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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die großen Berliner Aunstausstellungen

Sie gewähren dem Beschauer, der ein endlosen Reihen von Landschaften und
Bildnissen, die ihm wenig oder gar nichts sagen, vorüberwandelt, erwünschte
Ruhepunkte. Sie laden ihn zu längerm Verweilen, zu innerer Sammlung
und Erholung von den zerstreuenden Eindrücken ein, die er durch das kleine
Einerlei empfangen hat, und wer viel unter Ausstellungsbesuchern herumhört
und herumfragt, der wird auch die Erfahrung gemacht haben, daß sich Bilder
bedeutsamen Inhalts dem Gedächtnis der großen Masse kunstfreundlicher Laien
am tiefsten einprägen und noch jahrelang, oft auch für ein ganzes Leben ihre
Wirkung übe". Daran werden alle noch so spitzfindig ausgeklügelten Ver¬
suche, dem Publikum eine andre Sehmethode beizubringen, die es nur noch
für malerische Feinheiten und koloristische Experimente empfänglich und gegen
den Inhalt, die geistige und ethische Bedeutung eines Kunstwerks unempfindlich
macht, nichts ändern.

Unter der kleinen Anzahl umfangreicher Bilder, die die Berliner Aus¬
stellung auszuweisen hat, sind obenein nur wenige, bei denen Inhalt und künst¬
lerische Gestaltung auf gleicher Höhe stehn. Der Berliner Rudolf Eichstüdt
hat auf einem großen Bilde das Gastmahl zu Emmaus dargestellt, den Angen-
blick, wo die beiden Jünger den Heiland am Brodbrechen erkennen und sich
die weiße Lichtgestalt vor ihren Augen zu einer überirdischen Vision ver¬
flüchtigt. Der Schauplatz des Vorgangs ist eine Pergola am Strande eines
südlichen Meeres, etwa am Golf von Neapel, und der Künstler hat diesen
Schauplatz offenbar in der Absicht gewählt, den Schwerpunkt seines Bildes
auf die Entfaltung koloristischer Wirkungen zu lege". Aber der geistige Ge¬
halt ist dabei nicht zu kurz gekommen. Es ist schon erfreulich, wenn bei dem
gegenwärtigen Stande der religiösen Malerei ein Künstler dem, was vielen
Menschen als verehrungswürdig und heilig erscheint, einen entsprechenden Aus¬
druck giebt, und man nimmt dabei gern einen an die Magie des Theaters er¬
innernden Effekt, wie hier, in den Kauf, um so lieber, wenn man damit die
Art der religiösen Malerei vergleicht, die in München im Vordergründe der
künstlerischen Bestrebungen steht. Sie wird in Berlin durch ein Triptychon von
Julius Exter vertrete", das die Geschichte des ersten Meuschenpaars von der
Erschaffung der Eva bis zum Verlust des Paradieses darstellt. Hier ergeht sich
der moderne Naturalismus in so wüsten Ausschreitungen, daß eine ernsthafte
Kritik darauf verzichten muß, sich mit Erscheinungen dieser Art auseinander¬
zusetzen. Sie treten auch schon so vereinzelt auf, daß der Höhepunkt dieser Krank¬
heit, von der unsre Malerei eine Zeit lang schwer bedroht zu sein schien, Wohl
als überwunden betrachtet werden kann. Eine ungleich ernsthaftere Beachtung
fordern des Münchners Christian Speyer apokalyptische Reiter, schon wegen der
ernsten Haltung und Stimmung der Schilderung, obwohl nicht zu verkennen ist,
daß der Künstler das Motiv nur gewühlt hat, um seine große Virtuosität in der
Darstellung von Pferden in der leidenschaftlichsten Bewegung und Erregung,


Die großen Berliner Aunstausstellungen

Sie gewähren dem Beschauer, der ein endlosen Reihen von Landschaften und
Bildnissen, die ihm wenig oder gar nichts sagen, vorüberwandelt, erwünschte
Ruhepunkte. Sie laden ihn zu längerm Verweilen, zu innerer Sammlung
und Erholung von den zerstreuenden Eindrücken ein, die er durch das kleine
Einerlei empfangen hat, und wer viel unter Ausstellungsbesuchern herumhört
und herumfragt, der wird auch die Erfahrung gemacht haben, daß sich Bilder
bedeutsamen Inhalts dem Gedächtnis der großen Masse kunstfreundlicher Laien
am tiefsten einprägen und noch jahrelang, oft auch für ein ganzes Leben ihre
Wirkung übe». Daran werden alle noch so spitzfindig ausgeklügelten Ver¬
suche, dem Publikum eine andre Sehmethode beizubringen, die es nur noch
für malerische Feinheiten und koloristische Experimente empfänglich und gegen
den Inhalt, die geistige und ethische Bedeutung eines Kunstwerks unempfindlich
macht, nichts ändern.

Unter der kleinen Anzahl umfangreicher Bilder, die die Berliner Aus¬
stellung auszuweisen hat, sind obenein nur wenige, bei denen Inhalt und künst¬
lerische Gestaltung auf gleicher Höhe stehn. Der Berliner Rudolf Eichstüdt
hat auf einem großen Bilde das Gastmahl zu Emmaus dargestellt, den Angen-
blick, wo die beiden Jünger den Heiland am Brodbrechen erkennen und sich
die weiße Lichtgestalt vor ihren Augen zu einer überirdischen Vision ver¬
flüchtigt. Der Schauplatz des Vorgangs ist eine Pergola am Strande eines
südlichen Meeres, etwa am Golf von Neapel, und der Künstler hat diesen
Schauplatz offenbar in der Absicht gewählt, den Schwerpunkt seines Bildes
auf die Entfaltung koloristischer Wirkungen zu lege». Aber der geistige Ge¬
halt ist dabei nicht zu kurz gekommen. Es ist schon erfreulich, wenn bei dem
gegenwärtigen Stande der religiösen Malerei ein Künstler dem, was vielen
Menschen als verehrungswürdig und heilig erscheint, einen entsprechenden Aus¬
druck giebt, und man nimmt dabei gern einen an die Magie des Theaters er¬
innernden Effekt, wie hier, in den Kauf, um so lieber, wenn man damit die
Art der religiösen Malerei vergleicht, die in München im Vordergründe der
künstlerischen Bestrebungen steht. Sie wird in Berlin durch ein Triptychon von
Julius Exter vertrete», das die Geschichte des ersten Meuschenpaars von der
Erschaffung der Eva bis zum Verlust des Paradieses darstellt. Hier ergeht sich
der moderne Naturalismus in so wüsten Ausschreitungen, daß eine ernsthafte
Kritik darauf verzichten muß, sich mit Erscheinungen dieser Art auseinander¬
zusetzen. Sie treten auch schon so vereinzelt auf, daß der Höhepunkt dieser Krank¬
heit, von der unsre Malerei eine Zeit lang schwer bedroht zu sein schien, Wohl
als überwunden betrachtet werden kann. Eine ungleich ernsthaftere Beachtung
fordern des Münchners Christian Speyer apokalyptische Reiter, schon wegen der
ernsten Haltung und Stimmung der Schilderung, obwohl nicht zu verkennen ist,
daß der Künstler das Motiv nur gewühlt hat, um seine große Virtuosität in der
Darstellung von Pferden in der leidenschaftlichsten Bewegung und Erregung,


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[0044] Die großen Berliner Aunstausstellungen Sie gewähren dem Beschauer, der ein endlosen Reihen von Landschaften und Bildnissen, die ihm wenig oder gar nichts sagen, vorüberwandelt, erwünschte Ruhepunkte. Sie laden ihn zu längerm Verweilen, zu innerer Sammlung und Erholung von den zerstreuenden Eindrücken ein, die er durch das kleine Einerlei empfangen hat, und wer viel unter Ausstellungsbesuchern herumhört und herumfragt, der wird auch die Erfahrung gemacht haben, daß sich Bilder bedeutsamen Inhalts dem Gedächtnis der großen Masse kunstfreundlicher Laien am tiefsten einprägen und noch jahrelang, oft auch für ein ganzes Leben ihre Wirkung übe». Daran werden alle noch so spitzfindig ausgeklügelten Ver¬ suche, dem Publikum eine andre Sehmethode beizubringen, die es nur noch für malerische Feinheiten und koloristische Experimente empfänglich und gegen den Inhalt, die geistige und ethische Bedeutung eines Kunstwerks unempfindlich macht, nichts ändern. Unter der kleinen Anzahl umfangreicher Bilder, die die Berliner Aus¬ stellung auszuweisen hat, sind obenein nur wenige, bei denen Inhalt und künst¬ lerische Gestaltung auf gleicher Höhe stehn. Der Berliner Rudolf Eichstüdt hat auf einem großen Bilde das Gastmahl zu Emmaus dargestellt, den Angen- blick, wo die beiden Jünger den Heiland am Brodbrechen erkennen und sich die weiße Lichtgestalt vor ihren Augen zu einer überirdischen Vision ver¬ flüchtigt. Der Schauplatz des Vorgangs ist eine Pergola am Strande eines südlichen Meeres, etwa am Golf von Neapel, und der Künstler hat diesen Schauplatz offenbar in der Absicht gewählt, den Schwerpunkt seines Bildes auf die Entfaltung koloristischer Wirkungen zu lege». Aber der geistige Ge¬ halt ist dabei nicht zu kurz gekommen. Es ist schon erfreulich, wenn bei dem gegenwärtigen Stande der religiösen Malerei ein Künstler dem, was vielen Menschen als verehrungswürdig und heilig erscheint, einen entsprechenden Aus¬ druck giebt, und man nimmt dabei gern einen an die Magie des Theaters er¬ innernden Effekt, wie hier, in den Kauf, um so lieber, wenn man damit die Art der religiösen Malerei vergleicht, die in München im Vordergründe der künstlerischen Bestrebungen steht. Sie wird in Berlin durch ein Triptychon von Julius Exter vertrete», das die Geschichte des ersten Meuschenpaars von der Erschaffung der Eva bis zum Verlust des Paradieses darstellt. Hier ergeht sich der moderne Naturalismus in so wüsten Ausschreitungen, daß eine ernsthafte Kritik darauf verzichten muß, sich mit Erscheinungen dieser Art auseinander¬ zusetzen. Sie treten auch schon so vereinzelt auf, daß der Höhepunkt dieser Krank¬ heit, von der unsre Malerei eine Zeit lang schwer bedroht zu sein schien, Wohl als überwunden betrachtet werden kann. Eine ungleich ernsthaftere Beachtung fordern des Münchners Christian Speyer apokalyptische Reiter, schon wegen der ernsten Haltung und Stimmung der Schilderung, obwohl nicht zu verkennen ist, daß der Künstler das Motiv nur gewühlt hat, um seine große Virtuosität in der Darstellung von Pferden in der leidenschaftlichsten Bewegung und Erregung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/44>, abgerufen am 15.01.2025.