Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Gin deutsches Kilnstlerleben kehrte er auch in der Heimat Andreas Hofers, dem Wirtshaus? zum Sande Meran war das Ziel seiner Wanderung; es sollte seine zweite Heimat Gin deutsches Kilnstlerleben kehrte er auch in der Heimat Andreas Hofers, dem Wirtshaus? zum Sande Meran war das Ziel seiner Wanderung; es sollte seine zweite Heimat <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0431" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231601"/> <fw type="header" place="top"> Gin deutsches Kilnstlerleben</fw><lb/> <p xml:id="ID_1382" prev="#ID_1381"> kehrte er auch in der Heimat Andreas Hofers, dem Wirtshaus? zum Sande<lb/> ein; dort war es still geworden, aber die Erinnerung an den Tiroler Volks¬<lb/> helden war lebendig wie am ersten Tag: „In dem Gastzimmer waren Sitten-<lb/> sprttche an den getäfelten Wänden geschrieben, und auf der Bank am Ofen saß<lb/> ein altes Mütterchen mit einer spitzen Wollhaube auf dem Kopfe, die spann<lb/> und dabei aus einer kleinen Pfeife Tabak rauchte. Es sei die Witwe des<lb/> Sandwirth, die Frau von Hofer, sagten die Leute. Sie selber sprach gar<lb/> nicht, war in sich gekehrt und gab nicht acht auf mich, als ich einen Versuch<lb/> machte, ein Gespräch mit ihr anzufangen. Nur selten soll sie sich mitgeteilt<lb/> haben, hörte ich später von einem ihr befreundeten, ältern Geistlichen, dem sie<lb/> ihr Herz zuweilen aufschloß, das, von dem Leid der Vergangenheit nieder¬<lb/> gedrückt, nur Trauer und Klagen hatte."</p><lb/> <p xml:id="ID_1383" next="#ID_1384"> Meran war das Ziel seiner Wanderung; es sollte seine zweite Heimat<lb/> werden. In Obermais mietete er sich ein bei einem Bauern, der wie andre<lb/> seines Standes Nachfolger eines verarmten Adlichen war, dessen verfallnes<lb/> Schloß er bewohnte, und der nach dem frühern Besitzer, „Baron Pncnni,"<lb/> Pricimbaucr genannt wurde. Der Priambauer, eine kraftvolle, wie aus Eisen<lb/> gegossene Neckengestalt, war einer von den vielen redlichen, aber unpraktischen<lb/> Menschen, die in die unerbittliche Konsequenz der Neuzeit uicht hineinpassen,<lb/> von Stufe zu Stufe immer mehr verarmen; er verlor Haus und Hof, von<lb/> dem er anfangs Pächter, dann Besitzer war, und mußte noch die letzten Jahre<lb/> vor seinem Tode, bebend vor Schwäche, sein einziges „Kühle" zur Tränke<lb/> treiben. Dieser Bauer, in dessen Haus Wasmann das köstliche Patriarchen-<lb/> leben seiner Kindheit zum zweitenmale erlebte, war in seinem Lebensgeschick<lb/> typisch für jene Zeit Tirols, das 1814 wieder unter Österreichs Szepter ge¬<lb/> kommen war. Nachdem die Freiheitskämpfer, der Priambauer war 1809 unter<lb/> Andreas Hofer Adjutant gewesen, Zeit, Kräfte und Vermögen im Dienste des<lb/> Vaterlands für das geliebte, alte Kaiserhaus aufgewandt hatten, fielen sie als<lb/> verbraucht der Vergessenheit anheim. Wasmann versichert, daß der südliche<lb/> Teil von Tirol, der noch im Jahre 1814 vergeblich eine Deputation nach<lb/> Wien geschickt hatte, um vom Landesvater Befreiung von drückenden Lasten zu<lb/> erwirken, finanziell nie bessere Zeiten gesehen habe als unter der bayrische»<lb/> Negierung. „Durch die hohen Weinpreise war alles reich geworden, und man<lb/> sah Bauersfrauen in den feinsten Tuchkittelu zur Kirche reiten. Das hatte<lb/> aufgehört; der Wohlstand war durch die großen Kriegsschäden gemindert, aber<lb/> der behagliche Schlendrian dauerte fort." In der Familie des Priambanern<lb/> war Wasmann wie Kind im Hause. Er lebte sich ganz in die neuen Ver¬<lb/> hältnisse ein, verkehrte mit den Leuten wie mit seinesgleichen, schweifte in der<lb/> Gegend umher, war eifrig mit Malstudien beschäftigt, macht Jagd ans Modelle,<lb/> und als der Winter kam und die langen Abende Frau und Mägde in der<lb/> Stube beim Kienlicht saßen und spannen, bekam er „den Einfall, religiös zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0431]
Gin deutsches Kilnstlerleben
kehrte er auch in der Heimat Andreas Hofers, dem Wirtshaus? zum Sande
ein; dort war es still geworden, aber die Erinnerung an den Tiroler Volks¬
helden war lebendig wie am ersten Tag: „In dem Gastzimmer waren Sitten-
sprttche an den getäfelten Wänden geschrieben, und auf der Bank am Ofen saß
ein altes Mütterchen mit einer spitzen Wollhaube auf dem Kopfe, die spann
und dabei aus einer kleinen Pfeife Tabak rauchte. Es sei die Witwe des
Sandwirth, die Frau von Hofer, sagten die Leute. Sie selber sprach gar
nicht, war in sich gekehrt und gab nicht acht auf mich, als ich einen Versuch
machte, ein Gespräch mit ihr anzufangen. Nur selten soll sie sich mitgeteilt
haben, hörte ich später von einem ihr befreundeten, ältern Geistlichen, dem sie
ihr Herz zuweilen aufschloß, das, von dem Leid der Vergangenheit nieder¬
gedrückt, nur Trauer und Klagen hatte."
Meran war das Ziel seiner Wanderung; es sollte seine zweite Heimat
werden. In Obermais mietete er sich ein bei einem Bauern, der wie andre
seines Standes Nachfolger eines verarmten Adlichen war, dessen verfallnes
Schloß er bewohnte, und der nach dem frühern Besitzer, „Baron Pncnni,"
Pricimbaucr genannt wurde. Der Priambauer, eine kraftvolle, wie aus Eisen
gegossene Neckengestalt, war einer von den vielen redlichen, aber unpraktischen
Menschen, die in die unerbittliche Konsequenz der Neuzeit uicht hineinpassen,
von Stufe zu Stufe immer mehr verarmen; er verlor Haus und Hof, von
dem er anfangs Pächter, dann Besitzer war, und mußte noch die letzten Jahre
vor seinem Tode, bebend vor Schwäche, sein einziges „Kühle" zur Tränke
treiben. Dieser Bauer, in dessen Haus Wasmann das köstliche Patriarchen-
leben seiner Kindheit zum zweitenmale erlebte, war in seinem Lebensgeschick
typisch für jene Zeit Tirols, das 1814 wieder unter Österreichs Szepter ge¬
kommen war. Nachdem die Freiheitskämpfer, der Priambauer war 1809 unter
Andreas Hofer Adjutant gewesen, Zeit, Kräfte und Vermögen im Dienste des
Vaterlands für das geliebte, alte Kaiserhaus aufgewandt hatten, fielen sie als
verbraucht der Vergessenheit anheim. Wasmann versichert, daß der südliche
Teil von Tirol, der noch im Jahre 1814 vergeblich eine Deputation nach
Wien geschickt hatte, um vom Landesvater Befreiung von drückenden Lasten zu
erwirken, finanziell nie bessere Zeiten gesehen habe als unter der bayrische»
Negierung. „Durch die hohen Weinpreise war alles reich geworden, und man
sah Bauersfrauen in den feinsten Tuchkittelu zur Kirche reiten. Das hatte
aufgehört; der Wohlstand war durch die großen Kriegsschäden gemindert, aber
der behagliche Schlendrian dauerte fort." In der Familie des Priambanern
war Wasmann wie Kind im Hause. Er lebte sich ganz in die neuen Ver¬
hältnisse ein, verkehrte mit den Leuten wie mit seinesgleichen, schweifte in der
Gegend umher, war eifrig mit Malstudien beschäftigt, macht Jagd ans Modelle,
und als der Winter kam und die langen Abende Frau und Mägde in der
Stube beim Kienlicht saßen und spannen, bekam er „den Einfall, religiös zu
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