Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der Römerstaat weil er auf Arbeit beruht, und die Ausbeutung, die dabei vorkommt, ihm nicht Der Römerstaat weil er auf Arbeit beruht, und die Ausbeutung, die dabei vorkommt, ihm nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0420" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231590"/> <fw type="header" place="top"> Der Römerstaat</fw><lb/> <p xml:id="ID_1354" prev="#ID_1353" next="#ID_1355"> weil er auf Arbeit beruht, und die Ausbeutung, die dabei vorkommt, ihm nicht<lb/> notwendig anhaftet — theoretisch wenigstens läßt es sich denken, daß alle an<lb/> der Produktion Beteiligten zu ihrem gerechten Einkommen gelangen, ohne daß<lb/> dadurch die bestehende Wirtschaftsordnung aufgelöst wird —, während der alt¬<lb/> römische auf einer räuberischen Ausbeutung beruhte, die sogar vom Gesetze sür<lb/> strafbar erklärt wurde und nur darum meist straflos blieb, weil Räuber und<lb/> Richter dieselben Personen waren. Dafür trat freilich die Ausbeutung auch<lb/> mit dem Mute der Brutalität offen als das auf, was sie war, und nahm den<lb/> Haß und die Verachtung, die sie verdiente, gelassen auf sich, während sie, wo<lb/> sie heute vorkommt, sich in das anständige Gewand rechtschaffnen Erwerbs,<lb/> volkswirtschaftlicher Funktionen und verdienstlicher Unternehmungen hüllt. In<lb/> volkswirtschaftlicher Beziehung ist der antike Kapitalismus nicht ganz unfrucht¬<lb/> bar gewesen, indem der Reichtum die Mittel gewährte, nicht allein den Kom¬<lb/> fort und die Künste, sondern auch den Straßen- und Brückenbau, die Wasser¬<lb/> versorgung und den Ackerbau auf die höchste Stufe zu heben, und indem sich<lb/> dieser Kulturfortschritt gleichmäßig über das ganze Reich verbreitete, als die<lb/> Kaiser der Räuberwirtschaft ein Ende gemacht hatten. Der moderne Kapita¬<lb/> lismus aber fördert zusammen mit der den Alten fremden Naturwissenschaft<lb/> den Fortschritt besonders dadurch weit kräftiger, daß er die besitzlosen Arbeiter<lb/> durch ihre Freiheit und Selbstverantwortung, die Wohlhabenden durch eine<lb/> Vermögensform, die nicht wie Grund- und Sklavenbesitz der unmittelbaren<lb/> Bedürfnisbefriedigung dient, weit wirksamer zur Arbeit zwingt als der antike,<lb/> der Heere von freien und unfreien Müßiggängern schuf. Müßiggänger waren<lb/> alle Reichen, die des Pflichtgefühls und des Dranges zu freiwilliger Arbeit<lb/> ermangelten, und alle Armen, die das römische Bürgerrecht hatten, worauf<lb/> sich ihr Anspruch gründete, entweder vom Stimmverkauf an reiche Gönner oder<lb/> von öffentlichen Spenden zu leben. Hatte ein Bauer im Kriege sein Ver¬<lb/> mögen verloren, so zog er eben nach Rom und war sicher, daß er dort nicht<lb/> allein nicht verhungern, sondern sogar sein Vergnügen haben werde. Die An¬<lb/> ziehungskraft der Reichshauptstadt wirkte schon bald nach dem zweiten punischen<lb/> Kriege so stark, daß der Senat eine Verödung der Gebiete der Bundesgenossen<lb/> fürchtete und sich veranlaßt sah, die diesen zustehende Freizügigkeit einzuschränken<lb/> und durch Masfenausweisungen in den Jahren 186 und 176 einen Teil der Um¬<lb/> zügler in ihre Heimat zurückzujagen. Unfreie Müßiggänger waren die städtischen<lb/> Sklaven der großen Häuser, soweit sie weder zur Fabrikation noch zu Handels¬<lb/> geschäften verwandt wurden, denn bei der großen Anzahl, die jedes vornehme<lb/> Hans besaß, kam auf keinen eine große Arbeitslast, und viele waren überhaupt<lb/> nur Gegenstände des Luxus. Bei dieser Lage der Dinge konnte jener Kapi¬<lb/> talismus auch keinen solchen Klassengegensatz erzeugen wie der heutige, und<lb/> wie ihn auch noch seine auf Wucher beruhenden Anfänge in der ersten Periode<lb/> der römischen Republik erzeugt hatten. Es standen sich nicht zwei Stände des</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0420]
Der Römerstaat
weil er auf Arbeit beruht, und die Ausbeutung, die dabei vorkommt, ihm nicht
notwendig anhaftet — theoretisch wenigstens läßt es sich denken, daß alle an
der Produktion Beteiligten zu ihrem gerechten Einkommen gelangen, ohne daß
dadurch die bestehende Wirtschaftsordnung aufgelöst wird —, während der alt¬
römische auf einer räuberischen Ausbeutung beruhte, die sogar vom Gesetze sür
strafbar erklärt wurde und nur darum meist straflos blieb, weil Räuber und
Richter dieselben Personen waren. Dafür trat freilich die Ausbeutung auch
mit dem Mute der Brutalität offen als das auf, was sie war, und nahm den
Haß und die Verachtung, die sie verdiente, gelassen auf sich, während sie, wo
sie heute vorkommt, sich in das anständige Gewand rechtschaffnen Erwerbs,
volkswirtschaftlicher Funktionen und verdienstlicher Unternehmungen hüllt. In
volkswirtschaftlicher Beziehung ist der antike Kapitalismus nicht ganz unfrucht¬
bar gewesen, indem der Reichtum die Mittel gewährte, nicht allein den Kom¬
fort und die Künste, sondern auch den Straßen- und Brückenbau, die Wasser¬
versorgung und den Ackerbau auf die höchste Stufe zu heben, und indem sich
dieser Kulturfortschritt gleichmäßig über das ganze Reich verbreitete, als die
Kaiser der Räuberwirtschaft ein Ende gemacht hatten. Der moderne Kapita¬
lismus aber fördert zusammen mit der den Alten fremden Naturwissenschaft
den Fortschritt besonders dadurch weit kräftiger, daß er die besitzlosen Arbeiter
durch ihre Freiheit und Selbstverantwortung, die Wohlhabenden durch eine
Vermögensform, die nicht wie Grund- und Sklavenbesitz der unmittelbaren
Bedürfnisbefriedigung dient, weit wirksamer zur Arbeit zwingt als der antike,
der Heere von freien und unfreien Müßiggängern schuf. Müßiggänger waren
alle Reichen, die des Pflichtgefühls und des Dranges zu freiwilliger Arbeit
ermangelten, und alle Armen, die das römische Bürgerrecht hatten, worauf
sich ihr Anspruch gründete, entweder vom Stimmverkauf an reiche Gönner oder
von öffentlichen Spenden zu leben. Hatte ein Bauer im Kriege sein Ver¬
mögen verloren, so zog er eben nach Rom und war sicher, daß er dort nicht
allein nicht verhungern, sondern sogar sein Vergnügen haben werde. Die An¬
ziehungskraft der Reichshauptstadt wirkte schon bald nach dem zweiten punischen
Kriege so stark, daß der Senat eine Verödung der Gebiete der Bundesgenossen
fürchtete und sich veranlaßt sah, die diesen zustehende Freizügigkeit einzuschränken
und durch Masfenausweisungen in den Jahren 186 und 176 einen Teil der Um¬
zügler in ihre Heimat zurückzujagen. Unfreie Müßiggänger waren die städtischen
Sklaven der großen Häuser, soweit sie weder zur Fabrikation noch zu Handels¬
geschäften verwandt wurden, denn bei der großen Anzahl, die jedes vornehme
Hans besaß, kam auf keinen eine große Arbeitslast, und viele waren überhaupt
nur Gegenstände des Luxus. Bei dieser Lage der Dinge konnte jener Kapi¬
talismus auch keinen solchen Klassengegensatz erzeugen wie der heutige, und
wie ihn auch noch seine auf Wucher beruhenden Anfänge in der ersten Periode
der römischen Republik erzeugt hatten. Es standen sich nicht zwei Stände des
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