern, aus der Stadt auf das Land
abzuschieben und ihn nun dort seinem Schicksal solange zu überlassen, bis sich
dieser oireulus vitiosus wiederholt und der gegenseitige Abschiebungsprozeß von
neuem beginnt. So pflegt man lästig gewordne Ausländer und Inländer
von Frankfurt aus durch Ziviltrausporteure nach Vilbel oder Offenbach in
das Gebiet des Großherzogtnms Hessen oder nach Aschaffenburg in das König¬
reich Bayern geleiten zu lassen. Bayern pflegt derartige Gäste freundnachbar¬
lich auf der Elm-Gemündner Bahn bis Jossa oder bis nach Hanau abzu¬
schieben. Dort nun mögen sich diese Russen, Schweden, Böhmen, Galizier usw.,
aber auch die bayrischen, hessischen, preußischen Zuhälter ein neues Wirkungs¬
feld ihrer Thätigkeit aussuchen.

Daß man lästige Ausländer ohne viel Federlesens abschiebt, ist billig, aber
dann schiebe man sie auch wirklich bis über die Grenze des Reichs und liefere
sie an die Polizei ihres Hcimatstaats ab, damit diese Leute auch von dem
sittlichen Ernste dieser Maßregel etwas zu spüren bekommen und nicht über
die schemamüßige Planlosigkeit des jetzigen Verfahrens lachen können. Staats¬
angehörige aber nur heimatlos zu machen, hat solange keinen Sinn, als man
an die Stelle der Heimat, wo sie unbeaufsichtigt bleiben müssen, nicht etwas
zu setzen hat, was sie den Ernst und die Wucht der Aufsicht spüren läßt,
d. h. solche inländischen verpesteten Elemente macht man unschädlich, indem
man sie zu Zwangsarbeiten unter staatlicher Aufsicht deportiert. Der Gedanke,
eine solche Person wie die oben genannte Frau als ein gemeinschädliches
Wesen aus der Stadt auszuweisen, ist an und für sich richtig. Aber was zum
Schutze der bürgerlichen Moral einer Kommune recht ist, ist dem kleinsten un¬
scheinbarsten Dorfe erst recht billig. Ein sittlich neutrales Gebiet muß deshalb
geschaffen werden, wohin solche der bürgerlichen Gemeinschaft unwürdigen
Elemente abgeschoben werden können.

Zu demselben Resultat führen uns folgende Fälle. Die Strafgefnngnen
August sah., Hermann G., Konrad R. sind geborne Frankfurter, der Straf¬
gefangne Ferdinand K. stammt aus N. und der Strafgefaugne Wilh. A. ans N.,
zwei Vororten von Frankfurt a. M. Die Gefangnen sind mit sehr empfindlichen
Strafen wegen Kuppelei belegt — der Verbrecherjargon nannte die Strafkammer,
die vor einigen Jahren so kräftig mit den Zuhältern aufräumte, die Toten¬
kammer. Nach verbüßter Strafe wurden sie aus dem Bannkreise der Stadt
verwiesen. Die Staatsangehörigkeit kann diesen Leuten nicht abgesprochen
werden, aber die Gemeindeangehörigkeit und das Recht auf ihre Heimat wird
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[0454] Wirkungen der Polizeiaufsicht Staatsangehörigen einem fremden Staate zuweisen kann, so wenig man es sich selbst würde gefallen lassen, daß ein fremder Staat sein Gesindel in unsre Grenzen abschieben würde, ebenso wenig ist es berechtigt, von Staats wegen großstädtischen Janhagel auf solche bequeme Weise aus einer Großstadt in die andre, aus einem Vundesstaat in den andern, aus der Stadt auf das Land abzuschieben und ihn nun dort seinem Schicksal solange zu überlassen, bis sich dieser oireulus vitiosus wiederholt und der gegenseitige Abschiebungsprozeß von neuem beginnt. So pflegt man lästig gewordne Ausländer und Inländer von Frankfurt aus durch Ziviltrausporteure nach Vilbel oder Offenbach in das Gebiet des Großherzogtnms Hessen oder nach Aschaffenburg in das König¬ reich Bayern geleiten zu lassen. Bayern pflegt derartige Gäste freundnachbar¬ lich auf der Elm-Gemündner Bahn bis Jossa oder bis nach Hanau abzu¬ schieben. Dort nun mögen sich diese Russen, Schweden, Böhmen, Galizier usw., aber auch die bayrischen, hessischen, preußischen Zuhälter ein neues Wirkungs¬ feld ihrer Thätigkeit aussuchen. Daß man lästige Ausländer ohne viel Federlesens abschiebt, ist billig, aber dann schiebe man sie auch wirklich bis über die Grenze des Reichs und liefere sie an die Polizei ihres Hcimatstaats ab, damit diese Leute auch von dem sittlichen Ernste dieser Maßregel etwas zu spüren bekommen und nicht über die schemamüßige Planlosigkeit des jetzigen Verfahrens lachen können. Staats¬ angehörige aber nur heimatlos zu machen, hat solange keinen Sinn, als man an die Stelle der Heimat, wo sie unbeaufsichtigt bleiben müssen, nicht etwas zu setzen hat, was sie den Ernst und die Wucht der Aufsicht spüren läßt, d. h. solche inländischen verpesteten Elemente macht man unschädlich, indem man sie zu Zwangsarbeiten unter staatlicher Aufsicht deportiert. Der Gedanke, eine solche Person wie die oben genannte Frau als ein gemeinschädliches Wesen aus der Stadt auszuweisen, ist an und für sich richtig. Aber was zum Schutze der bürgerlichen Moral einer Kommune recht ist, ist dem kleinsten un¬ scheinbarsten Dorfe erst recht billig. Ein sittlich neutrales Gebiet muß deshalb geschaffen werden, wohin solche der bürgerlichen Gemeinschaft unwürdigen Elemente abgeschoben werden können. Zu demselben Resultat führen uns folgende Fälle. Die Strafgefnngnen August sah., Hermann G., Konrad R. sind geborne Frankfurter, der Straf¬ gefangne Ferdinand K. stammt aus N. und der Strafgefaugne Wilh. A. ans N., zwei Vororten von Frankfurt a. M. Die Gefangnen sind mit sehr empfindlichen Strafen wegen Kuppelei belegt — der Verbrecherjargon nannte die Strafkammer, die vor einigen Jahren so kräftig mit den Zuhältern aufräumte, die Toten¬ kammer. Nach verbüßter Strafe wurden sie aus dem Bannkreise der Stadt verwiesen. Die Staatsangehörigkeit kann diesen Leuten nicht abgesprochen werden, aber die Gemeindeangehörigkeit und das Recht auf ihre Heimat wird ihnen durch diese Ausweisung genommen. Was das aber bei einem Frank-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/454>, abgerufen am 15.01.2025.