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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Serbiens politische und moralische Bekehrung

und die Zeit der Ergiebigkeit angefangen hat. Wer Genaueres darüber wissen
will, braucht sich nur etwas in die Geschichte der serbischen Bahnen hineinzu¬
arbeiten. Daß Serbien an sich ein prächtiges Land wäre, dem, natürlich ab¬
gesehen von einigen andern Kleinigkeiten, allerdings nur das Kapital sehlt,
das steht ganz außer Zweifel. Außer schönen Wasserkräften, außer einer Welt-
srachtstraße von der Güte und Billigkeit der Donau an der ganzen Nordgrenze
des Landes entlang, außer einem großenteils sehr fruchtbaren Boden und einem
Klima, worin fast alles gedeiht, verfügt das Land über hervorragenden Metall¬
reichtum und große Steinkohlenlager.

Zu den Kleinigkeiten, die ihm fehlen, gehört in erster Reihe eine tüchtige,
d. h. an Arbeit und Anspannung gewöhnte Bevölkerung. Nicht nur wer von
Ungarn her kommt und aus der Mitte der tüchtigen deutschen Kolonisation in
der Badschka und im Banat, ist wenig erbaut, wenn er unter die Serben tritt,
selbst wenn man aus Bulgarien nach Serbien kommt, hat man das Gefühl,
unter geringere, wesentlich tiefer stehende Leute zu treten. Das niedere Volk,
nicht wie Wladcm Gjorgjewitsch behauptet, von ungewöhnlicher Toleranz, sondern
von überraschender Gleichgiltigkeit macht zwar, mit den Bulgaren verglichen,
einen viel aufgewecktern Eindruck, aber in seiner Nachlässigkeit und Schmieg¬
samkeit erweckt es als ersten Gedanken bei einem: Das sind lauter Leute, die
keine harten Brettchen bohren möchten; umgänglich und gewandt und von oft
bezaubernder Liebenswürdigkeit, entgegenkommend und gastfreundlich ermangeln
sie doch immer der wahres Vertrauen erweckenden Festigkeit und Ruhe im Auf¬
treten, die in so hohem Grade den Türken auszeichnet und wenn auch
nicht so ausgeprägt -- auch noch beim Bulgaren zu bemerken ist.

Es sind doch vielfach dieselben Tugenden, von denen das Vorwärtskommen
eines Volks im Frieden und sein militärisches Ansehen und seine Leistungs¬
fähigkeit abhängen; wie lange aber ist es her, daß die Serben keine Hiebe mehr
bekommen haben? Im Jahre 1876 sind sie, und das gründlich genug, von
den Türken geschlagen worden, und im Jahre 1835 von den jungen Bulgaren
unter ihrem tapfern deutschen Fürsten. Und wenn auch dieses Jahr die Truppen
einen etwas günstigern Eindruck auf mich gemacht haben als im vergangnen,
wo sie ganz verlottert daherkamen, so möchte ich doch den Serben sehr raten,
der Rettung durch Österreich-Ungarn im Jahre 1885 recht sehr und dankbar
eingedenk zu sein, und ja von allen Nevanchegedanken gegen Bulgarien abzu¬
sehen, von dessen "Züchtigung" man nur allzuoft in Militär- und andern
Kreisen Belgrads reden hören kann. Serbiens Fortbestehn beruht heute in
gar keiner Weise auf der eignen Volks- und Wehrkraft, sondern ausschließlich
auf der Gunst der Verhältnisse, aus der Zurückhaltung des sehr überlegnen
Bulgariens von einem Angriff, und vor allem auf der Güte Österreichs, auf
dessen gegenwärtiger Schwächung durch die innern nationalen Gegensätze, und
auf der Abneigung Ungarns gegen die Angliederung slawischer Landstriche.


Serbiens politische und moralische Bekehrung

und die Zeit der Ergiebigkeit angefangen hat. Wer Genaueres darüber wissen
will, braucht sich nur etwas in die Geschichte der serbischen Bahnen hineinzu¬
arbeiten. Daß Serbien an sich ein prächtiges Land wäre, dem, natürlich ab¬
gesehen von einigen andern Kleinigkeiten, allerdings nur das Kapital sehlt,
das steht ganz außer Zweifel. Außer schönen Wasserkräften, außer einer Welt-
srachtstraße von der Güte und Billigkeit der Donau an der ganzen Nordgrenze
des Landes entlang, außer einem großenteils sehr fruchtbaren Boden und einem
Klima, worin fast alles gedeiht, verfügt das Land über hervorragenden Metall¬
reichtum und große Steinkohlenlager.

Zu den Kleinigkeiten, die ihm fehlen, gehört in erster Reihe eine tüchtige,
d. h. an Arbeit und Anspannung gewöhnte Bevölkerung. Nicht nur wer von
Ungarn her kommt und aus der Mitte der tüchtigen deutschen Kolonisation in
der Badschka und im Banat, ist wenig erbaut, wenn er unter die Serben tritt,
selbst wenn man aus Bulgarien nach Serbien kommt, hat man das Gefühl,
unter geringere, wesentlich tiefer stehende Leute zu treten. Das niedere Volk,
nicht wie Wladcm Gjorgjewitsch behauptet, von ungewöhnlicher Toleranz, sondern
von überraschender Gleichgiltigkeit macht zwar, mit den Bulgaren verglichen,
einen viel aufgewecktern Eindruck, aber in seiner Nachlässigkeit und Schmieg¬
samkeit erweckt es als ersten Gedanken bei einem: Das sind lauter Leute, die
keine harten Brettchen bohren möchten; umgänglich und gewandt und von oft
bezaubernder Liebenswürdigkeit, entgegenkommend und gastfreundlich ermangeln
sie doch immer der wahres Vertrauen erweckenden Festigkeit und Ruhe im Auf¬
treten, die in so hohem Grade den Türken auszeichnet und wenn auch
nicht so ausgeprägt — auch noch beim Bulgaren zu bemerken ist.

Es sind doch vielfach dieselben Tugenden, von denen das Vorwärtskommen
eines Volks im Frieden und sein militärisches Ansehen und seine Leistungs¬
fähigkeit abhängen; wie lange aber ist es her, daß die Serben keine Hiebe mehr
bekommen haben? Im Jahre 1876 sind sie, und das gründlich genug, von
den Türken geschlagen worden, und im Jahre 1835 von den jungen Bulgaren
unter ihrem tapfern deutschen Fürsten. Und wenn auch dieses Jahr die Truppen
einen etwas günstigern Eindruck auf mich gemacht haben als im vergangnen,
wo sie ganz verlottert daherkamen, so möchte ich doch den Serben sehr raten,
der Rettung durch Österreich-Ungarn im Jahre 1885 recht sehr und dankbar
eingedenk zu sein, und ja von allen Nevanchegedanken gegen Bulgarien abzu¬
sehen, von dessen „Züchtigung" man nur allzuoft in Militär- und andern
Kreisen Belgrads reden hören kann. Serbiens Fortbestehn beruht heute in
gar keiner Weise auf der eignen Volks- und Wehrkraft, sondern ausschließlich
auf der Gunst der Verhältnisse, aus der Zurückhaltung des sehr überlegnen
Bulgariens von einem Angriff, und vor allem auf der Güte Österreichs, auf
dessen gegenwärtiger Schwächung durch die innern nationalen Gegensätze, und
auf der Abneigung Ungarns gegen die Angliederung slawischer Landstriche.


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[0446] Serbiens politische und moralische Bekehrung und die Zeit der Ergiebigkeit angefangen hat. Wer Genaueres darüber wissen will, braucht sich nur etwas in die Geschichte der serbischen Bahnen hineinzu¬ arbeiten. Daß Serbien an sich ein prächtiges Land wäre, dem, natürlich ab¬ gesehen von einigen andern Kleinigkeiten, allerdings nur das Kapital sehlt, das steht ganz außer Zweifel. Außer schönen Wasserkräften, außer einer Welt- srachtstraße von der Güte und Billigkeit der Donau an der ganzen Nordgrenze des Landes entlang, außer einem großenteils sehr fruchtbaren Boden und einem Klima, worin fast alles gedeiht, verfügt das Land über hervorragenden Metall¬ reichtum und große Steinkohlenlager. Zu den Kleinigkeiten, die ihm fehlen, gehört in erster Reihe eine tüchtige, d. h. an Arbeit und Anspannung gewöhnte Bevölkerung. Nicht nur wer von Ungarn her kommt und aus der Mitte der tüchtigen deutschen Kolonisation in der Badschka und im Banat, ist wenig erbaut, wenn er unter die Serben tritt, selbst wenn man aus Bulgarien nach Serbien kommt, hat man das Gefühl, unter geringere, wesentlich tiefer stehende Leute zu treten. Das niedere Volk, nicht wie Wladcm Gjorgjewitsch behauptet, von ungewöhnlicher Toleranz, sondern von überraschender Gleichgiltigkeit macht zwar, mit den Bulgaren verglichen, einen viel aufgewecktern Eindruck, aber in seiner Nachlässigkeit und Schmieg¬ samkeit erweckt es als ersten Gedanken bei einem: Das sind lauter Leute, die keine harten Brettchen bohren möchten; umgänglich und gewandt und von oft bezaubernder Liebenswürdigkeit, entgegenkommend und gastfreundlich ermangeln sie doch immer der wahres Vertrauen erweckenden Festigkeit und Ruhe im Auf¬ treten, die in so hohem Grade den Türken auszeichnet und wenn auch nicht so ausgeprägt — auch noch beim Bulgaren zu bemerken ist. Es sind doch vielfach dieselben Tugenden, von denen das Vorwärtskommen eines Volks im Frieden und sein militärisches Ansehen und seine Leistungs¬ fähigkeit abhängen; wie lange aber ist es her, daß die Serben keine Hiebe mehr bekommen haben? Im Jahre 1876 sind sie, und das gründlich genug, von den Türken geschlagen worden, und im Jahre 1835 von den jungen Bulgaren unter ihrem tapfern deutschen Fürsten. Und wenn auch dieses Jahr die Truppen einen etwas günstigern Eindruck auf mich gemacht haben als im vergangnen, wo sie ganz verlottert daherkamen, so möchte ich doch den Serben sehr raten, der Rettung durch Österreich-Ungarn im Jahre 1885 recht sehr und dankbar eingedenk zu sein, und ja von allen Nevanchegedanken gegen Bulgarien abzu¬ sehen, von dessen „Züchtigung" man nur allzuoft in Militär- und andern Kreisen Belgrads reden hören kann. Serbiens Fortbestehn beruht heute in gar keiner Weise auf der eignen Volks- und Wehrkraft, sondern ausschließlich auf der Gunst der Verhältnisse, aus der Zurückhaltung des sehr überlegnen Bulgariens von einem Angriff, und vor allem auf der Güte Österreichs, auf dessen gegenwärtiger Schwächung durch die innern nationalen Gegensätze, und auf der Abneigung Ungarns gegen die Angliederung slawischer Landstriche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/446>, abgerufen am 15.01.2025.