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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Serbiens politische und moralische Bekehrung

über die Vorgänge klar und könnte der öffentlichen Meinung über Unterschleife
und Bestechungen und die tragischen Schicksale der wenigen ehrlichen Staats¬
beamten Einzelheiten unterbreiten, die die Vergangenheit des Landes noch sehr
viel greller beleuchten würden als die Äußerungen von Wladan Gjorgjewitsch.

Daß man aber die Vergangenheit ruhen lasse, darauf hat sich Serbien
durch das offne Eingeständnis ihrer Traurigkeit ein Anrecht erworben; nur
darf es für dieses Geständnis als solches nicht weiteres erwarten, etwa gar
neue Zufuhr klingender Münze. Werden jetzt den siebzehn Jahren des Raub¬
baus eine Anzahl Jahre der Arbeit und Ehrlichkeit folgen, dann wird man ja
wieder sehen können; heute sicher noch nicht. Denn welche Sicherheiten liegen
jetzt vor? Gewiß, das Land ist reich an trefflichen Quellen, aber es ist
arm an erprobten ehrlichen, arbeitsfreudigeu und bescheidnen Leuten und er¬
mangelt völlig einer durchsichtigen Zukunft. So wären die gesuchten starken
Darlehen des Auslandes nicht ein Glück, sondern eine große Gefahr für Serbien
und seine Unabhängigkeit; ein noch nicht so gänzlich aufgeschlossener Rückfall
in frühere Unehrlichkeiten, selbst eine unverschuldete äußere Verwicklung würde
einem höher belehnten Lande nur sicherlich ebenso eine europäische Kontroll¬
kommission bringen, wie sie nun Griechenland, vielleicht allerdings zu seinem
Heile, zu teil geworden ist.

Ohne, übertriebne Bescheidenheit meint Dr, Gjorgjewisch, "die Aufgabe,
die mein allergnädigster Herr und König als Staatsprogramm aufgestellt hat,
und zu deren Ausführung er mich und meine Kollegen berufen hat, ist sehr
ähnlich der des Großen Kurfürsten oder mehr noch der Friedrich Wilhelms I.
von Preußen." Nach den Anschauungen, die wir auf unserm nichtkassierten
Gymnasium in uns aufgenommen haben, waren sich nun diese zwei Leute in
so gut wie gar nichts ähnlich, und ihre Thätigkeit war ganz verschieden, und
nach einer weitern Gymnasialanschauung können zwei unter sich ungleiche
Größen nicht einer dritten gleich sein. Auch kann man Serbien im Hinblick
auf seine gegenwärtige Wehrkraft nur warnen, sich die Ziele des Großen Kur¬
fürsten zu stecken, denn wenn mit der Anspielung gemeint ist, Serbien werde
einmal das Preußen der Balkanhalbinsel werden, so liegen dafür weniger als
gar keine Anzeichen vor. Will sich aber Serbien die fleißige, sparsame, ja
knauserige Regierung Friedrich Wilhelms I. mit ihrer starken, fast ängstlichen
Anlehnung an Österreich zum Muster nehmen, so wird es zum Nutzen des
Landes sein, auch wenn kein Friedrich II. nachfolgt; Serbiens König wird
keiner Anlehen für das reiche Land bedürfen, um außer einem tüchtigen Heer
einen gefüllten Staatsschatz zu hinterlassen, wie ihn das bettelarme Preußen
von damals aufgesammelt hat.




Serbiens politische und moralische Bekehrung

über die Vorgänge klar und könnte der öffentlichen Meinung über Unterschleife
und Bestechungen und die tragischen Schicksale der wenigen ehrlichen Staats¬
beamten Einzelheiten unterbreiten, die die Vergangenheit des Landes noch sehr
viel greller beleuchten würden als die Äußerungen von Wladan Gjorgjewitsch.

Daß man aber die Vergangenheit ruhen lasse, darauf hat sich Serbien
durch das offne Eingeständnis ihrer Traurigkeit ein Anrecht erworben; nur
darf es für dieses Geständnis als solches nicht weiteres erwarten, etwa gar
neue Zufuhr klingender Münze. Werden jetzt den siebzehn Jahren des Raub¬
baus eine Anzahl Jahre der Arbeit und Ehrlichkeit folgen, dann wird man ja
wieder sehen können; heute sicher noch nicht. Denn welche Sicherheiten liegen
jetzt vor? Gewiß, das Land ist reich an trefflichen Quellen, aber es ist
arm an erprobten ehrlichen, arbeitsfreudigeu und bescheidnen Leuten und er¬
mangelt völlig einer durchsichtigen Zukunft. So wären die gesuchten starken
Darlehen des Auslandes nicht ein Glück, sondern eine große Gefahr für Serbien
und seine Unabhängigkeit; ein noch nicht so gänzlich aufgeschlossener Rückfall
in frühere Unehrlichkeiten, selbst eine unverschuldete äußere Verwicklung würde
einem höher belehnten Lande nur sicherlich ebenso eine europäische Kontroll¬
kommission bringen, wie sie nun Griechenland, vielleicht allerdings zu seinem
Heile, zu teil geworden ist.

Ohne, übertriebne Bescheidenheit meint Dr, Gjorgjewisch, „die Aufgabe,
die mein allergnädigster Herr und König als Staatsprogramm aufgestellt hat,
und zu deren Ausführung er mich und meine Kollegen berufen hat, ist sehr
ähnlich der des Großen Kurfürsten oder mehr noch der Friedrich Wilhelms I.
von Preußen." Nach den Anschauungen, die wir auf unserm nichtkassierten
Gymnasium in uns aufgenommen haben, waren sich nun diese zwei Leute in
so gut wie gar nichts ähnlich, und ihre Thätigkeit war ganz verschieden, und
nach einer weitern Gymnasialanschauung können zwei unter sich ungleiche
Größen nicht einer dritten gleich sein. Auch kann man Serbien im Hinblick
auf seine gegenwärtige Wehrkraft nur warnen, sich die Ziele des Großen Kur¬
fürsten zu stecken, denn wenn mit der Anspielung gemeint ist, Serbien werde
einmal das Preußen der Balkanhalbinsel werden, so liegen dafür weniger als
gar keine Anzeichen vor. Will sich aber Serbien die fleißige, sparsame, ja
knauserige Regierung Friedrich Wilhelms I. mit ihrer starken, fast ängstlichen
Anlehnung an Österreich zum Muster nehmen, so wird es zum Nutzen des
Landes sein, auch wenn kein Friedrich II. nachfolgt; Serbiens König wird
keiner Anlehen für das reiche Land bedürfen, um außer einem tüchtigen Heer
einen gefüllten Staatsschatz zu hinterlassen, wie ihn das bettelarme Preußen
von damals aufgesammelt hat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/450>, abgerufen am 15.01.2025.