Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Serbiens politische und moralische Bekehrung

der Gymnasiallehrer einzuziehen, da ja die geplanten Real- und sonstigen
Schulen vorläufig ganz kostenlos nur auf dem Papiere und im Entwurf be¬
stehen. Um was es sich handelte, war eine Entlastung des Budgets. Die
Art aber, wie dies gemacht wurde, bedeutet eine kleine Ersparnis ans Kosten
einer weitern großen Einbuße an Vertrauen unter den Gebildeten des Landes.

Was nun die groß angekündigte sonstige Wohlfahrtspolitik im Lande be¬
trifft, so wußte der serbische Ministerpräsident auf eine Frage nach deren
Einzelheiten nichts anzugeben, als daß man bei der übermäßigen Parzellierung
des Landes (!) mehr als hundert Naiffeisensche Vereinigungen gegründet und
so "Produktivassoziationen -- auch mit Staatshilfe --" geschaffen habe, "um
den kleinen Bauer betriebskrüftig zu erhalten" und "damit aus gemeinsamen
Mitteln die besten und modernsten Wirtschaftsmaschinen beschafft werden können,
und wir gehn jetzt daran," sagt Gjvrgjewitsch, "auch Vereinigungen zum
gemeinsamen Absatz der Produkte zu schaffen. So hoffen wir die Lage des
Bauernstandes, der 90 Prozent der Bevölkerung ausmacht, zu sichern."

Sollte das die ganze Wohlfahrtspolitik von Wladan Gjvrgjewitsch sein,
so muß man bekennen, daß das Programm recht dürftig ist, ganz abgesehen
davon, daß einem fast die Vermutung kommen muß, die geplanten Staats-
unterstützungen für die Bauern seien nichts als beabsichtigte Douceurs für
höchst regierungstreue Gemeinden, also das erforderliche Zuckerbrod neben der
schon angewandten Peitsche. Wer das Land ein paarmal nach allen Richtungen,
und wenn auch nur mit der Bahn, durchfahren hat, der wird keineswegs den
Eindruck bekommen haben, sein Hauptfehler sei eine übermäßige Parzellierung;
mag eine solche vielleicht da und dort vorliegen, der Hauptmangel ist jedenfalls
die ganz ungenügende Kultivierung des Bodens. Eine durchgehende übermäßige
Parzellierung würde eine zu dichte Bevölkerung voraussetzen, thatsächlich ist
diese aber sehr dünn und ermangelt außerdem auch noch im höchsten Grade
des Fleißes und der Ausdauer, der z.B. den bulgarischen Nachbar in acht¬
barster Weise auszeichnet. Auf was also eine Industrie im Lande fußen sollte,
für die man Kapital namentlich aus Deutschland heranlocken möchte, das bleibt
zunächst völlig unklar; denn weder fände diese einen Überfluß tüchtiger Arbeits¬
kräfte vor, noch eine namhafte Zahl kaufkräftiger Konsumenten. Wer das
Land durchreist, etwa nachdem er von der herrlich bebauten Badschka her¬
kommt, dem fällt dessen mangelhafte Kultivierung höchst unangenehm auf;
weite, offenbar fruchtbare Strecken liegen völlig brach. Wo gebaut ist, fehlt
Sauberkeit und Sorgfalt; vielfach fällt die völlige Entwaldung auf, Flößerei
giebt es fast nirgends, die Bäche sind unreguliert; und endlich die schlechten
Wege und Straßen! Was sollen denn den Bauern die Absatzvereinigungen
helfen, wo keine Wege zur Abfuhr der Produkte da sind.

Wer sich überzeugen will, wie es auf diesem Gebiet in Serbien aussieht,
der braucht nicht einmal weit über Belgrad hinauszugehn. Ein Spaziergang


Serbiens politische und moralische Bekehrung

der Gymnasiallehrer einzuziehen, da ja die geplanten Real- und sonstigen
Schulen vorläufig ganz kostenlos nur auf dem Papiere und im Entwurf be¬
stehen. Um was es sich handelte, war eine Entlastung des Budgets. Die
Art aber, wie dies gemacht wurde, bedeutet eine kleine Ersparnis ans Kosten
einer weitern großen Einbuße an Vertrauen unter den Gebildeten des Landes.

Was nun die groß angekündigte sonstige Wohlfahrtspolitik im Lande be¬
trifft, so wußte der serbische Ministerpräsident auf eine Frage nach deren
Einzelheiten nichts anzugeben, als daß man bei der übermäßigen Parzellierung
des Landes (!) mehr als hundert Naiffeisensche Vereinigungen gegründet und
so „Produktivassoziationen — auch mit Staatshilfe —" geschaffen habe, „um
den kleinen Bauer betriebskrüftig zu erhalten" und „damit aus gemeinsamen
Mitteln die besten und modernsten Wirtschaftsmaschinen beschafft werden können,
und wir gehn jetzt daran," sagt Gjvrgjewitsch, „auch Vereinigungen zum
gemeinsamen Absatz der Produkte zu schaffen. So hoffen wir die Lage des
Bauernstandes, der 90 Prozent der Bevölkerung ausmacht, zu sichern."

Sollte das die ganze Wohlfahrtspolitik von Wladan Gjvrgjewitsch sein,
so muß man bekennen, daß das Programm recht dürftig ist, ganz abgesehen
davon, daß einem fast die Vermutung kommen muß, die geplanten Staats-
unterstützungen für die Bauern seien nichts als beabsichtigte Douceurs für
höchst regierungstreue Gemeinden, also das erforderliche Zuckerbrod neben der
schon angewandten Peitsche. Wer das Land ein paarmal nach allen Richtungen,
und wenn auch nur mit der Bahn, durchfahren hat, der wird keineswegs den
Eindruck bekommen haben, sein Hauptfehler sei eine übermäßige Parzellierung;
mag eine solche vielleicht da und dort vorliegen, der Hauptmangel ist jedenfalls
die ganz ungenügende Kultivierung des Bodens. Eine durchgehende übermäßige
Parzellierung würde eine zu dichte Bevölkerung voraussetzen, thatsächlich ist
diese aber sehr dünn und ermangelt außerdem auch noch im höchsten Grade
des Fleißes und der Ausdauer, der z.B. den bulgarischen Nachbar in acht¬
barster Weise auszeichnet. Auf was also eine Industrie im Lande fußen sollte,
für die man Kapital namentlich aus Deutschland heranlocken möchte, das bleibt
zunächst völlig unklar; denn weder fände diese einen Überfluß tüchtiger Arbeits¬
kräfte vor, noch eine namhafte Zahl kaufkräftiger Konsumenten. Wer das
Land durchreist, etwa nachdem er von der herrlich bebauten Badschka her¬
kommt, dem fällt dessen mangelhafte Kultivierung höchst unangenehm auf;
weite, offenbar fruchtbare Strecken liegen völlig brach. Wo gebaut ist, fehlt
Sauberkeit und Sorgfalt; vielfach fällt die völlige Entwaldung auf, Flößerei
giebt es fast nirgends, die Bäche sind unreguliert; und endlich die schlechten
Wege und Straßen! Was sollen denn den Bauern die Absatzvereinigungen
helfen, wo keine Wege zur Abfuhr der Produkte da sind.

Wer sich überzeugen will, wie es auf diesem Gebiet in Serbien aussieht,
der braucht nicht einmal weit über Belgrad hinauszugehn. Ein Spaziergang


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0444" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231614"/>
          <fw type="header" place="top"> Serbiens politische und moralische Bekehrung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1479" prev="#ID_1478"> der Gymnasiallehrer einzuziehen, da ja die geplanten Real- und sonstigen<lb/>
Schulen vorläufig ganz kostenlos nur auf dem Papiere und im Entwurf be¬<lb/>
stehen. Um was es sich handelte, war eine Entlastung des Budgets. Die<lb/>
Art aber, wie dies gemacht wurde, bedeutet eine kleine Ersparnis ans Kosten<lb/>
einer weitern großen Einbuße an Vertrauen unter den Gebildeten des Landes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1480"> Was nun die groß angekündigte sonstige Wohlfahrtspolitik im Lande be¬<lb/>
trifft, so wußte der serbische Ministerpräsident auf eine Frage nach deren<lb/>
Einzelheiten nichts anzugeben, als daß man bei der übermäßigen Parzellierung<lb/>
des Landes (!) mehr als hundert Naiffeisensche Vereinigungen gegründet und<lb/>
so &#x201E;Produktivassoziationen &#x2014; auch mit Staatshilfe &#x2014;" geschaffen habe, &#x201E;um<lb/>
den kleinen Bauer betriebskrüftig zu erhalten" und &#x201E;damit aus gemeinsamen<lb/>
Mitteln die besten und modernsten Wirtschaftsmaschinen beschafft werden können,<lb/>
und wir gehn jetzt daran," sagt Gjvrgjewitsch, &#x201E;auch Vereinigungen zum<lb/>
gemeinsamen Absatz der Produkte zu schaffen. So hoffen wir die Lage des<lb/>
Bauernstandes, der 90 Prozent der Bevölkerung ausmacht, zu sichern."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1481"> Sollte das die ganze Wohlfahrtspolitik von Wladan Gjvrgjewitsch sein,<lb/>
so muß man bekennen, daß das Programm recht dürftig ist, ganz abgesehen<lb/>
davon, daß einem fast die Vermutung kommen muß, die geplanten Staats-<lb/>
unterstützungen für die Bauern seien nichts als beabsichtigte Douceurs für<lb/>
höchst regierungstreue Gemeinden, also das erforderliche Zuckerbrod neben der<lb/>
schon angewandten Peitsche. Wer das Land ein paarmal nach allen Richtungen,<lb/>
und wenn auch nur mit der Bahn, durchfahren hat, der wird keineswegs den<lb/>
Eindruck bekommen haben, sein Hauptfehler sei eine übermäßige Parzellierung;<lb/>
mag eine solche vielleicht da und dort vorliegen, der Hauptmangel ist jedenfalls<lb/>
die ganz ungenügende Kultivierung des Bodens. Eine durchgehende übermäßige<lb/>
Parzellierung würde eine zu dichte Bevölkerung voraussetzen, thatsächlich ist<lb/>
diese aber sehr dünn und ermangelt außerdem auch noch im höchsten Grade<lb/>
des Fleißes und der Ausdauer, der z.B. den bulgarischen Nachbar in acht¬<lb/>
barster Weise auszeichnet. Auf was also eine Industrie im Lande fußen sollte,<lb/>
für die man Kapital namentlich aus Deutschland heranlocken möchte, das bleibt<lb/>
zunächst völlig unklar; denn weder fände diese einen Überfluß tüchtiger Arbeits¬<lb/>
kräfte vor, noch eine namhafte Zahl kaufkräftiger Konsumenten. Wer das<lb/>
Land durchreist, etwa nachdem er von der herrlich bebauten Badschka her¬<lb/>
kommt, dem fällt dessen mangelhafte Kultivierung höchst unangenehm auf;<lb/>
weite, offenbar fruchtbare Strecken liegen völlig brach. Wo gebaut ist, fehlt<lb/>
Sauberkeit und Sorgfalt; vielfach fällt die völlige Entwaldung auf, Flößerei<lb/>
giebt es fast nirgends, die Bäche sind unreguliert; und endlich die schlechten<lb/>
Wege und Straßen! Was sollen denn den Bauern die Absatzvereinigungen<lb/>
helfen, wo keine Wege zur Abfuhr der Produkte da sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1482" next="#ID_1483"> Wer sich überzeugen will, wie es auf diesem Gebiet in Serbien aussieht,<lb/>
der braucht nicht einmal weit über Belgrad hinauszugehn. Ein Spaziergang</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0444] Serbiens politische und moralische Bekehrung der Gymnasiallehrer einzuziehen, da ja die geplanten Real- und sonstigen Schulen vorläufig ganz kostenlos nur auf dem Papiere und im Entwurf be¬ stehen. Um was es sich handelte, war eine Entlastung des Budgets. Die Art aber, wie dies gemacht wurde, bedeutet eine kleine Ersparnis ans Kosten einer weitern großen Einbuße an Vertrauen unter den Gebildeten des Landes. Was nun die groß angekündigte sonstige Wohlfahrtspolitik im Lande be¬ trifft, so wußte der serbische Ministerpräsident auf eine Frage nach deren Einzelheiten nichts anzugeben, als daß man bei der übermäßigen Parzellierung des Landes (!) mehr als hundert Naiffeisensche Vereinigungen gegründet und so „Produktivassoziationen — auch mit Staatshilfe —" geschaffen habe, „um den kleinen Bauer betriebskrüftig zu erhalten" und „damit aus gemeinsamen Mitteln die besten und modernsten Wirtschaftsmaschinen beschafft werden können, und wir gehn jetzt daran," sagt Gjvrgjewitsch, „auch Vereinigungen zum gemeinsamen Absatz der Produkte zu schaffen. So hoffen wir die Lage des Bauernstandes, der 90 Prozent der Bevölkerung ausmacht, zu sichern." Sollte das die ganze Wohlfahrtspolitik von Wladan Gjvrgjewitsch sein, so muß man bekennen, daß das Programm recht dürftig ist, ganz abgesehen davon, daß einem fast die Vermutung kommen muß, die geplanten Staats- unterstützungen für die Bauern seien nichts als beabsichtigte Douceurs für höchst regierungstreue Gemeinden, also das erforderliche Zuckerbrod neben der schon angewandten Peitsche. Wer das Land ein paarmal nach allen Richtungen, und wenn auch nur mit der Bahn, durchfahren hat, der wird keineswegs den Eindruck bekommen haben, sein Hauptfehler sei eine übermäßige Parzellierung; mag eine solche vielleicht da und dort vorliegen, der Hauptmangel ist jedenfalls die ganz ungenügende Kultivierung des Bodens. Eine durchgehende übermäßige Parzellierung würde eine zu dichte Bevölkerung voraussetzen, thatsächlich ist diese aber sehr dünn und ermangelt außerdem auch noch im höchsten Grade des Fleißes und der Ausdauer, der z.B. den bulgarischen Nachbar in acht¬ barster Weise auszeichnet. Auf was also eine Industrie im Lande fußen sollte, für die man Kapital namentlich aus Deutschland heranlocken möchte, das bleibt zunächst völlig unklar; denn weder fände diese einen Überfluß tüchtiger Arbeits¬ kräfte vor, noch eine namhafte Zahl kaufkräftiger Konsumenten. Wer das Land durchreist, etwa nachdem er von der herrlich bebauten Badschka her¬ kommt, dem fällt dessen mangelhafte Kultivierung höchst unangenehm auf; weite, offenbar fruchtbare Strecken liegen völlig brach. Wo gebaut ist, fehlt Sauberkeit und Sorgfalt; vielfach fällt die völlige Entwaldung auf, Flößerei giebt es fast nirgends, die Bäche sind unreguliert; und endlich die schlechten Wege und Straßen! Was sollen denn den Bauern die Absatzvereinigungen helfen, wo keine Wege zur Abfuhr der Produkte da sind. Wer sich überzeugen will, wie es auf diesem Gebiet in Serbien aussieht, der braucht nicht einmal weit über Belgrad hinauszugehn. Ein Spaziergang

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/444
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/444>, abgerufen am 15.01.2025.