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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

war Völlige Einigung Italiens und Fortschritt zur Weltherrschaft, hier waren
Zerfall des Reichs in Kleinstaaten, Verlust der Weltstellung und Abhängigkeit
vom Auslande das Ergebnis. In wirtschaftlicher Beziehung aber hatten beide
Kriege ähnliche Wirkungen. Die Bevölkerung Italiens wurde vermindert,
wenn auch nicht in dem Grade wie die Deutschlands in seiner traurigsten Zeit,
so doch immerhin bedeutend; 300000 Jtaliker sollen vorm Feinde gefallen
sein. Das Land war am Schluß des Kriegs verwüstet, Hunderttausende von
Bauern waren teils getötet worden, teils der Ackerarbeit entwöhnt, Städte und
Dörfer waren niedergebrannt, Hufen lagen als herrenloses Gut brach, die
Sitten waren verwildert, von den Afrikanern hatte man die Gewohnheit bar¬
barischer Bestrafung der Überläufer und der unterworfenen Abgefallnen ange¬
nommen -- so wird jetzt das Händeabhacken öfter erwähnt --, man findet
auch Gefallen an barbarischen Vergnügungen: die etruskischen Fechterspiele,
zuerst von den durch Schwelgerei entnervten Kapuanern als Reizmittel ange¬
wandt, finden jetzt auch in Rom Eingang; entlaufne Sklaven, Hirten, von
ihren Höfen Vertriebne und verarmte Bauern bilden Räuberbanden. Voll¬
ständig ist die Ähnlichkeit der wirtschaftlichen Wirkungen freilich nicht; während
Deutschland in jeder Beziehung verarmte, verarmten in Italien nur einige
hunderttausend Bauern, der Staat aber und die Wohlhabenden wurden durch
die Eroberungen reich. In dieser Beziehung glich also die Entwicklung Roms
in der punischen Periode nicht der deutschen im siebzehnten, sondern der eng¬
lischen im achtzehnten Jahrhundert. Der Nationalreichtum steigt, es bildet
sich ein Proletariat, und die Vermögensunterschiede werden kolossal. Die
unterworfnen außeritalischen Länder -- zu Sizilien kommen bald Sardinien
und Korsika, Spanien, Jllyrien, Mazedonien, Nordafrika einschließlich Ägyptens,
Kleinasien, namentlich die alkalische Erbschaft, Syrien -- wirken in mehrfacher
Weise auflösend und umbildend auf die sozialen Zustände Italiens ein. Zu¬
nächst durch die Art ihrer Erwerbung und Ausbeutung. Die erobernden
Generale, dann die verwaltenden Beamten schalten als Statthalter mit unbe¬
grenzter Vollmacht, also als Despoten, in den Provinzen und häufen durch
Erpressungen Vermögen auf, durch Erpressungen, die einen um so ungeheuer¬
lichern Umfang annehmen, je kürzer die Zeit bemessen ist; da die Amtsgewalt
doch nur ein Jahr dauert, so muß sich also der Prokonsul oder Proprätor
oder Prokurator beeilen; in zehn Jahren haben die Bewohner einer solchen
Provinz zehn solche Blutegel zu erdulden. Die der Provinz auferlegten Kopf-
und Grundsteuern, Hafen- und sonstigen Zölle aber werden an die Ritter ver¬
pachtet, die ein Mehrfaches von dem erpressen, was sie abzuführen haben, sodaß
das Wort xoMeMus, Pächter der öffentlichen Zölle, im Volksmunde gleich¬
bedeutend mit Räuber und Betrüger wird. Natürlich pachten diese Herren
auch Domänen. Als ihre Begleiter erscheinen Geldverleiher, die den zahlungs¬
unfähigen Provinzialen mit Vorschüssen beispringen. Cato wies diese Vampire


Der Römerstaat

war Völlige Einigung Italiens und Fortschritt zur Weltherrschaft, hier waren
Zerfall des Reichs in Kleinstaaten, Verlust der Weltstellung und Abhängigkeit
vom Auslande das Ergebnis. In wirtschaftlicher Beziehung aber hatten beide
Kriege ähnliche Wirkungen. Die Bevölkerung Italiens wurde vermindert,
wenn auch nicht in dem Grade wie die Deutschlands in seiner traurigsten Zeit,
so doch immerhin bedeutend; 300000 Jtaliker sollen vorm Feinde gefallen
sein. Das Land war am Schluß des Kriegs verwüstet, Hunderttausende von
Bauern waren teils getötet worden, teils der Ackerarbeit entwöhnt, Städte und
Dörfer waren niedergebrannt, Hufen lagen als herrenloses Gut brach, die
Sitten waren verwildert, von den Afrikanern hatte man die Gewohnheit bar¬
barischer Bestrafung der Überläufer und der unterworfenen Abgefallnen ange¬
nommen — so wird jetzt das Händeabhacken öfter erwähnt —, man findet
auch Gefallen an barbarischen Vergnügungen: die etruskischen Fechterspiele,
zuerst von den durch Schwelgerei entnervten Kapuanern als Reizmittel ange¬
wandt, finden jetzt auch in Rom Eingang; entlaufne Sklaven, Hirten, von
ihren Höfen Vertriebne und verarmte Bauern bilden Räuberbanden. Voll¬
ständig ist die Ähnlichkeit der wirtschaftlichen Wirkungen freilich nicht; während
Deutschland in jeder Beziehung verarmte, verarmten in Italien nur einige
hunderttausend Bauern, der Staat aber und die Wohlhabenden wurden durch
die Eroberungen reich. In dieser Beziehung glich also die Entwicklung Roms
in der punischen Periode nicht der deutschen im siebzehnten, sondern der eng¬
lischen im achtzehnten Jahrhundert. Der Nationalreichtum steigt, es bildet
sich ein Proletariat, und die Vermögensunterschiede werden kolossal. Die
unterworfnen außeritalischen Länder — zu Sizilien kommen bald Sardinien
und Korsika, Spanien, Jllyrien, Mazedonien, Nordafrika einschließlich Ägyptens,
Kleinasien, namentlich die alkalische Erbschaft, Syrien — wirken in mehrfacher
Weise auflösend und umbildend auf die sozialen Zustände Italiens ein. Zu¬
nächst durch die Art ihrer Erwerbung und Ausbeutung. Die erobernden
Generale, dann die verwaltenden Beamten schalten als Statthalter mit unbe¬
grenzter Vollmacht, also als Despoten, in den Provinzen und häufen durch
Erpressungen Vermögen auf, durch Erpressungen, die einen um so ungeheuer¬
lichern Umfang annehmen, je kürzer die Zeit bemessen ist; da die Amtsgewalt
doch nur ein Jahr dauert, so muß sich also der Prokonsul oder Proprätor
oder Prokurator beeilen; in zehn Jahren haben die Bewohner einer solchen
Provinz zehn solche Blutegel zu erdulden. Die der Provinz auferlegten Kopf-
und Grundsteuern, Hafen- und sonstigen Zölle aber werden an die Ritter ver¬
pachtet, die ein Mehrfaches von dem erpressen, was sie abzuführen haben, sodaß
das Wort xoMeMus, Pächter der öffentlichen Zölle, im Volksmunde gleich¬
bedeutend mit Räuber und Betrüger wird. Natürlich pachten diese Herren
auch Domänen. Als ihre Begleiter erscheinen Geldverleiher, die den zahlungs¬
unfähigen Provinzialen mit Vorschüssen beispringen. Cato wies diese Vampire


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[0414] Der Römerstaat war Völlige Einigung Italiens und Fortschritt zur Weltherrschaft, hier waren Zerfall des Reichs in Kleinstaaten, Verlust der Weltstellung und Abhängigkeit vom Auslande das Ergebnis. In wirtschaftlicher Beziehung aber hatten beide Kriege ähnliche Wirkungen. Die Bevölkerung Italiens wurde vermindert, wenn auch nicht in dem Grade wie die Deutschlands in seiner traurigsten Zeit, so doch immerhin bedeutend; 300000 Jtaliker sollen vorm Feinde gefallen sein. Das Land war am Schluß des Kriegs verwüstet, Hunderttausende von Bauern waren teils getötet worden, teils der Ackerarbeit entwöhnt, Städte und Dörfer waren niedergebrannt, Hufen lagen als herrenloses Gut brach, die Sitten waren verwildert, von den Afrikanern hatte man die Gewohnheit bar¬ barischer Bestrafung der Überläufer und der unterworfenen Abgefallnen ange¬ nommen — so wird jetzt das Händeabhacken öfter erwähnt —, man findet auch Gefallen an barbarischen Vergnügungen: die etruskischen Fechterspiele, zuerst von den durch Schwelgerei entnervten Kapuanern als Reizmittel ange¬ wandt, finden jetzt auch in Rom Eingang; entlaufne Sklaven, Hirten, von ihren Höfen Vertriebne und verarmte Bauern bilden Räuberbanden. Voll¬ ständig ist die Ähnlichkeit der wirtschaftlichen Wirkungen freilich nicht; während Deutschland in jeder Beziehung verarmte, verarmten in Italien nur einige hunderttausend Bauern, der Staat aber und die Wohlhabenden wurden durch die Eroberungen reich. In dieser Beziehung glich also die Entwicklung Roms in der punischen Periode nicht der deutschen im siebzehnten, sondern der eng¬ lischen im achtzehnten Jahrhundert. Der Nationalreichtum steigt, es bildet sich ein Proletariat, und die Vermögensunterschiede werden kolossal. Die unterworfnen außeritalischen Länder — zu Sizilien kommen bald Sardinien und Korsika, Spanien, Jllyrien, Mazedonien, Nordafrika einschließlich Ägyptens, Kleinasien, namentlich die alkalische Erbschaft, Syrien — wirken in mehrfacher Weise auflösend und umbildend auf die sozialen Zustände Italiens ein. Zu¬ nächst durch die Art ihrer Erwerbung und Ausbeutung. Die erobernden Generale, dann die verwaltenden Beamten schalten als Statthalter mit unbe¬ grenzter Vollmacht, also als Despoten, in den Provinzen und häufen durch Erpressungen Vermögen auf, durch Erpressungen, die einen um so ungeheuer¬ lichern Umfang annehmen, je kürzer die Zeit bemessen ist; da die Amtsgewalt doch nur ein Jahr dauert, so muß sich also der Prokonsul oder Proprätor oder Prokurator beeilen; in zehn Jahren haben die Bewohner einer solchen Provinz zehn solche Blutegel zu erdulden. Die der Provinz auferlegten Kopf- und Grundsteuern, Hafen- und sonstigen Zölle aber werden an die Ritter ver¬ pachtet, die ein Mehrfaches von dem erpressen, was sie abzuführen haben, sodaß das Wort xoMeMus, Pächter der öffentlichen Zölle, im Volksmunde gleich¬ bedeutend mit Räuber und Betrüger wird. Natürlich pachten diese Herren auch Domänen. Als ihre Begleiter erscheinen Geldverleiher, die den zahlungs¬ unfähigen Provinzialen mit Vorschüssen beispringen. Cato wies diese Vampire

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/414>, abgerufen am 15.01.2025.