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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Gin deutsches Aünstlerleben

Partikularismus ab, wonach der Hamburger von den guten Dresdnern als
Fremder "angestarrt" wird, während für diesen der singende weiche Ton der
Landessprache etwas abstoßendes hat. Der Weltnnkuudige fühlt sich denn
auch zunächst einsam und gedrückt und ohne alle Lust zur Kunst; ganz abseits
lebend beschäftigt er sich das erste halbe Jahr ausschließlich damit, daß er
Homer und andre Klassiker in der Ursprache liest, bis er denn in der Gips¬
klasse der Akademie allmählich das "Rudel Kunstjünger" kennen lernt und sich
an ihre Art zu leben gewöhnt. Indem er diese Art schildert und eine Anzahl
kostbare Originale unter seinen Genossen vortrefflich charakterisiert, entwirft er
ein interessantes Bild der Kunstzustünde der Akademie, der Lehrer, des Kunst¬
geistes, der Richtungen, des ganzen Lebens. In Liebe gedenkt er seines
Lehrers Näke, der auch als Konvertit von seiner Nomreise nach Dresden zurück¬
gekehrt war; er gehörte der "neuen Kunstrichtung an, die von der Welt spott¬
weise die nazarenische genannt wurde" (Goethe hatte ihr zuerst diesen Namen
gegeben). Durch diesen Lehrer kam ihm in seinem naturalistischen Treiben die
"erste Ahnung einer edlern Kunstrichtung."

Dresden vertauscht der Kunstjünger bald wieder mit Hamburg, wo er
sich, wie der sechzigjührige fromme Katholik zu seiner Beruhigung schreibt, "durch
bessere Gesellschaft von dem akademischen Einfluß reinigt." Die Hamburger
Jugend war fein gebildet, sie hatte Interesse für Litteratur; man las mit Be¬
geisterung Faust, das für sie "das Evangelium der aus dem Lande der Pcrückeu-
kvnvenienz erlösten Natur war." Am meisten jedoch wirkte damals auf die
jugendlichen Gemüter Heine. Daneben begeisterte man sich für Volkspoesie,
für altdeutsche Kunst und für alles, was mit Volk und Volkstum in Zusammen¬
hang steht. Die neudeutsche christliche Kunst fand auch in Hamburg Eingang,
endete aber, durch den norddeutschen Ernst auf die Spitze der Verinnerlichung
getrieben, in einer krankhaften Askese und völligen Gedankenverknöcherung. Alle
diese Bestrebungen entsprachen ganz der Natur Wasmanns und bestimmten
seine Neigungen und Interessen.

Daß vor allem in der Kunst aller Anfang schwer ist, wenn es sich darum
handelt, auf eignen Füßen zu stehen und für den Unterhalt des Lebens zu
sorgen, das hatte auch der junge Wasmann zu erfahren. Und es war mit
dem laufenden und bestellenden Publikum ungefähr so, wie es heute noch ist.
"Ich mußte nun, wie ein Makler mit Kaffeeproben in der Tasche, irgend ein
Porträt unter dem Arme, mich in befreundeten Comptoirs sehen lassen und mich
rekommandieren, was zwar nicht für mich, aber für einen Unbeteiligten komische
Szenen gab, wenn der gewiegte Geldmann, der in einer Art Eitelkeit mit am
Ellenbogen zerrissenem Ärmel am Schreibtisch stehend, kaum den Blick von
seinem Buche erhob, um das Bild anzusehen oder selbes an der Wand auf
die Erde setzen hieß und dann, die Hände in den Hosentaschen, die Spitze des
einen Stiefels wie einen Finger auf einige Punkte des Gemäldes hinneigte,


Gin deutsches Aünstlerleben

Partikularismus ab, wonach der Hamburger von den guten Dresdnern als
Fremder „angestarrt" wird, während für diesen der singende weiche Ton der
Landessprache etwas abstoßendes hat. Der Weltnnkuudige fühlt sich denn
auch zunächst einsam und gedrückt und ohne alle Lust zur Kunst; ganz abseits
lebend beschäftigt er sich das erste halbe Jahr ausschließlich damit, daß er
Homer und andre Klassiker in der Ursprache liest, bis er denn in der Gips¬
klasse der Akademie allmählich das „Rudel Kunstjünger" kennen lernt und sich
an ihre Art zu leben gewöhnt. Indem er diese Art schildert und eine Anzahl
kostbare Originale unter seinen Genossen vortrefflich charakterisiert, entwirft er
ein interessantes Bild der Kunstzustünde der Akademie, der Lehrer, des Kunst¬
geistes, der Richtungen, des ganzen Lebens. In Liebe gedenkt er seines
Lehrers Näke, der auch als Konvertit von seiner Nomreise nach Dresden zurück¬
gekehrt war; er gehörte der „neuen Kunstrichtung an, die von der Welt spott¬
weise die nazarenische genannt wurde" (Goethe hatte ihr zuerst diesen Namen
gegeben). Durch diesen Lehrer kam ihm in seinem naturalistischen Treiben die
„erste Ahnung einer edlern Kunstrichtung."

Dresden vertauscht der Kunstjünger bald wieder mit Hamburg, wo er
sich, wie der sechzigjührige fromme Katholik zu seiner Beruhigung schreibt, „durch
bessere Gesellschaft von dem akademischen Einfluß reinigt." Die Hamburger
Jugend war fein gebildet, sie hatte Interesse für Litteratur; man las mit Be¬
geisterung Faust, das für sie „das Evangelium der aus dem Lande der Pcrückeu-
kvnvenienz erlösten Natur war." Am meisten jedoch wirkte damals auf die
jugendlichen Gemüter Heine. Daneben begeisterte man sich für Volkspoesie,
für altdeutsche Kunst und für alles, was mit Volk und Volkstum in Zusammen¬
hang steht. Die neudeutsche christliche Kunst fand auch in Hamburg Eingang,
endete aber, durch den norddeutschen Ernst auf die Spitze der Verinnerlichung
getrieben, in einer krankhaften Askese und völligen Gedankenverknöcherung. Alle
diese Bestrebungen entsprachen ganz der Natur Wasmanns und bestimmten
seine Neigungen und Interessen.

Daß vor allem in der Kunst aller Anfang schwer ist, wenn es sich darum
handelt, auf eignen Füßen zu stehen und für den Unterhalt des Lebens zu
sorgen, das hatte auch der junge Wasmann zu erfahren. Und es war mit
dem laufenden und bestellenden Publikum ungefähr so, wie es heute noch ist.
„Ich mußte nun, wie ein Makler mit Kaffeeproben in der Tasche, irgend ein
Porträt unter dem Arme, mich in befreundeten Comptoirs sehen lassen und mich
rekommandieren, was zwar nicht für mich, aber für einen Unbeteiligten komische
Szenen gab, wenn der gewiegte Geldmann, der in einer Art Eitelkeit mit am
Ellenbogen zerrissenem Ärmel am Schreibtisch stehend, kaum den Blick von
seinem Buche erhob, um das Bild anzusehen oder selbes an der Wand auf
die Erde setzen hieß und dann, die Hände in den Hosentaschen, die Spitze des
einen Stiefels wie einen Finger auf einige Punkte des Gemäldes hinneigte,


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[0427] Gin deutsches Aünstlerleben Partikularismus ab, wonach der Hamburger von den guten Dresdnern als Fremder „angestarrt" wird, während für diesen der singende weiche Ton der Landessprache etwas abstoßendes hat. Der Weltnnkuudige fühlt sich denn auch zunächst einsam und gedrückt und ohne alle Lust zur Kunst; ganz abseits lebend beschäftigt er sich das erste halbe Jahr ausschließlich damit, daß er Homer und andre Klassiker in der Ursprache liest, bis er denn in der Gips¬ klasse der Akademie allmählich das „Rudel Kunstjünger" kennen lernt und sich an ihre Art zu leben gewöhnt. Indem er diese Art schildert und eine Anzahl kostbare Originale unter seinen Genossen vortrefflich charakterisiert, entwirft er ein interessantes Bild der Kunstzustünde der Akademie, der Lehrer, des Kunst¬ geistes, der Richtungen, des ganzen Lebens. In Liebe gedenkt er seines Lehrers Näke, der auch als Konvertit von seiner Nomreise nach Dresden zurück¬ gekehrt war; er gehörte der „neuen Kunstrichtung an, die von der Welt spott¬ weise die nazarenische genannt wurde" (Goethe hatte ihr zuerst diesen Namen gegeben). Durch diesen Lehrer kam ihm in seinem naturalistischen Treiben die „erste Ahnung einer edlern Kunstrichtung." Dresden vertauscht der Kunstjünger bald wieder mit Hamburg, wo er sich, wie der sechzigjührige fromme Katholik zu seiner Beruhigung schreibt, „durch bessere Gesellschaft von dem akademischen Einfluß reinigt." Die Hamburger Jugend war fein gebildet, sie hatte Interesse für Litteratur; man las mit Be¬ geisterung Faust, das für sie „das Evangelium der aus dem Lande der Pcrückeu- kvnvenienz erlösten Natur war." Am meisten jedoch wirkte damals auf die jugendlichen Gemüter Heine. Daneben begeisterte man sich für Volkspoesie, für altdeutsche Kunst und für alles, was mit Volk und Volkstum in Zusammen¬ hang steht. Die neudeutsche christliche Kunst fand auch in Hamburg Eingang, endete aber, durch den norddeutschen Ernst auf die Spitze der Verinnerlichung getrieben, in einer krankhaften Askese und völligen Gedankenverknöcherung. Alle diese Bestrebungen entsprachen ganz der Natur Wasmanns und bestimmten seine Neigungen und Interessen. Daß vor allem in der Kunst aller Anfang schwer ist, wenn es sich darum handelt, auf eignen Füßen zu stehen und für den Unterhalt des Lebens zu sorgen, das hatte auch der junge Wasmann zu erfahren. Und es war mit dem laufenden und bestellenden Publikum ungefähr so, wie es heute noch ist. „Ich mußte nun, wie ein Makler mit Kaffeeproben in der Tasche, irgend ein Porträt unter dem Arme, mich in befreundeten Comptoirs sehen lassen und mich rekommandieren, was zwar nicht für mich, aber für einen Unbeteiligten komische Szenen gab, wenn der gewiegte Geldmann, der in einer Art Eitelkeit mit am Ellenbogen zerrissenem Ärmel am Schreibtisch stehend, kaum den Blick von seinem Buche erhob, um das Bild anzusehen oder selbes an der Wand auf die Erde setzen hieß und dann, die Hände in den Hosentaschen, die Spitze des einen Stiefels wie einen Finger auf einige Punkte des Gemäldes hinneigte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/427>, abgerufen am 15.01.2025.