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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Russen und Engländer in Zentralasien

östlichen Provinzen der Türkei der erneuten Erschließung ihrer natürlichen
Reichtümer unter dem mächtigen Einfluß Rußlands.^)

Schon 1881 schrieb der verstorbne Skobeljew: "Aus welchem Grunde
kommt uns die führende Rolle in Persien zu? Zu welchem Zwecke müssen
wir nach Südosten zu gerüstet sein? Weshalb müssen wir den Gang der
Ereignisse in Afghanistan verfolgen? Deshalb wohl, weil wir, wenn die Stunde
schlägt, nicht Lippe-Detmold, Monaco oder die Schweiz, sondern das dräuende
Rußland sein wollen." Skobeljew dachte als Soldat, durchdrungen von dem
Bewußtsein der Macht Rußlands und der Notwendigkeit, dem uns feindlich
gesinnte" England wirksam Widerpart zu halten. Außerdem sagte sich Sko¬
beljew, daß Rußland bestrebt sein muß, sich vor allem nach der Seite des
mohammedanischen Orients in der durch unsre großen Vorfahren gewiesenen
Richtung auszudehnen. Augenblicklich führen wir nicht Krieg mit England und
können nicht daran denken, Indien zu erobern. Aber wir müssen uns auf
einen solchen Krieg vorbereiten für den Fall, daß England uns auf dem durch
unsre Interessen vorgezeichneten Wege Hindernisse entgegenstellt. Die ersten
Schritte haben wir gethan, und sie haben uns viel Zeit und Blut gekostet.
Wenn wir jetzt nun in Mittelasien energischer vordringen, so sind die Eng¬
länder selbst die Ursache, da sie uns die Zugänge zum Mittelländischen Meer
verschlossen haben, Rußland sich aber mit seiner zunehmenden Bevölkerung
und Industrie einen günstigen Ausfuhrhafen an einem südlichen Meere
schaffen muß.

Während uns Turkestan mit Baumwolle in Massen versteht, gelangen die
natürlichen Reichtümer des Kaukasus immer mehr zur Entfaltung; Fabriken
erstehen zur Bearbeitung der in Turkestan gewonnenen Rohstoffe; persische
Baumwolle, Seide und Wolle werden sich ebenfalls fabrikmäßig ausbeuten
lassen, sobald Persien durch eine Eisenbahn aufgeschlossen und uns seine Hilfs¬
quellen genauer bekannt sein werden. Nach der Palüstinareise Wilhelms II.
können wir den Bau der Eisenbahn nicht länger aufschieben, wir müssen den
Deutschen am Persischen Golf zuvorkommen. Die Hauptlinie muß vom
Kaspischen Meere über Teheran, Jsfahan, Jesd, Kerman, Bampur an das
persische Beludschistangestade geführt und durch eine Zweiglinie mit dem
Persischen Golf verbunden werden. Sowohl in Persien, als auch in Meso¬
potamien darf nur russischer Einfluß herrschen^. So würden schließlich unsre
industriellen und kommerziellen Interessen die treibende Kraft für das weitere
Vordringen nach dem Süden; dieses bedeutet eine Gefahr fiir die Engländer,
wenn sie jenen Hindernisse in den Weg legen; unter gewissen Umständen kann
es zum Kriege kommen. Freilich wird die etwaige Eroberung Indiens uns
keinen besondern Nutzen bringen, denn die Ausdehnung des Reiches über



^) Warum nur Rußlands? A, d. Red.
Russen und Engländer in Zentralasien

östlichen Provinzen der Türkei der erneuten Erschließung ihrer natürlichen
Reichtümer unter dem mächtigen Einfluß Rußlands.^)

Schon 1881 schrieb der verstorbne Skobeljew: „Aus welchem Grunde
kommt uns die führende Rolle in Persien zu? Zu welchem Zwecke müssen
wir nach Südosten zu gerüstet sein? Weshalb müssen wir den Gang der
Ereignisse in Afghanistan verfolgen? Deshalb wohl, weil wir, wenn die Stunde
schlägt, nicht Lippe-Detmold, Monaco oder die Schweiz, sondern das dräuende
Rußland sein wollen." Skobeljew dachte als Soldat, durchdrungen von dem
Bewußtsein der Macht Rußlands und der Notwendigkeit, dem uns feindlich
gesinnte» England wirksam Widerpart zu halten. Außerdem sagte sich Sko¬
beljew, daß Rußland bestrebt sein muß, sich vor allem nach der Seite des
mohammedanischen Orients in der durch unsre großen Vorfahren gewiesenen
Richtung auszudehnen. Augenblicklich führen wir nicht Krieg mit England und
können nicht daran denken, Indien zu erobern. Aber wir müssen uns auf
einen solchen Krieg vorbereiten für den Fall, daß England uns auf dem durch
unsre Interessen vorgezeichneten Wege Hindernisse entgegenstellt. Die ersten
Schritte haben wir gethan, und sie haben uns viel Zeit und Blut gekostet.
Wenn wir jetzt nun in Mittelasien energischer vordringen, so sind die Eng¬
länder selbst die Ursache, da sie uns die Zugänge zum Mittelländischen Meer
verschlossen haben, Rußland sich aber mit seiner zunehmenden Bevölkerung
und Industrie einen günstigen Ausfuhrhafen an einem südlichen Meere
schaffen muß.

Während uns Turkestan mit Baumwolle in Massen versteht, gelangen die
natürlichen Reichtümer des Kaukasus immer mehr zur Entfaltung; Fabriken
erstehen zur Bearbeitung der in Turkestan gewonnenen Rohstoffe; persische
Baumwolle, Seide und Wolle werden sich ebenfalls fabrikmäßig ausbeuten
lassen, sobald Persien durch eine Eisenbahn aufgeschlossen und uns seine Hilfs¬
quellen genauer bekannt sein werden. Nach der Palüstinareise Wilhelms II.
können wir den Bau der Eisenbahn nicht länger aufschieben, wir müssen den
Deutschen am Persischen Golf zuvorkommen. Die Hauptlinie muß vom
Kaspischen Meere über Teheran, Jsfahan, Jesd, Kerman, Bampur an das
persische Beludschistangestade geführt und durch eine Zweiglinie mit dem
Persischen Golf verbunden werden. Sowohl in Persien, als auch in Meso¬
potamien darf nur russischer Einfluß herrschen^. So würden schließlich unsre
industriellen und kommerziellen Interessen die treibende Kraft für das weitere
Vordringen nach dem Süden; dieses bedeutet eine Gefahr fiir die Engländer,
wenn sie jenen Hindernisse in den Weg legen; unter gewissen Umständen kann
es zum Kriege kommen. Freilich wird die etwaige Eroberung Indiens uns
keinen besondern Nutzen bringen, denn die Ausdehnung des Reiches über



^) Warum nur Rußlands? A, d. Red.
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[0410] Russen und Engländer in Zentralasien östlichen Provinzen der Türkei der erneuten Erschließung ihrer natürlichen Reichtümer unter dem mächtigen Einfluß Rußlands.^) Schon 1881 schrieb der verstorbne Skobeljew: „Aus welchem Grunde kommt uns die führende Rolle in Persien zu? Zu welchem Zwecke müssen wir nach Südosten zu gerüstet sein? Weshalb müssen wir den Gang der Ereignisse in Afghanistan verfolgen? Deshalb wohl, weil wir, wenn die Stunde schlägt, nicht Lippe-Detmold, Monaco oder die Schweiz, sondern das dräuende Rußland sein wollen." Skobeljew dachte als Soldat, durchdrungen von dem Bewußtsein der Macht Rußlands und der Notwendigkeit, dem uns feindlich gesinnte» England wirksam Widerpart zu halten. Außerdem sagte sich Sko¬ beljew, daß Rußland bestrebt sein muß, sich vor allem nach der Seite des mohammedanischen Orients in der durch unsre großen Vorfahren gewiesenen Richtung auszudehnen. Augenblicklich führen wir nicht Krieg mit England und können nicht daran denken, Indien zu erobern. Aber wir müssen uns auf einen solchen Krieg vorbereiten für den Fall, daß England uns auf dem durch unsre Interessen vorgezeichneten Wege Hindernisse entgegenstellt. Die ersten Schritte haben wir gethan, und sie haben uns viel Zeit und Blut gekostet. Wenn wir jetzt nun in Mittelasien energischer vordringen, so sind die Eng¬ länder selbst die Ursache, da sie uns die Zugänge zum Mittelländischen Meer verschlossen haben, Rußland sich aber mit seiner zunehmenden Bevölkerung und Industrie einen günstigen Ausfuhrhafen an einem südlichen Meere schaffen muß. Während uns Turkestan mit Baumwolle in Massen versteht, gelangen die natürlichen Reichtümer des Kaukasus immer mehr zur Entfaltung; Fabriken erstehen zur Bearbeitung der in Turkestan gewonnenen Rohstoffe; persische Baumwolle, Seide und Wolle werden sich ebenfalls fabrikmäßig ausbeuten lassen, sobald Persien durch eine Eisenbahn aufgeschlossen und uns seine Hilfs¬ quellen genauer bekannt sein werden. Nach der Palüstinareise Wilhelms II. können wir den Bau der Eisenbahn nicht länger aufschieben, wir müssen den Deutschen am Persischen Golf zuvorkommen. Die Hauptlinie muß vom Kaspischen Meere über Teheran, Jsfahan, Jesd, Kerman, Bampur an das persische Beludschistangestade geführt und durch eine Zweiglinie mit dem Persischen Golf verbunden werden. Sowohl in Persien, als auch in Meso¬ potamien darf nur russischer Einfluß herrschen^. So würden schließlich unsre industriellen und kommerziellen Interessen die treibende Kraft für das weitere Vordringen nach dem Süden; dieses bedeutet eine Gefahr fiir die Engländer, wenn sie jenen Hindernisse in den Weg legen; unter gewissen Umständen kann es zum Kriege kommen. Freilich wird die etwaige Eroberung Indiens uns keinen besondern Nutzen bringen, denn die Ausdehnung des Reiches über ^) Warum nur Rußlands? A, d. Red.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/410>, abgerufen am 15.01.2025.