Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Wirkungen der Polizeiaufsicht scholtnes Mädchen, das von ihrem Treiben keine Ahnung gehabt haben will, Muß sich der Gatte dieser Frau gefallen lassen -- vor dem Gesetze hat Wirkungen der Polizeiaufsicht scholtnes Mädchen, das von ihrem Treiben keine Ahnung gehabt haben will, Muß sich der Gatte dieser Frau gefallen lassen — vor dem Gesetze hat <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231623"/> <fw type="header" place="top"> Wirkungen der Polizeiaufsicht</fw><lb/> <p xml:id="ID_1503" prev="#ID_1502"> scholtnes Mädchen, das von ihrem Treiben keine Ahnung gehabt haben will,<lb/> durch Sekt bezecht gemacht und dann verkuppelt hatte. Außerdem fügt das<lb/> Urteil hinzu: „Die hochgradige Ehrlosigkeit der Gesinnung, welche sich im<lb/> Handeln der Angeklagten ausspricht, ließ die Aberkennung der bürgerlichen<lb/> Ehrenrechte auf fünf Jahre angezeigt erscheinen, ihre Gemeingefährlichkeit die<lb/> Zulässigkeit von Polizeiaufsicht." Diese Person ist im Jahre 1889 wegen<lb/> Kuppelei mit einer Woche Gefängnis vorbestraft worden. Als sie am 3. De¬<lb/> zember 1898 ihre neunmonatige Strafe verbüßt hat, wird sie aus der Stadt<lb/> ausgewiesen, obgleich sie als verheiratete Frau schon über zehn Jahre in<lb/> Frankfurt wohnt, und ihr Mann schon seit Jahren in Frankfurt arbeitet.<lb/> Einem nicht formal sondern praktisch urteilenden Laien ist klar, daß der Mann<lb/> von dem verbrecherischen Treiben seiner Fran, die herrlich und in Freuden<lb/> von Sekt usw. lebte, gewußt haben muß und höchst wahrscheinlich nicht bloß<lb/> von deu Brocken gelebt hat, die von seiner Gattin Tische fielen, aber das<lb/> Urteil schweigt sich darüber aus, da formell jedenfalls dem Mann nichts zu<lb/> beweisen war. Diese Fran sucht nun in der nächsten Umgebung ein Dorf ans,<lb/> das schon außerhalb des Landkreises, aber doch noch nahe genug bei Frank¬<lb/> furt liegt. Ob sie dort als Schneiderin so rasch Geld verdient, um leben zu<lb/> können, ist fraglich, ob sie dort gewerbsmäßig Unzucht treibt, entzieht sich der<lb/> Beobachtung, jedenfalls aber erhält sie von ihrem Manne keine Subsisteuz-<lb/> mittel, denn dieser droht ihr, wenn sie nicht zu ihm zurückkehren und den<lb/> Haushalt führen dürfe, werde er einen Scheidungsprozeß gegen sie einleiten,<lb/> denn ihm könne nicht zugemutet werden, von Frankfurt fortzuziehn, wo er seit<lb/> Jahren in fester Arbeit stehe. In ihrer Not kehrt die Fran zur Stadt zurück<lb/> und wird am 24. Januar dieses Jahres wegen verbotner Rückkehr zu einund¬<lb/> zwanzig Tagen Haft verurteilt. Am 14. Februar wird sie wieder aus der<lb/> Strafanstalt entlasten. Wo soll sie hin? Die Polizei transportiert sie wieder<lb/> über die Grenze des Landkreises. In ihrer Heimat hat sie keine Angehörigen<lb/> und keinen Unterstützungswohnsitz mehr. Bleibt sie länger als zwei Jahre<lb/> aus der Stadt verwiesen, so verliert sie das Recht des Unterstützungswvhnsitzes<lb/> auch hier.</p><lb/> <p xml:id="ID_1504" next="#ID_1505"> Muß sich der Gatte dieser Frau gefallen lassen — vor dem Gesetze hat<lb/> er doch von dem Treiben seiner Frau keine Ahnung gehabt —, daß seine Frau<lb/> von Staats wegen von seiner Seite gerissen und seine Ehe dadurch faktisch<lb/> gelöst wird? Zum Glück find ja im vorliegenden Falle dieser Ehe keine Kinder<lb/> entsprossen, aber wenn solche vorhanden wären, wie dann? Wäre es klug,<lb/> eine Mutter von ihren Kindern zu reißen? Von all diesen Konsequenzen aber<lb/> ganz abgesehen, liegt es im Staatsinteresse, darf der Staat im Interesse der<lb/> bürgerlichen Moral überhaupt daran denken, Personen, die ihm im Treiben<lb/> einer Großstadt lästig fallen, aus dem städtischen Gebiete auszuweisen und<lb/> ohne besondre Aufsicht dem Lande aufzubürden? So wenig man einen lästigen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0453]
Wirkungen der Polizeiaufsicht
scholtnes Mädchen, das von ihrem Treiben keine Ahnung gehabt haben will,
durch Sekt bezecht gemacht und dann verkuppelt hatte. Außerdem fügt das
Urteil hinzu: „Die hochgradige Ehrlosigkeit der Gesinnung, welche sich im
Handeln der Angeklagten ausspricht, ließ die Aberkennung der bürgerlichen
Ehrenrechte auf fünf Jahre angezeigt erscheinen, ihre Gemeingefährlichkeit die
Zulässigkeit von Polizeiaufsicht." Diese Person ist im Jahre 1889 wegen
Kuppelei mit einer Woche Gefängnis vorbestraft worden. Als sie am 3. De¬
zember 1898 ihre neunmonatige Strafe verbüßt hat, wird sie aus der Stadt
ausgewiesen, obgleich sie als verheiratete Frau schon über zehn Jahre in
Frankfurt wohnt, und ihr Mann schon seit Jahren in Frankfurt arbeitet.
Einem nicht formal sondern praktisch urteilenden Laien ist klar, daß der Mann
von dem verbrecherischen Treiben seiner Fran, die herrlich und in Freuden
von Sekt usw. lebte, gewußt haben muß und höchst wahrscheinlich nicht bloß
von deu Brocken gelebt hat, die von seiner Gattin Tische fielen, aber das
Urteil schweigt sich darüber aus, da formell jedenfalls dem Mann nichts zu
beweisen war. Diese Fran sucht nun in der nächsten Umgebung ein Dorf ans,
das schon außerhalb des Landkreises, aber doch noch nahe genug bei Frank¬
furt liegt. Ob sie dort als Schneiderin so rasch Geld verdient, um leben zu
können, ist fraglich, ob sie dort gewerbsmäßig Unzucht treibt, entzieht sich der
Beobachtung, jedenfalls aber erhält sie von ihrem Manne keine Subsisteuz-
mittel, denn dieser droht ihr, wenn sie nicht zu ihm zurückkehren und den
Haushalt führen dürfe, werde er einen Scheidungsprozeß gegen sie einleiten,
denn ihm könne nicht zugemutet werden, von Frankfurt fortzuziehn, wo er seit
Jahren in fester Arbeit stehe. In ihrer Not kehrt die Fran zur Stadt zurück
und wird am 24. Januar dieses Jahres wegen verbotner Rückkehr zu einund¬
zwanzig Tagen Haft verurteilt. Am 14. Februar wird sie wieder aus der
Strafanstalt entlasten. Wo soll sie hin? Die Polizei transportiert sie wieder
über die Grenze des Landkreises. In ihrer Heimat hat sie keine Angehörigen
und keinen Unterstützungswohnsitz mehr. Bleibt sie länger als zwei Jahre
aus der Stadt verwiesen, so verliert sie das Recht des Unterstützungswvhnsitzes
auch hier.
Muß sich der Gatte dieser Frau gefallen lassen — vor dem Gesetze hat
er doch von dem Treiben seiner Frau keine Ahnung gehabt —, daß seine Frau
von Staats wegen von seiner Seite gerissen und seine Ehe dadurch faktisch
gelöst wird? Zum Glück find ja im vorliegenden Falle dieser Ehe keine Kinder
entsprossen, aber wenn solche vorhanden wären, wie dann? Wäre es klug,
eine Mutter von ihren Kindern zu reißen? Von all diesen Konsequenzen aber
ganz abgesehen, liegt es im Staatsinteresse, darf der Staat im Interesse der
bürgerlichen Moral überhaupt daran denken, Personen, die ihm im Treiben
einer Großstadt lästig fallen, aus dem städtischen Gebiete auszuweisen und
ohne besondre Aufsicht dem Lande aufzubürden? So wenig man einen lästigen
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